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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1906)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: Traum und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0232

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Iahrg. 20 Zweites Novemberheft 1906 Heft 4

Traum und Kunst

„Der Zustand dichterischer Begeisterung (wie tief empfind'
ich's in diesem Augenblick!) ist ein Traumzustand; so müssen
andre Menschen ihn sich denken. Es bereitet sich in des Dichters
Seele vor, was er selbst nicht weiß."

Hebbel, Tagebücher !S. Mai (859.

I-

Ob die Kunst aus dem Traum entstanden ist?

Es ist eine sehr unsichere Sache, über die erste Entstehung der
Dinge zu sprechen. Die Dokumente der Erde sind für die alte Zeit
sehr vieldeutig. Dennoch können wir es nicht lassen. Es ist wohl
weniger ein wissenschaftliches als ein künstlerifches Bedürfnis, das uns
dabei treibt. Wir stellen uns das Wesen einer Sache am besten so
vor, daß wir sie allererst vor uns entstehen lassen. Das Etwaige, was
wir über alte oder älteste Zeit wissen, gibt den Stoff zum Bilde her,
die Farben.

Was ist das Wesen der Kunst? Das Gefallige, Ersreuliche? —
Die Tiere bevorzugen in der Liebeswahl das Gefällige. So hat das
Gesällige bessere Fortpflanzungsbedingungen. Die geschmücktesten Tiere
werden vorgezogen. Und so steckt sich der Mensch Federn ins Haar
nnd bemalt seine Haut: erste Kunst. — Oder die Nachahmung von
etwas Wirklichem? — Iener bekannte Schattenriß an der Wand, den
der Iüngling nach seinem Mädchen zeichnete! — Oder umgekehrt das
freie Gestalten mit „beseeltem Auge"? — Tut der Mensch das nicht
von selbst im Traume? Erwischt nicht sozusagen der Mensch sich selbst
beim sreien Schaffen, wenn er sich seines Traumes erinnert? Sind da
nicht die Gestalten der Wirklichkeit umgeschafsen? sreigeschaffen? Nicht
wie das Auge, sondern wie die Seele sie sah oder zn sehen glaubte?
Nach vielen Berichten der vielträumenden Nordländer scheint es, daß
sie ihre Feinde und überhaupt die Menschen nicht in ihrer eigentlichen,
sondern in Tiergestalt sahen: sie sahen die „Fylgien", die Geleitgeister
der Menschen. Sie sahen also das Seelische des Menschen.

Ich meinesteils halte sür das wesentlichste und am meisten be-
stimmende Element in der Kunst das Llement des Machtgewinnens,
des Besehlens. Rnd deshalb bin ich geneigt, das ausschlaggebende
Llement dessen, was „Kunst" in unserem Sinne heißt, in die Zeit der
Zauberei zurückzuverlegen. Ich sprach davon schon in dem Aufsatz
„Wie die Erzählung entstand^ (Kw. XVIII, (7).

Hier scheint mir erstmals ein Motiv, wie im ernstesten Kampf
ums Dasein ein Interesse daran entstehen kann, aus dem flutenden
Leben ein Stück nicht nur zu isolieren, sondern isoliert nachzubilden:
das Bild des Feindes, der durch Zauber vernichtet werden soll. Dieses
Bild hängt irgendwie real mit dem Arbild zusammen; was an ihm
vorgenommen wird, geschieht dem Nrbild. Ls gehört in die zweite
Welt, die das Wesentliche dieser Welt umsaßt — jene platonische Welt



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