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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 22 (2. Augustheft 1905)
DOI Artikel:
Hagemann, Carl: Aufgaben des modernen Theaters, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0586

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linck, oder Hebbel von Wildenbruch ihrem Stil nach unterscheiden
kann. Er muß zu empfinden und nicht nur zu empfinden, sondern
auch zu übermitteln wissen, was zum Beispiel Shaw, Wilde und
Wedekind gemeinsam haben und was jeden Einzelnen wieder, vom
Standpunkt der Bühnenerscheinung ihrer Werke aus, sür sich charak-
terisiert. Wie man die Linie von Sudermanns Feuilletonismus
über Hartleben zu Schnitzler nach oben abzustufen hat. Wie man
sogar noch zwischen Fulda und Blumenthal (wenn diese Leute wirklich
gespielt werden müssen) einen deutlichen Unterschied machen kann.
Wie Tolstoi und Gorki zu dem Holländer Hejermanns und beide
wieder zu Gerhart Hauptmann stehen. Wie sich Jbsens „Volks-
seind" immer noch von Björnsons „Fallissement", und Dreyers
„Probekandidat" von Otto Ernsts „Flachsmann" unterscheidet. Und
im Musikdrama ist es genau so: Hier die „Königin von Saba",
dort der „Tristan". Hier der „Rienzi", dort der „Tannhäuser" und
daneben der „Tristan". Hier Mozart und dort Lortzing. Hier
Mozart und Lortzing, dort Ossenbach und die englische Tanzoperette.
Stil ist alles; durch ihn wird das Stossliche geadelt. Er osfen-
bart sich nicht nur in dem, was der Künstler „weise verschweigt",
sondern auch in dem, was er weise betont. Goethe sagt es: „Die
Kunst stellt eigentlich nicht Begrisse dar. Aber die Art, wie sie dar-
stellt, ist ein Begreifen, ein Zusammenfassen des Gemeinsamen und
Charakteristischen: das heißt der Stil."

Was wir für unser deutsches Theater sür die nächste Zukunst
brauchen, ist also der Stilkünstler: der Regisseur als Stil-
künstler. Wagner bildete wesentlich nur die Aussührungsmöglich-
keit seiner eigenen Schöpfung, des Worttondramas als eines Gesamt-
knnstwerkes durch. Er hatte in den paar Jahren, die ihm das Ge-
schick dafür übrig ließ, wirklich genug damit zu tun. Der moderne
Opernregisseur hat weitere Ausgaben. Jhm ist es vom Meister
bclassen, die neuen Stilprinzipien Bayreuths auf die übrigen Gat-
tungen des musikalischen Dramas zu übertragen, wobei er sreilich ihre
Eigentümlichkeiten im wesentlichen nicht beeinträchtigen sollte. Wie man
dies macht, zeigen seit einem Jahrzehnte bis zu gewissem Grade die
Münchener Mozartspiele. Die Meininger stimmten ihre antiquarisch-
tüfteligen Jnszenierungen der Klassiker immer auf ein etwas krast-
meierisches Pathos, das uns heute in seiner Einförmigkeit nicht mehr
genügt und dessen Uebertragung aus die verschiedenen Arten des
Wortdramas bedenklich erscheint. Das vorige Jahrhundert hatte
aber neben Richard Wagner und Herzog Georg noch zwei Bühnen-
meister großen Stils: Heinrich Laube, den Präzeptor unserer
Schauspielkünstler, und Franz Dingelstedt, den Organisator der
Szene. Was wir heute brauchen, ist ein Mann mit den Begabungen
beider: ein Mann mit künstlerischen Eigenschaften und theater-
organisatorischen Jnstinkten, mit Künstlerblut und Bühnenblut.
Dieser Mann muß Regisseur und Theaterdirektor in einer Person
sein. Ein Verwaltungsbeamter oder ein Gesellschaftsmensch als
Bühnenleiter ist eiu ebenso großes Unding wie ein bloßer Gelehrter
oder ein bloßer Dichter. Mit wissenschaftlichen Dogmen allein, und
seien es die gescheitesten, ist dem Theater nicht beizukommen, und




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