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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Die Kunst dem Volke?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0690

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selber erzieht, indem er sich selber Rechenschaft ablegt und klar zu rver--
den sucht über die ästhetischen Eindrücke, die er empsängt. Aber darüber
darf man denn doch nicht verkennen, daß auch das unmittelbare Be-
lehren sehr wohl durch ein ,Müssen" besonderer Veranlagungen belebt
werden kann. Wer aber gegenüber dem „Lehrertone" gar so leicht ver-
letzlich ist, der zeigt, meine ich, durch diese Empfindlichkeit nur, daß
er selber noch zu den Schülern gehört, die über mehr Eitelkeit als
Drang nach Förderung verfügen. Warum sollen wir neben ästhetisch
vorbildlichen Erziehern wie Schiller und Herder nicht auch Querköpfe
begrüßen, wie Wolfgang Menzel, der zwar den König von Thule
als „versoffnen" Potentaten kurzerhand abgetan haben soll, dafür aber
auch das „rechte" Wort kennt, um die Sagenschätze unsres Volkes zu
heben? Warum nicht selbst „Autokraten" — norriinL 8unt ockio^L —
die zwar nicht des Glaubens doch des Empfindens leben, ihre per-
sönlichen Meinungen hätten als allgemeine Gesetze zu gelten im
subjektiven Leben der Kunst, wenn diese Meinungen nur uns irgend
etwas gebend Ja, warum sollen wir uns vornehm abwenden von den
„Volksmännern", die „aus dem Volke zum Volk" reden, in der „Clau-
diusweise", solang diese Weise nur, wie im Großen und Ganzen eben
bei Claudius, Natur bleibt und nicht zur Manier wird? Heißen wir
weiten Herzens getrost alles willkommen, was uns wahres Leben
bringt, auch wenn die Schale, in der dies und jenes dargereicht wird,
zu bemängeln sein mag. Solange der Schenkende dabei nur aufrichtig,
nur wahrhaftig bleibt in der Form seines Gebens, ist, glaub ich, der
Schade nicht so groß, daß ihm durch ein Hinweisen auf die Uebelftände
nicht leicht entgegengewirkt werden könnte. Erst da, wo das „Popu-
larisieren" anfängt, Sirenentöne anzuschlagen, um seine Gaben einzu-
schmeicheln auf dem Wege der Schauspiel erei, wo es sich kindlich
und volkstümlich stellt, was sich in seiner „Güte" imitierend herab-
läßt zu den „Kleinen", erst da sollten wir Tore und Türen vor ihm
schließen, da aber auch fest. Denn die Unechtheit, wo und wie sie auch
auftritt, stiftet ja durch ihr Wesen an sich mehr Schaden, als sie durch
ihre Gaben je gut machen kann.

Von Selbstverständlichkeiten sind wir ausgegangen und mit Selbst-
verständlichkeiten schließen wir. Aber ist es nicht ganz gut, von Zeit zu
Zeit auch Selbftverständlichkeiten zu begründen? Die geistreichen Leute, die
scharfsichtig an allen Dingen vor allem die Kehrseite wahrzunehmen
wissen, sie täuschen uns das Negativ nur zu oft ins Positiv um, in-
dem sie das Selbstverständliche für gewöhnlich, das Gesunde für grob,
das Allgemeine für gemein erklären. Dabei denken wir noch gar nicht
einmal an den Kreis jener „Jntellektuellen", die sich selbst als den
wohlgelungenen Endzweck der Schöpfung verehren: mit welch' unfäg-
licher Mißachtung schauen die erst auf alle Bestrebungen hinab, das hohe
Seelengut der Kunst über ihre engen Zirkel hinaus in die Weiten des
Volkes zu tragenl Dem stillen und lauten Widerstand gegenüber, dcr
sich von überall dorther der Arbeit entgegenstemmt, die unerläßlich ist
zum Begründen einer gesunden und starken Kultur, den Paradoxen der
Lebensfremdheit und blaffen Feingeistigkeit gegenüber hat denn wohl
auch einmal der einfache Menschenverstand das Recht, seine Stellung zu
wahren. teopold weber



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