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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 4 (2. Novemberheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Sprechsaal: der Feldzug des Türmers gegen den Kunstwart
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0253

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gewesen wäre, sehr wesentlich andre Gründe an, als Herr von Grotthuß
in der oben zitierten Erklärung angab. In der rnündlichen Begründung
hieß es laut Stenogramrn: „Herr von Grotthuß würde höchst unklug
gehandelt haben, wenn er V02 eine Klage gegen Avenarius angestrengt
hätte, da er zweifellos damit nicht durchgedrungen wäre." A.nd in der
schriftlichen Ausfertigung der Arteilsbegründung wird, wie ich schon oben
erwähnte, erklärt, daß bei einer früheren Grotthußischen Klage „die
Freisprechnng von Avenarius die zweifellose Folge
des Rechtsstreits gewesen wäre".

Ob's einem gefällt, in der Weise, wie Grotthuß tat, vom Verjähren
Nutzen zu ziehen, das mag ja Geschmacksache sein. Erstaunt aber war ich
doch, als ich im Türmer (VIII, (0) las, daß Grotthuß seinen Lesern
(T. VIII, sO) von diesem Prozesse als von einem „moralischen Er--
folge des Türmers" spricht. Wirklich, es steht so da: „des Türmers".
Ich meinerseits habe den verbündeten Herren nur noch zuzusichern: sie
mögen gegen mich schreiben, behaupten, arrangieren, was, wann, wo
und wie es ihnen irgend beliebt, ich gebe ihnen ganz unbegrenzte Frei-
heit, ich werde sie nie verklagen. Nicht aus Großmut, sondern aus
andern Gründen nicht.

Bernina-Hospiz, am 9- Oktober (906 Ferd. Avenarius

Lose Blätter

Träume in Dichtungen

(Actvi:« jLsi, alles fließt, alle Zeit ist „eine Welle der Ewigkeit". Wir
Zeitkinder aber in unsern Stuben und Staaten kommen nur zu leicht
dahin, in diesen Sinnbildern, in diesen Bildern, die vom Sinne des
Ewigfließenden künden, etwas an sich Gültiges und Dauerndes zu er-
blicken. Da muß die Welt rings um uns erstarren, und die Öde des
lebendigen Todes, die Langeweile gähnt einen jeden an, der nicht dazu
geschaffen ist, im Fabrizieren von Stiefeln, Büchern oder Verfassungen
an sich glücklich zu sein.

Das nnn ist ja das Befreiende an jedem echten, das heißt an
jedem lebendigen Kunstwerk, dem realistischen wie dem idealistischen, daß
es uns die Zeit stets wieder als ein Erzeugnis des ewigen Lebens zeigt,
mag es sich auch mit ihren winzigsten Wipfeltrieben und verkrümmtesten
Knorren befassen, denn auch den Sast, der dort quillt, saugt sie mit
ihren Wurzeln aus der Tiefe des Alls.

Eine Art Dichtung aber ist, die verwendet nicht nur die Bilder
der Zeit als Sinnbilder des Ewigfließenden, sondern sie handelt, als
wären diese Bilder auch während ihrer Zeitdauer schon in ewigem flüch-
tigem Wandel begriffen.

Ich meine, der Traum kennt keine Ehrfurcht vor den Formen
nnd Schranken der materiellen, der Zeitwirklichkeit: eine eiserne Kette
klirrt dir am Fuße nach, und er macht dich spüren, 's ist dein lästiger
Gegner, der dich den ganzen Tag über gehemmt hat; als Schäfchen aus
Holz stellt er deine Brant vor dich auf den Ladentisch des Krämers;
ängstlich hütest du die Kaulquappe im Wasser deiner hohlen Hand, aber
schon sitzt „es" dir im Schoße und ist dein einziges Kindlein, und nun
trägt es dich gar mit hellen Flügeln durch die Lüfte als „Liebe". And

198 Kunstwart XX, H
 
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