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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 22 (2. Augustheft 1905)
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Unsere Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0628

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die Vogesen herüber ist vor dem s9- Jahrhundert kein seichter Geist in
unsere Musik hereingedrungen, wohl aber über die Alpen.

Kühnel, geboren (6^5 zu Delmenhorst in Oldenburg, gehört zu den
letzten Meistern der Kammermusik, die in der Art Bibers die deutsche
Entwicklung vertreten. „Mit ihnen hat die Selbstherrlichkeit des Gamben-
spiels in Deutschland ein Ende", bemerkt Alfred Einstein in seiner lesens-
werten Studie zur deutschen Literatur für Viola da Gamba im s6. und
H7. Jahrhundert (Beihefte der Jnternationalen Mnsikgesellschaft, zweite
Folge, I, Breitkopf, sstOö). Die beiden Sonatenwerke, denen unfere Beispiele
entnommen find, stammen von s698. Die O-äur-Sonate ist nrsprünglich für
Gambe allein geschrieben. Die Lieblingsformen solcher Sonaten waren „die
phantastische Tokkata, die Liedvariation und der Passacaglio". Das Werk
gibt (3 Variationen über dreigliedrigen Baß; „erst in der 7. Variation
enthüllt sich das Antlitz der Melodie, und so rein und kraftvoll ist Kühnels
melodische Erfindung, daß es schwer zu entscheiden ist, ob sie das wirk-
liche Urbild oder bloße »Discant-Division« darstellt".

Die Beispiele in 6-moll sind einer Sonate für zwei Gamben gleicher
Höhe und Stimmung entnommen. Bemerkenswert ist, daß diese Stücke so
gesetzt waren, daß fie auch ohne Basso Continuo gefpielt werden konnten.
Franz Bennat, dem unsere Notenbeilage folgt, hat die D-äur- und O-iuolD
Sonate für Ein Violoncell mit Klavier bearbeitet. Der Dreililienverlag
erwirbt sich mit dieser Veröffentlichung ein wirkliches Verdienst um die
Pflege der Kammermusik. Die zweiteilige Arie, die in der O-iuoll-Sonate
variiert wird (statt der Wiederholung Rollentausch!), verrät schon durch
den ersten Quintenschritt aufwärts die Aeußerung hervorbrechenden Gefühls
und wir werden nicht enttäuscht, wenn wir die Melodie weiter verfolgen:
ihr harmonischer Reichtum ist außergewöhnlich! Man beachte die sieben-
taktige Gliederung, zuerst -j- 3, dann 2 -s- 3 -s- 2. Jn der Dreiergruppe
stecken Sequenzen. Nietzsche hätte sich über die fiebentaktigen Abschnitte
im Meistersingerwalzer nicht als über Modernität und Decadence auf-
zuregen brauchen. Die alte Suite und Sonate gab sogar der unregel-
mäßigen Gliederung den Vorzug; erst im (8. Jahrhundert haben die Jtaliener
die Musik sozusagen viereckig gemacht. Das gilt noch heute vielen als
klassisch! Von den fünf Variationen der O-moll-Sonate sind die beiden ersten
nach Einsteins Bemerkung melodisch aufs feinste durchgebildet (durch Nach-
ahmungen); die dritte schreitet marschmäßig wuchtig einher, die vierte ist
giguenmäßig beflügelt, die letzte noch behender und glänzender.

Wer sich für die ursprüngliche Gestalt der 6-inoll-Sonate interessiert,
findet sie, nebst vielen andern Proben von Marin Marais, Ph. Fr. Buchner,
D. Becker, Buxtehude, Ph. H. Erlebach usw. in dem genannten Beihefte
der Jnternationaleu Musikgesellschaft. — Die Einzelstimme des Violon-
cells werden wir in Heft 2^ mitgeben. R Gr

Herausgeber: Ferdinand Avenartus in Dresden- Blasewitz; verantrvortlich:

i. V. Eugen Kalkschmidt, Dresden -Blasewitz; Mitleitende: für Musik: Or. Karl
Grunsky in Stuttgart; sür bildende Kunst: Pros. Paul Schultze - Naumburg
in Saaleck Lei Kösen in Thüringen — Sendungen für den Text ohne Angabe eines Persvnen-
namens an die .Kunstwart-Leitung" in Dresden-Blasewitz; über Mustk an vr. Karl
Grunsky, Stuttgart, Stitzenburgstr, t. — Manuskripte nur nach vorheriger Verein-
Sarung, widrigensalls keinerlei Verantwortung übernommen werden kann — Verlag von
Georg D. W. Callwey — Druck von Kastner <L Callwey, kgl. Hosbuchdruckeret in München
Bestellungen, Anzeigen und Geldsendungen an Len Verlag Georg D. W. Callwey in München

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