Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1906)
DOI Artikel:
Lüpke, G.: Hugo Wolfs Jugendlieder
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Millet
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0318

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und sangbar, das die Ausbeute des ganzen Heftes noch um ein
nicht schweres, zum Vortrag geeignetes Stück vermehrt.

Nochmals: zu bedauern bleibt es, daß ein Teil der vorhandenen
Produktion aus jener frühen Zeit von der Verösfentlichung ausge-
schlossen geblieben ist. Besonders der noch fehlenden Lenaulieder halber
wäre es wünschenswert, hier ausnahmsweise einmal nicht den Stand--
punkt einer vorsichtigen Pietät walten zu lassen — der Freunde
und Verehrer sind genug, die ein Recht darauf haben, alles kennen
zu lernen, was von Wols vorhanden ist. Da der einzig berechtigte
Kritiker, der Komponist, nicht mehr seinen Willen in die Wagschale
werfen kann, muß die Einsicht in den Rachlaß — solange nicht andre
zwingende Rücksichten vorliegen — jedem überlassen sein und darf
dem Arteil der Ofsentlichkeit nicht vorgegriffen werden. Vielleicht
holt der rührige Verlag, dem wir die Kenntnis jener ersten ,Tage
von Lodi" verdanken, das Versäumte noch einmal nach?

G v Lüpke

Millet

Das Bewußtsein vom Wert unsrer eigenen, der deutschen Kunst
ist unter unsern Volksgenossen Gott sei Dank jetzt kraftvoll herauf--
gewachsen. Ls sieht nicht aus, als wenn die Bewunderung vor dem
Fremden uns so bald wieder blind machen sollte gegen das Ligene.
Vor der entgegengesetzten Gefahr aber schützt uns unsre vielbespöttelte
Anlage ohnehin: wir Deutschen werden uns schwerlich je Großem
deshalb verschließen, weil es jenseit der Grenzen erwachsen ist. Und
ein Maler vor allen andern lebte auch unter den neueren Fran--
zosen in der Tat, dem sogar in viel höherem Maße noch als bisher
die Bewunderung, die Liebe, die Gefolgschaft auch von uns Deutschen
werden sollte: Millet. Deshalb hab ich ihm eine eigne Künstler--
mappe eingeräumt, ebenso wie dem Bildhauer Meunier.

Welchen Geistes Kind Millet war, sieht schon, wer seinem Lebens-
lauf aus der Ferne nachgeht. In dem nördlichsten Winkel der Nor--
mandie, der sich von Cherbourg aus der englischen Insel Alderney
entgegenspitzt, liegt im Kirchspiel von Gröville das Vorwerk Gruchy,
wo Iean Franyois Millet am Oktober geboren ward. Toben
die Wogen dort gegen die Granitklippen, wehe dann dem Schiff,
das ihr Spielball wird — wer dort aufwächst, der kennt den Todes--
kampf der Schiffer aus schauerlichen Erinnerungen. Sind aber die
Meerwinde an den Schroffen hinangestiegen, so ziehen sie über ein
großes, stilles Land aus Wiesen, Ackern, Heiden und Mooren, das
mit altertümlichen Dörfern bestreut ist, die sich in Obstgärten hüllen.
Dort waren Millets Vorfahren fromme und fleißige Bauern. „Ilm--
woben vom Winde und gebadet im Ather" stand die alte Alme bei seines
Vaters Haus, unter der der Knabs spielte, aber das Spiel ward
bald Arbeit in einem Leben, das von strengem Glauben geweiht
und von geheimnisvoller Sage umgeistert war. Es verstand sich auch
für Iean Franeois ganz von selbst, daß er Bauer wurde.

Obgleich seit der Kinderzeit schon ein Träumen in ihm flüsterte:
werde ein Malerl Da es auch in dem Bauersknecht weiterwebte,
der doch noch immer nichts von Kunst um sich sah und nichts von


l. Dezeinbeicheft

255
 
Annotationen