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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 4 (2. Novemberheft 1906)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0274

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Ehrungen und Wertungen

Vor uns liegen „anspruchslose
BlätLer", die Theodor Rehtwisch
unter dem Litel „Raabe wird fünf-
undsiebzig" in Liebe zu unserm
Meister geschrieben und bei Georg
Wigand in Leipzig zum Druck ge-
geben hat. In Liebe, eine kritische
Würdigung fordern sie nicht her-
aus; sie werben schlicht und herz-
lich für Raabe um neue Freunde.
Aber die Schlußseiten geben zu
denken. Rehtwisch sinnt darüber,
wclche Ehrung man Raabe wün-
schen könne? Ehrendoktor ist er
ja — von einer Hochschule, also
von einem Kreise der Höchstgebil-
deten einen derartigen Sympathie-
beweis zu erhalten, bringt wirklich
Freude und Ehre, also gut. Aber
Rehtwisch wünscht mehr: „wenn nun
unser allergnädigster Kaiser als Kö-
nig von Prcußen den Altmeister
in sein Herrenhaus beriefe? Das
wäre doch eins seltene Ehrung des
deutschen Dichters und der dsutschen
Dichtkunst!" Und wenn sich's nicht
machen ließe, weil Raabe Braun-
schweiger ist, so ließe sich's, meint
Rehtwisch, vielleicht ermöglichen,
wenn ihn Berlin vorher zum Ehren-
bürger machte. An den Schwarzen
Adler wagt er sich zwar selbst mit
seinen Träumen nicht heran, aber:
„keine Brust atmet, die würdiger
wäre, den Orden pour le merlte zu
tragen".

Ich selbst habe an dieser Stelle
meine Freude übcr Thomas Be-
rufung ins badische Herrenhaus aus-
gesprochen und Entsprechendes für
unsre andern deutschen Vaterländer
empfohlen, aber ich möchte mich
dringend vor dem Verdachte ver-
wahren, als meinte ich, der Ehrung
der betreffenden Künstler oder Den-
ker wegen. Linfach deshalb hab'

ich's getan, weil's mir als höchst
unvorteilhaft für den Staat er°
scheint, daß er in seinen gesetzgeben-
den Körperschaften auf den Gebieten
der feinsten Geistesarbeiten die Mit-
wirkung der berufenen Sachverstän-
digen entbehrt, und weil, da die
zweiten Kammern nach politischen
Parteien gewählt werden, hier die
ersten allein in Frage kommen.
Wie schätzen wir denn eigentlich
unsre Genies ein, wenn wir glau-
ben, sie hoch zu ehren durch die
Zulassung in Gemeinschaften, deren
Sitze sich zum Teil vererben, zum
Teil aus königlicher Gnade an ge-
wiß sehr achtbare und tüchtige Leute
vcrgeben werden, die aber durchaus
keine Genies zu sein brauchen?
Entsprechend steht's mit den Orden:
wenn der „Schwarze Adler" an
einige Dutzend trefflichcr Generäle
verliehen ist, so können wir das viel-
leicht als den schwachen Ansang
einer Entwickelung nach dem Ver-
nünftigen hin begrüßen. Aber das
ist so gemeint: wenn solch eine In-
stitution das Ansehen als Versamm-
lung der Allerbesten im Volke be°
halten soll, so braucht sie dazu
auch unter den Künstlern und Ge-
lehrten die Genies. Die Genies ihrer-
seits bleiben auch ohne schwarze
Adler für jeden Denkenden von
Feldherrnrang, und zu den Den-
kenden gehören sie doch hoffentlich
auch selber. A

Neue Erzählungen

„Schwüle Tage." Von E.
von Keyserling (Berlin, S.
Fischer).

Ich habe den Band in einem
Zuge lesen müssen, so sehr hielt er
mich fest. Die drei Geschichten sind
mit einer heute sehr seltenen Be-
stimmtheit überaus lebendig erzählt.

2. Novemberheft (HOS

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