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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 12 (2. Märzheft 1907)
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Langen, ...: Musik und Religion in der Gegenwart: auch eine Osterbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0826

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Iahrg. 20 Zweites Märzheft 1007 Heft 12


Musik mrd Neligion w der GegenwarL

Auch eine Osterbetrachtmrg

Gehen wir aus von Wesen und Wirkung der Musik. Nehmen
wir das Wort „Musik" in seiner weitesten Bedeutung, wie es nicht
die Musiker allein, sondern wie es die Dichter gebrauchen, so werden
wir vom äußeren Schakl des Wortes und von der schemenhaften
(Lrscheinung des Begrisses bakd zu den warmen Adern der Lebens«
macht „Musik" gekangen.

Wenn der Dichter sagt: „So ging er zum SLrande hinab und
kauschte lange der eintönigen Musrk der sich brechenden und leise
verrauschenden Wekken," — „dann gingen die bunten Gestalten des
Tages zu den Schatten, und einsam kam die Nacht, in dunkle Ge--
wänder gehülkt, setzte sich nieder am Waldrand und spiekte auf ihrer
sitbernen Harfe, daß alle Blätter leise rauschen und mitsingen mußten,"
oder wenn Mörike in seinem Gedichte „'blm Mitternacht" die Quellen
ihr Schlummerlied singen hört, so sind das alles Töne, welche sich
akustisch genau erklären lassen, Geräusche der Natur, welche an sich.
nichts mir Musik zu tun haben — aber im Innern der Seele, die
sie hört, die ihr Schwellen und Sinken mitempfindet, da werden sie
Musik. — Doch auch wo alle äußeren Klänge fehlen, wo irgend ein
Glücksgesühl oder ein Schmerz sich regt und keine Worte findet,
da ist Musik.

Echte Musik gibt es nur innerhalb der Grenzen der Menschen-
seele. Sie wohnt in ihr, wie der Atem im Körper wohnt. In jedem
Menschen, der überhaupt eine Seele hat, lebt und webt eine stille
innere Musik, die beim musikalischen Menschen nur wunderbar ver-
stärkt und geleitet wird durch die äußeren Klänge, wodurch wir die
enge Verwandtschast der inneren und der äußeren Musik erkennen.
Iede äußere Musik, wenn sie nicht ein bloßes Tongeklingel sein soll,
ist aus einer inneren entstanden und kann nur aus der Seele kommen.
Hier entsteht sie als Ausdruck zarten und gewaltigen Fühlens im
Tondichter, hier erklingt sie wieder, nachdem sie über Notenpapier,
Instrument und äußern Klang, meist noch durch Vermittlung eines
dritten, Ausführenden, den weiten Nmweg durch die Welt des Stosfes
gemacht hat. Was auf diesem Wege an Reinheit und Stärke ihr
verloren ging, erhält sie nur zurück in der Seele des Hörenden.

Die Abertragung von Gesühlen ist das Wesen und die Auf-
gabe der äußern Musik. Wie diese hörbaren und sichtbaren Musik-
gebilde entstanden sind, ist eine reine Frage der Kunstbetrachtung,
welche mit der tiefsten seelischen Vedeutung der Musik ebensowenig
zu tun hat, wie die Freude an einer Blume mit der wissenschastlichen
Zerlegung ihrer Bestandteile.

Gewiß ist es auch äußerst reizvoll zu ergründen, wie aus der
inneren Wusik, welche bei den meisten Menschen unbestimmt kommt
und scheinbar spurlos vorübergeht, sich in der Seele des Musikers


2. Märzheft G07

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