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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 22 (2. Augustheft 1905)
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Cramer, Hermann: Das Violoncell im Hause
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0588

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und an Stelle jenes von den Violoncellisten als ihr Bachsches Adagio ge-
spielt werden sollte, und endlich einen großartig ausgebauten Schlußsatz,
der neben den wirkungsvollen Fugenthemen reizende Kantabilestellen aus-
weist und alles zu einem breiten Abschlusse sührt. Von Ph. Emanuel Bach
haben wir eine Sonate in 6-moll (Peters), welche in drei schönen Sätzen
deutlich die Absicht erkennen läßt, die Melodie von den begleitenden Stim-
men abzuheben, dabei aber doch beide Jnstrumente in gleichmäßiger Ab-
wechslung zu behandeln. Die Klavierstimmen aller dieser Sonaten erheischen
allerdings auch in den sämtlichen Neuausgaben die von den alten Meistern
vorausgesetzte akkordische Aussüllung leerer Stellen, die sonst geradezu un-
sruchtbar und unglaubhaft klingen. Eine Sonate von Händel in 0 (Senff,
Augener) enthält ein viel zu wenig bekanntes Adagio, das man öfter
an Stelle des immer wiederholten Largos und der Sarabande spielen sollte.

Als Erzeugnisse eines geistvollen Meisters seien die sechs Sonaten Luigi
Boccherinis hervorgehoben, die in Bezug auf sinnliche Schönheit dem Jn-
strumente besonders dankbare Aufgaben stellen. (Ricordi hat eine Ge-
samtausgabe, einzelne bei Augener, Schott, Simrock.) Jede der sechs Sonaten
ist eigenartig, keine erinnert an die andere. Die schönfte, allerdings auch
die schwerste dieser entzückenden Kompositionen ist die sechste in F.. Pracht-
stücke der Literatur sind Kühnels 2 Sonaten in I) und 6-moll (Verlag Drei-
lilien); im Gegensatze zu Boccherinis südländischem Klang erinnern sie an
Dürers echt deutsche kernige Holzschnitte. Jn Form der Ciaconna bieten
sie überraschend charaktervolle Musik, die man je häufiger je lieber spielt
und hört; jede Variation bringt eine besondere Stimmung zum Ausdruck.
Von Geminiani haben wir auch ein schönes Werk in Neuausgabe, 0-mo11
(Breitkopf und Härtel). Es enthült einen groß angelegten ersten Satz, ein An-
dante, einen Siciliano, als letzten Satz eine anmutige Gavotte. Von Por-
pora und Valentini ist bis jetzt je eine Sonate neu herausgegeben; dort glanz-
volle Musik, mit graziösem Schlußmenuett, hier bei Valentini mehr Gehalt
und Schwung, in allen H Sätzen besondere Feinheiten. Die vom Heraus-
geber eingefügte Kadenz kann man weglassen. Francesco Veracinis Werke
(2 Sonaten, Schott, Hug) sind entschieden bedeutend, geistvoll und einem
guten Spieler dankbar; die Kadenz der 2. Sonate kann wiederum weg-
bleiben. Knapper in ihrer ganzen Form sind Marcellos 6 Sonaten. (Auge-
ner, einzelne bei Schott und Simrock.) Die in I" verdient die Krone.

Für Violoncell allein, ohne irgend welche Begleitung, hat Johann
Sebastian Bach 6 Suiten geschrieben (Peters, Steingrüber, Breitkops und
Härtel). Jhrer Bedeutung, ihrem höchsten Werte entspricht nicht eine eigentlich
recht beschämende Unkenntnis im Haus, eine unverzeihliche Vernachlässigung
in der Oeffentlichkeit!* Daß Bach eine hochentwickelte Finger- und Bogen-
technik verlangt, entschuldigt das Verhalten gegen diese Werke, die sür
den ernsten Spieler Perlen künstlerischer Musik sind, doch nur zum Teil.
Jn dicsen Suiten steckt u.a. die bekannte Gavotte, die man aus Uebertragungen
kennt, findet sich serner neben manchem andern, was nicht in der Urform,
wohl aber aus Uebertragungen bekannt ist, die wundervolle O-moll-Suite
mit dem unsäglich schönen, tiefsinnigen Largo, das wie eine Neuheits-

* An dieser Tatsache wird dadurch nichts geändert, daß wenigstens
Meister wie Klengel, Hausmann, Casals und Becker sie auch in der Oeffent-
lichkeit häufig, meist als Zugaben zur Geltung bringen.

^ ^ Uunstwart XVIII, 22
 
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