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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0723

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KirerLtur
V' - ^

G „Aufgaben und Ziele
der ernsten Presse"

Liest man, wo über dieses er-
giebige Thema gesprochen wurde,
so stutzt man und meint, es stecke
eine Jronie dahinter. Aber doch
verhält es sich ganz ernsthaft so:
auf der diesjährigen Hauptversamm-
lung des Vereins deutscher Zeitungs-
verleger, einer Vereinigung von etwa
750 Mitgliedern, hielt Th. Curti
seinen Vortrag. Und man ward sich
anscheinend sehr einig unter den
Delegierten, daß es ein Unding sei,
etwa über die Aufführung eines
neuen Theaterstückes schon in der
nächsten Morgenfrühe eine ausführ-
liche Kritik zu veröffentlichen, daß
Zeitungsschreiber und -Leser unter
dem Zuviel und dem Vielerlei des
Stoffes leiden. Es sei beachtenswert,
führte Curti aus, „wie man etwa
noch vor zwanzig Jahren in den
Tagesblättern — im politischen Teil
und im Feuilleton — ungescheut,
wenn sie aus berufener Feder flossen,
längere Artikelreihen brachte, welche
ihr Thema mit einiger Vollständig-
keit behandeln konnten, und wie sich
gegenwärtig auch in sehr angesehenen
Journalen der Zeitungspolitiker und
noch mehr der Feuilletonist genötigt
sieht, fast jeden Tag neue Ware
anzubieten, eine andere Frage »an-
zuschneiden«, über den Gegenstand
von gestern nicht mehr zu sprechen.
Daß die ästhetische Bildung hierdurch
gewonnen habe, ist kaum zu ver-
muten; das Zuviel und Allerlei führt
zur Gedankenlosigkeit und Verflach-
ung. Und ich lasse ununtersucht, ob
nicht die Presse selbst daran die
Mitschuld trage, indem die Zeitungen
einander mit den Platten, die sie
zur Mahlzeit servieren, übertreffen
wollten. Von den Journalisten voll-
ends, die nur die Phantasie anzu-
regen und Spannung zu erzeugen
trachten, hat ein französischer Stan-
desgenosse gesagt: »its tont cke l'im-

pression ao lieo cke taire cke le. littera-
ture«, und von da bis zur Sensation
ist nur ein Schritt. Wo das Neue
allein nicht mehr kitzelt, tut diesen
Dienst nur noch seine Aufbauschung —
die Erfindung aufregender Nachrich-
ten —, die Herausgabe lärmender
Extrablätter, denen, wie man im
voraus weiß, das Dementi auf dem
Fuße folgen muß —, das Wühlen
in Persönlichem und Gerichtsberichte
nach Art der Greuelmaler in Kolpor-
tageromanen —, mit einem Worte:
das ungesund Sensationelle. Natür-
lich gibt es auch eine gesunde und
daher erlaubte Sensation, die eine
Zeitung hervorrufen darf; oder wa-
rum sollte sie nicht suchen, mit etwas
Aufsehen Erregendem zuerst auf dem
Platze zu sein? Es kommt nur darauf
an, daß ihre Mitteilung wahr ist und
keine berechtigten Jnteressen kränkt."
Dieser Schilderung haben wir nichts
Wesentliches hinzuzufügen. Wie man
allerdings soll „sensationell" sein
können, ohne „berechtigte Jnter-
essen" zu kränken, ist schwer einzu-
sehen. Und wenn es nur die Jnter-
essen des Konkurrenten wären, der
nicht so sensationell zu sein vermag
wie sein Vordermann. Curti meint
zum Schlusse, daß die Auswüchse
des Zeitungswesens durch Vor-
schriften bekämpft werden könnten.
Er hofft da: „Auf dem Weg zum
Ziele befinden wir uns bereits, wenn
wir des Schädlichen, was zu beseitigen
ist, erst bewußt geworden sind und
den Entschluß fassen, eine Besserung
vorzunehmen. Wie alle organischen
Umgestaltungen wird auch diese nicht
rasch vollzogen werden können, son-
dern nur ein Werk der Jahre sein.
Die größte Schwierigkeit besteht viel-
leicht gerade darin, daß das Pu-
blikum, das zwar die Presse beständig
schilt, doch unsere Fehler liebt und
uns nicht gestatten würde, sie von
einem Tag auf den andern abzu-
legen. Aber sollte nicht die Presse

6H2 Runstwart XVIII,
 
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