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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1907)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Vom Büchlein "Heb mich auf!"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0772

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Iahrg. 20 Erstes Märzheft 1907 Heft l!

Vom Büchlein „Heb mich auf!"

Wird man erst einmal in eine Tätigkeit hineinleuchten dürsen, die
jetzt ans praktischen Rücksichten größtenteils „vertraulich" bleiben muß,
so wird man, glanb ich, dem Arbeitsausschusse des Dürerbundes auch zu-
geben: es hat ihm nicht gerade an Ideen gesehlt. Der Dürerbund-Plan
jedoch, den ich persönlich für unsern allerglücklichsten, sür unsern aller-
aussichtsreichsten halte, ist in keinem unsrer Hänpter aus der Intuition
gesproßt. Er hat seine erste bescheidene Anwendung in der Praxis
eines jungen Volksschullehrers gefunden, Robert Henseling mit Namen,
der darüber nachsann, wie er seinen Kindern noch über die Schulzeit
hinaus nützen könnte. älnd das ist für uns sämtliche übrige „Kunst-
erzieher" eigentlich eine rechte Beschämung, denn hier ist eine Idee,
die wirklich an das Ei des Kolumbus erinnert. Run hat sie der
Dürerbnnd aufgenommen, und will's Gott, so wird der Samen ans
der Radebeuler Volksschule mit der Zeit sich vervielfältigen zu einer
Aussaat im ganzen Deutschen Reiche und darüber hinaus.

Der Plan ist viel mehr, als eine Schulsache, aber gekeimt ist
er als eine solche. Hören wir, was der Lehrer selber darüber dem
Dürerbnnde schrieb. „Wenige Stunden im gesamten Schulleben sind
so ernst und gehen dem Lehrer so nahe wie die Stunde, in der er
eine Abteilung von Konfirmanden ans den Händen gibt und die
Schar, die dnrch acht Iahre heiterer Kindheit Gegenstand seiner Mühe
und seiner Sorge war, sich zerstreuen sieht, zerstreuen für immer
auf die dunkeln Psade eines ernsten und harten Lebens. Fragen
der Selbstprüfung tauchen aus: Ist an den jungen Seelen getan
worden, was an ihnen getan werden sollte? Werden sie trotz aller
Hemmnisse hinausfinden zu dem, was wir mit kurzer Formel Cha-
rakterstärke der Sittlichkeit nennen? Oder werden ihre künftigen Schick-
sale zu Zeugen werden gegen die, die sich einst ihre Lehrer und
Erzieher nannten? Wie die sozialen Verhältnisse heute liegen, sind
ja besonders in Industrieorten die Lehrer ost auch die einzigen und
die letzten Erzieher: Vater, Mntter, ältere Geschwister — wie ost
müssen sie alle von früh bis spät dem Broterwerbe nachgehen!
Wie oft zerstört sogar die »Erziehung« daheim mehr als sie
baut! Nun aber gibt der Lehrer die Leitung der jungen Seelen an
ganz andere Mächte ab: vom Zufall ausgelesener Nmgang, Berufs-
arbeit und die ganze Fülle wechselnder Schicksale übernehmen sie.
Wie geringe ist, von dem Erlernten abgesehen, gerade unter den
angedeuteten Verhältnissen das, was wir den Kindern an Bleiben-
dem mitgeben können! Wie ost sind schon nach wenigen Iahren
sogar die Erinnerungen an den ganzen großen Kreis von Gedanken
und Vorsätzen völlig verblichen, der sich einst um die Vorstellungen
Lehrer und Schule gerundet hatte! Nnd der Lehrer sragt sich:
Könntest du nicht wenigstens etwas von dem, was den jungen Menschen
für immer Hilfe böte, ihnen in ihre Zukunft hinüberretten?"

Henseling setzte sich nun hin und verfaßte sür seine Schüler

s. Märzheft G07 S2s
 
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