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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1906)
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Gregori, Ferdinand: Shakespere: gesehen von einem Schauspieler
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Avenarius, Ferdinand: Die Werke und wir, [1]: "Im Grase" von Annette von Droste-Hülshoff
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0026

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zu Aufführung entdecke ich wohl neue Schönheiten, neue Verknüpfungen,
aber den festen Boden habe ich von Anfang an unter dcn Füßen,
und auf ihm läßt sich mit unsäglicher Lust der Tempel bauen.

Wien Ferdinand Gregori

Die Werke und wir

r Grase" von Annette von Droste-Hülshoff

Mit diesen Zeilen eröffnen wir eine Reihe von Beiträgen im
Kunstwart, mit deren Ersolg ich dereinst zufrieden sein will, wenn er
halb so groß ist, wie heute mein Hoffen. Eine Anzahl von Kunst-
freunden will uns hier sprechen, ein jeder von irgend etwas, das ihm
besonders wert, das ihm lieb ist. Von einer Schöpsung der Dichtkunst
oder der Literatur im weiteren Sinne, oder einem Denkmal der bildenden
Künste, oder der tönenden. Aber ich sehe nicht ein, warum wir nicht
mit der Zeit auch Werke der Natur mit einbeziehen könnten, eine
Landschast oder ein Stück lebendiger Kreatur. Nnd ich meine ferner:
es wird uns nur erfreulich sein, wenn das nämliche Werk Verschiedene
von ihren verschiedenen Standpunkten aus beleuchten, den Faust etwa
jetzt der Dichter-, dann der Denkerfreund, und wieder der Schauspieler
und nun einmal der Historiker, und noch allgemeiner: einmal der junge
Mensch, einmal der alte, einmal der „altmodische", einmal der „moderne".
Nur soll sich's bei diesen Aussprachen nicht eigentlich um kritische Gänge
handeln, nicht um irgendwelcherlei Art von Rezensieren. Zwar: echte
Liebe ist nicht blind, echte Liebe hat scharfe Augen, denn ihre Blicke
fühlen, sie fühlen also auch Härten und Leeren: wir wollen keine Lob-
singereien anstimmen, als wäre in der Welt des nie vollkommenen
Irdischen irgendwo kein letztes zu vermissen. Aber nicht um des Ab-
schätzens und Zensurierens wegen wollen wir hier sprechen, noch um
einzuordnen in irgend ein kritisches Fach, sondern um unser Fühlen
zu übertragen, wo es der höchsten Freude genießt, wo es lieben darf.
Wir meinen: wenn wir das mit aufrichtigen Worten tun, so wird das
ein leises Hinsühren sein für die, die folgen wollen. Ein Hinführen
zu uns; es wäre gewiß zum Segen, wenn wir einander in unserer
verschiedenen Art, auf Werke zu „reagieren", besser kennen lernten.
Ein Hinführen zum Werke und zu seinem Schöpfer: es wird eine
Bereicherung für uns bedeuten auch dann, wenn der Sprechende uns
zu dem, was er liebt, s o nahe nicht führen kann, wie er ihm selber steht.

Wir werden uns auch an räumlich große Werke wagen, beginnen
aber möchte ich heut mit einem mäßig umfänglichen Gedicht. Wer
an sich erfahren hat, was ein in seinem tiefsten Leuchten erschauter
lyrischer Krystall als Lebensgut bedeutet, der wird mir das nicht übel
nehmen — hat doch ein gutes Gedicht wirklich etwas vom Radium:
es strahlt und wirkt und schwindet kaum. Aber die besten Gedichte
sind uns Heutigen keineswegs immer leicht verständlich, denn in einer
Zeit der säuberlichen Begrifsskultur verlangen sie kräftige Arbeit von
der Stieftochter dieser Bildung, der beim Mangel an Äbung ach so
steifgliedrig gewordenen Phantasie. Nun wüßte ich persönlich aus der
ganzen deutschen Lyrik vielleicht nur ein halbes Dutzend von Gedichten
zu nennen, die mir so ohne jede Einschränkung als genial erscheinen,

12 Kunstwart XX, ^
 
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