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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Freudigkeit
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Fischer, Theodor: Was ich bauen möchte
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0019

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streben verleiht, die Feierlichkeit, die überall Würden verletzt sieht, wo
man natürlich ist, die den Volksfesten selten etwas von ihrer Roheit,
desto mehr aber von ihrer Arsprünglichkeit wegreglewentiert und auf
ihren Spezialgebieten an Stelle des gesunden Frohworts die Phraso-
manie gezüchtet hat. Wir sollten dem Humor wieder freieren Lauf, freien
Lauf mitunter sogar über Grasplätze lassen, und ihm mehr Pritschenrecht
geben anch dann, wenn gelegentlich ein Hieb uns selber brennt.
Wir sollten nns die Äberempfindlichkeit wegerziehn, die sich durch jede
Meinungsverschiedenheit gekränkt fühlt und deshalb im Andersdenkenden
den sittlich Minderwertigen sieht. Weiter: wir sollten die Schule . . .
ach nein, reden wir nicht von der Schule, die Schule ließe uns heute
nicht wieder los! Und, alle Wetter, überhaupt: kommen wir doch
nicht etwa selber in feierliche Philippika! Steht's darum schlecht um
unsre Sache, weil wir Raum haben zur Arbeit dafür?

Wie nene Freuden zu erschließen sind, darüber unterhalten wir
uns seit bald zwanzig Iahren, was hätt' es sür Sinn, heut Kost--
proben .aus all den Redetränken zu zapfen! Freuden können nur
aus dem Leben kommen, und eines der Mittel, zum Leben zu führen,
ist Vollkunst, will sagen: nicht auf dem Wege zur Seele stecken--
gebliebene, nicht solche, die in Ohren- und Augengerichten verkocht,
sondern solche Kunst — es geht halt schon wieder nicht ohne Goethe,
die „Frohnatur", — „die sättigt und nährt". Vollkunst, die unser Fühlen
bereichert, ordnet, bildet, die uns befähigt, mit immer besseren Organen
Leibes und der Seele die Freuden auch aus dem Leben selber an unsre
Herzen zu holen. Wir haben hier keine allgemeine Sozialpolitik zu
treiben, und wie sehr man bisher die Mitarbeit der ästhetischen Kultur
an der Mehrung der Freudigkeit der Nation unterschätzen mochte,
die soziale Arbeit, die hier rust, kann nur durch Verbindung aller
Kultur gedeihen. Wo der Einzelne für sich nicht wirken kann, kann
er's in Gemeinschaften. Darum würde auch das Organisieren der
Bildung zur kräftigern Mitarbeit am gemeinen Wohl, das wir er-
streben, nicht nur der Allgemeinheit, es würde zugleich den Einzelnen
helfen, „Arbeitswochen in Sonntagsstimmung zu leben".

Das Allerwichtigste scheint mir doch, daß der Gedanke Allgemein-
gut werde: wo Freudigkeit fehlt, da fehlt Gesundheit, da ist
also irgend etwas nicht in Ordnung und folglich, da muß ge-
holfen werden. Haben wir einst nur das erreicht, daß in unserer
Kultur der Mangel an Freudigkeit überall als ein Alarm-Zeichen am
großen Manometer beachtet wird, so haben wir was erreicht. A

Was ich bauen möchte

Es klingt ein wenig anspruchsvoll, wenn ein Baumeister sich nicht
daran begnügen lassen will, daß er die Aufgaben ausführe, welche ihm
das Leben in seiner Vielgestaltigkeit stellt; wenn er außer Wohnhäusern,
Kirchen, Schulen und allem andern noch etwas besonderes sich zur
Aufgabe wünscht. Weil ich aber trotz Impressionisten, Kunstgewerblern
und was sonst jetzt obenan ist, die Baukunst als die erste der Künste
ansehe und meine, daß es ihr wohl anstehe, die Schwestern zum Fest
zu laden; weil ich ferner glaube, dort, wo ich hinsteuere, eine Lücke

j. Oktoberheft lh06 s
 
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