Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1906)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Freudigkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0016

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Quell", und der dachte: „Leid löscht die Kraft und den Verstand, die
Freud ist Gottes Feuerbrand", war auch kein Frivoler, es war Arndt.
„Wenn dir die Freude mangelt, kauf ich dir das Andre nicht um des
Rauches Schatten ab für frohen Mut" — es wäre ein leichtes, dies
Wort des Sophokles noch mit hundert Aussprüchen unsrer Denkenden
zu bestätigen, aber das viele Zitieren macht seinerseits keinem Freude,
und wir brauchen nicht weiter daran zu erinnern, daß über die „Tochter
aus Llysium" die Meinungen unsrer Großen zusammengehn. Päda--
gogen wissen, daß nur die lnstbetonte Vorstellung rechter Gewinn
wird, Psychologen haben es begründet, Physiologen haben untersucht,
ob nicht das Lustgefühl schlechterdings das Zeichen sei, daß die Zelle
sich nährt. Was ist alle Menschenkultur anders, als ein Streben
nach Glück? Man sollte denken, im Mittelpunkt aller Kulturgedanken,
aller Kulturtaten müßte die Freude stehn. And dennoch: wer wagte
frischweg zu bestätigen, daß nnsere Zivilisation freudig sei?

Ach nein, die Freudigkeit hat anch laue Frennde und hat sogar Feinde.
Der Feinde erstes Fähnlein wird von dem jetzt freilich vermummten und
verstummten Geist der Askese gesührt. Der war ein unvermummtes und
redendes Lebewesen, als man noch einen Frohsinnsverdammer in dem--
selben Iesus sah, der Wasser in Wein verwandelte und den ein paar
neuere Theologen geradezu den Lebenssreudigen nennen. Auch ein
klares Bessererkennen verscheucht eben aus den Gewohnheiten des Ur--
teilens nicht über Nacht, was anderthalb Iahrtausende sorglich darin
gehegt haben. Und zu denen, die wissen, daß sie Asketen sind, und zu denen,
die welche sind, ohne daß sie's wissen, sammelt sich bei Licht und Dunkel
aus allen vier Windrichtungen eine große und höchst gemischte Bundes-
genossenschast: weil Freudigkeit Kraft nicht nur gibt, sondern zunächst
auch einmal verlangt, ist sie nichts für alle, die keine haben. Der
Aesthet, dem die Augen und Ohren verweichlicht sind, weil ihm ihre
allerpeinlichste Abwartung Selbstzweck ist, verliert im Geschmäcklerwesen
die Kraft, sich mit seinem ganzen Menschentume zu freuen. Der
Weltschmerzler weiß nicht recht, ob ihm seine Theorie das erlaubt.
Der Politiker mag ohne all die trüben Wolken in der Wetterecke die
Sonne nicht, weil ihr freier Platz da oben möglicherweise mal kleiner
wird. Der Neurastheniker, der unsere Kultur so unheimlich mit be--
stimmt, trägt schon im Namen das Nnvermögen zum gesunden Starken.

Aber es kommen zur Wirkung dieser Leute-Gruppen noch ein
paar allgemeine Zeiterscheinungen hinzu, Gedankenverirrungen, Gefühls-
verirrungen seiner allerhöchsten Erdenmajestät, des Zeitgeists. Zunächst:
man verwechselt mit den vollbürtigen Freuden ihre Halbschwestern, die
Vergnügen. Deren Mutter ist auch Frau Natur, wir wollen sie des-
halb nicht so gering achten, aber ihr Vater ist der Rausch. Auch sie
haben Gold im Haar, aber sie stecken noch Putz darein, und sie er-
schöpfen sich im Iauchzen. Vollbürtige Freuden machen selten Lärm,
sie schreiten gar so aufrecht daher und blicken so trinkenden Auges in
die Welt, daß dir's dadurch allein in ihrer Gesellschaft wohl wird,
und aus ihrem Händedruck strömt es in dich. Wenn sie singen, ist's
leise, aber in deinem Herzen summt's fort, wie Lerchensang im Blau,
auch wenn du die Lerche nicht mehr siehst. Nüchtern gesprochen: der
gesunden Freude Kennzeichen ist, daß sie als schöpferische Stimmung

2 Kunstwart XX, t
 
Annotationen