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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1906)
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Batka, Richard: Das Leitmotiv
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0030

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Das Leitmotiv

Auch die Kunst der Töne hat ihre Ammenmärchen. Ich meine:
gewisse unhaltbare Schlagworte, die jedem, der ins musikalische Leben ein-
tritt, sozusagen schon an der Wiege als bedeutungsvoll zugerannt werden,
die dann nnausrottbar in den Köpfen der Laien rumoren und sogar
manchem ergrauten Fachmusiker und Kritiker gelegentlich noch einen
Schabernack spielen. Solchen ästhetischen Spuk mit starken Sprüchen
ins Grab zurückzubannen, ist kein schlechtes Werk. Vielleicht ver-
suchen wir's an dieser Stelle in Zukunft häufiger. Für hente lade
ich ein, in den Sagenkreis des vielbernfenen Leitmotivs einzubrechen,
um einmal nachzusehn, was darin Kraft nnd was nur Schein ist.

Leitmotiv! Schon der Name, den meines Wissens Hans von Wol-
zogen zuerst gebraucht hat, wird angesochten. Andere sagen: Type,
wieder andere: Tonsymbol. Aber das ist ein Streit um Namen. Auf
das Wesen kommt's an.

Wollte man auf die Gegner hören, deren Kritik natürlich karikiert,
so ergäbe sich dieses Wesen aus folgendem. Wer eine Oper oder ein
Oratorium oder sonst „so etwas" zu schreiben plant, legt das Verzeichnis
der vorkommenden Personen vor sich auf den Tisch und erfindet für
jede ein möglichst bezeichnendes Symbol. Ebenso für alle treibenden
Mächte der Handlung, als da sind: Liebe, Rache» Mord, Fluch, Er--
lösung. Nnn kann das Komponieren ganz hübsch verstandesmäßig von»
statten gehen. Sobald vom Vater die Rede ist: Motiv des Vaters.
Sobald der Held auftritt: Heroenmotiv. Der Tondichter entwirst dann
sein Werk mechanisch, indem er die Motive numeriert und Zeile für Zeile
des Textes die jeweil passenden Nummern anmerkt. Woraus ein musi--
kalischer Handlanger mittelst der ihm vorliegenden „Thementasel"
eine Notenskizze herstellt. Dann braucht der Komponist nur die
nötigen Modnlationen und Transpositionen vorzunehmen, und ein
Werk wäre der Hauptsache nach vollbracht, auf dessen „innere Logik"
der Nrheber sich was zugute tun könnte. — Ich weiß nicht, ob je
ein vernünftiger Musikus aus eine solche Weise Opern geklittert hat.
Aber ich weiß, daß einzelne Klavierauszüge erschienen sind, denen die
Thementafel fein säuberlich vorgedruckt war. Mich persönlich mutet
das nngesähr an, wie wenn auf einer Speisekarte jedem Gericht die
chemische Analyse beigeschrieben wäre.

Blicken wir nach der papierenen Theorie nun einmal auf die
lebendige Praxis eines Meisters, etwa Wagners in seinen „Meister--
singern". Ich schlage die Ansprache Pogners auf. Bei den Worten
„Das schöne Fest Iohannistag" springt mir das Motiv

?








-^—

entgegen. Nach der landläufigen Lehre müßte es nun jedesmal, wenn
es auftaucht, in mir die Vorstellung des Iohannistages erwecken. Ls
ist gewiß von zwingender Wirknng, wenn im dritten Akt, bei der
Stelle „nun aber kam Iohannistag" die Musik mit einem wunder-
baren harmonischen Ruck aus dem glitzernden L-6ur nach dem tag-

Kunstwart XX, s
 
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