Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1906)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Artikel:
Unsre Bilder und Noten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0294

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gedenken — sie finden ihren Aus-
drnck im Kranze, welcher an die
EwigkeiL erinnert, die nicht An-
fang noch Ende zeigt — dem
Kranze gleich.

Deshalb möge jeder, der sonst
kulturellen Aufgaben wohlwollend
gcgenübersteht, der Pflicht einge-
denk sein, heilige Aberliefe-
rungen der Kultur zu pfle-
gen.

Ia, wer möchts nicht „kulturellsn
Aufgaben wohlwollend gegenüber-
stehen" und der „Pflicht eingedenk
sein, heilige Aberlieferungen der
Kultur zu pflegen"! Da werden
wir doch wohl, wenn uns ein lieber
Frcund verläßt, seinen nächsten Ver-

wandten ein siebenunddreißigstes
odcr hundertzwölftes Sinnbild der
EwigkeiL schicken müssen. Man könnte
uns ja sonst sür teilnahmslos halten.

And noch eine zweite Gefahr
droht; die „Verbandszeitung deut-
scher Blumengeschäftsinhaber", die
von mir sagt, ich wolle „dem Volk
den letzten Funken von Empfin-
dung gegenüber den Verstorbenen
nehmen", deutet sie uns allen an:
„Wir waren bisher gewohnt, daß
die Annoncen »Kranzspenden ver-
beten« sich in ausgesprochen jüdi-
schen Blättern fanden, und daß man
diese Veröffentlichung mit der ritu-
ellen Auffassung verteidigte."

W Vode

Beginnen wir, abweichend von der Reihenfolgs unsrer Beilagen im
Heft, die Betrachtung mit den beiden von Alfred Kubin. Wir haben
von den höchst merkwürdigen Traumbildern dieses Künstlers den Lesern
früher schon mehrere gezeigt (Kw. XVI, A), diese beiden hier erweisen noch
klarer: wie Kubin, fast als der einzige unter allen unsern Malern, den
Traum auf seine Bildlichkeit hin studiert. Denn „StudierV sind es,
die wir vor uns sehen, „Traum-Studien", wie man all die andern Studien
nach der Natur als „Wach-Studien" bezeichnen könnte. Auf einem großen
leeren Platz im Traum-Grauen steht nur ein Bett und ein Stuhl, jetzt
aber bröckelt dort ein Haus zu Boden und senkt sich dort der Turm vorn-
über, zusammenbleibend wie aus Holz geschnitzt — wer kennt dergleichen
nicht aus unsrer „zweiten Welt"? Ein ungeheures Feld mit Steinen —
sind's Gräber? — und zwischen ihnen schreitend eine Spukgestalt — wer
hat das noch nicht geträumt? Kubin versteht es ganz virtuos, die Traum-
stimmung wiederzugeben, diese Stimmung, die über nichts erstaunt, die
an alles ohne den leisesten Zweifel glaubt, was sie sieht, und die deshalb
ganz ohne Widerstand davon mitgenommen wird.

Gibt Kubin hier feine Studien, so gibt uns der Dresdner Wolf -
gangmüller ein Bild. Scheinbar einfach eine Landschaft aus der
Wirklichkeit, einen Alpsee zwischen flechtenübergrünten Granitblöcken, die
ein Bergsturz zusammengeworfen haben mag. Wenn wir uns aber in das
Bild hineinsehen, bis diese „Wasser der Einsamkeit", vom Sturm durch
die Sde gepeitscht, über die Klippen zu rieseln, bis die Felsen nicht nur
zu stehen, sondern zu starren, und bis die Sterne durch die fröstelnde Luft
darüber zu blitzen beginnen, dann empsinden wir: hier ist ein Stück
Wirklichkeit traummäßig umgefühlt. Das kann geschehen sein ganz ohne
daß der Maler sich dessen bewußt ward. Aber schwerlich hätte dieses
Bild einer malen können, der nicht auch intensiv träumte. And schwerlich
hätt' es anderswie seinen Gehalt an Ausdruck gewinnen können.

2. Novemberheft (906

2S9
 
Annotationen