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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Die Kunst dem Volke?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0687

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weiteren „Kunstverbreitens". Auch sie wohl nur unter dem Einfluß
von Mißverständnissen auf Grund eines ungeklärten Empsindens.

„Auch um der Empfänglichen willen/ heißt es da, „sollte die
Kunst nicht in die Massen getragen werden; laßt die Leute sich ihren
Weg zur Kunst nur selbst bahnen; die Kunst, deren Wesen auf dem
Persönlichsten unseres Empfindungslebens beruht, ist eine heilige Sache;
nicht leicht sollte der Zutritt zu ihr gemacht werden, sondern schwerl"
Schön, aber um welches Heiligtum der Kunst handelt es sich hierbei,
wenn nicht um das innere Heiligtum ihres Gehalts? Und wird der
Weg zu diesem Heiligtum etwa leichter und bequemer gemacht dadurch,
daß Bücher und Kunstblätter billiger werden? Dadurch, daß dem Heiß-
hunger und dem brennenden Durste der Kunstwürdigen auch unter den
Unbemittelten die äußere Möglichkeit gegeben wird, ihre Sehnsucht zu
erfüllen? Man prostituiert die Kunst, heißt es, wenn man sie — um
der Wenigen willen — in immer weitere Massen trägt, sie dem plumpen
Betasten einer blöden Menge ausliefert. Aber wird denn die Kunst vor
diesem Betasten einer blöden Menge bewahrt, wenn sie auf die Kreise
der Bemittelten beschränkt bleibt? Und kann denn die Kunst überhaupt
durch ein „Betasten" ihres Aeußern prostituiert werden? Wird die
Majestüt verletzt, wenn ein betrunkener Schuster schimpft, oder die
Gottheit, wenn ein kümmerlicher Pfaffe predigt? Worauf beruht
denn das unangenehme Gefühl, dessen wir uns freilich kaum er-
wehren können, wenn wir einen herrlichen Böcklin z. B. in einem
Protzensalon von Protzen begaffen sehen, oder wenn wir in der
Kammer unsrer nach dem Modernsten strebenden Stubenmagd Re-
produktionen nach eben demselben Meister an den Wänden erblicken?
Jst's nicht im Grunde eine Kleinheit, eine Schwäche unsres Empfindens,
wenn es sich das Hohe trivial machen läßt dadurch, daß die Torheit
alle trivialen Ecken und Enden damit behängt? Eine menschlich-liebens-
werte, eine edle Schwäche, zugegeben, aber sollen wir, um das Edle
in dieser Schwüche zu schonen, die Herzarbeit einstellen, die bis in die
letzten Aederchen unsres Volkskörpers das seelische Nährblut der Kunst
zu treiben trachtet? Tun wir nicht besser, wenn wir statt dessen diesem
edeln Empfinden die Augen zu öffnen suchen, daß es in der Erkennt-
nis erstarkend über seine Schwäche Herr zu werden suche?

Freilich, solchen „plebejischen" Erwägungen fern stehn in stolzer
Höhe unsre Programm-Jndividualisten und Subjektivisten. Was kümmert
den „Jchmenschen" aus Prinzip die Entwicklung der „andern" oder gar
des Ganzen, das er „überwunden" unter seinen Füßen tritt! Denn vor
der Erkenntnis, in welch unlöslichem Zusammenhang die Höhe seiner
Einzelleistung zum Zustand der verachteten Gesamtheit steht, davor be-
hütet ihn die schirmende Kraft seiner Selbsteinschätzung. Gewiß, nicht
nur in unsrer Zeit, in der sich sogar die braven Herdentiere unter dem
selbstmörderischenZeichen derHerdenverachtung inScharen zusammenfinden,
ich meine: zu allen Zeiten hat wohl, wer nach eigenen und neuen Zielen
rang, damit begonnen, die Gemeinschaft, die er mit den stumpfen Massen
zusammenwarf, zu verachten im Gegensatz zu seinem einsam persönlichen
Willen. Aber wessen Genie die Götter nicht grade in die Wolke leiden-
schaftlicher Blindheit hüllten, dem Großen gelang es auch immer noch,
mit der Zeit über seine Persönlichkeit hinaus zu schauen und die Wur-

606 Runstwart XVIII, 2^
 
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