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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 8
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Avenarius, Ferdinand: Moderne Balladen
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Batka, Richard: Musikvöllerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0545

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heute noch von den Forderungen der Sachlichkeit irrlichtelierend ab.
Mir scheint, uns könnte im Balladenwesen eine Bewegnng gut tun,
die in einigem der Bewegung im Malerwesen ähnelte, wir brauchten
sozusagen „Freilichtballaden". Nicht als einzige, ja nicht,
auch die moderne Malerei besteht ja durchaus nicht bloß aus Frei-
lichtmalerei, so gut ihr die Bewegung getan hat. Man könnte auch
sagen: wir brauchten eine naturalistische Bewegung in der
Ballade. Hinein ins volle Menschenleben mit dem Grifs und die
Gestaltung zunächst so voraussetzungslos wie möglich; der Stil wächst
den Talenten aus den Bedingungen der Arbeit von selbst, wenn auch
nicht gleich beim ersten Versuch. Wie Klingers „Liebe" und sein
„Leben", wie sein „Vom Tode" hat auch Menzels „Lisenwalzwerk"
etwas von dem Geist der modernen Ballade, der in der Dichtung
bis jetzt nur zag herumgeht. Der Verkehr, die Industrie von
heut, die Technik von heut, die Arbeiterbewegung, der politische
Kampf — ich meine: da stecken der Balladenstosfe und der Bal--
ladenstimmungen, auch der ganz echten, düster-großen genug. Wahr-
scheinlich sogar so gewißlich mehr als in der Vergangenheit, als
die Bedingungen unsres Lebens mannigsaltiger sind. „Aber ge-
rade die Einsachheit der Verhältnisse macht ja den Balladenstoff
gut." Nein, sie macht ihn nur leichter gestaltbar. Auch das nicht
so sehr aus Gründen, die im Linst liegen, denn diese Vorteile werden
doch wohl ausgehoben von dem unschätzbaren Vorteil des Miter-
lebens. Sondern, weil sür die Behandlung des Neuen die Krücken
fehlen, die Herr Vordermann gesägt und gehobelt hat.

Wir brauchten eine Balladenpoesie, die unter der Sonne des
tzeute empfangene Keime unter freiem Himmel sern von den Rüst-
kammern und Bibliotheken in eben dieser Sonne reiste. Nnd ich bin
dessen in voller Zuversicht: wenn die wachsende literarische Bildung
erst unsre Ohren dafür geschärst hat, wo geschmiedete und wo Theater-
schwerter aneinander schlagen, dann werden wir eine solche Poesie
auch ganz von selber bekommen. Rnd damit auch aus diesem Ge-
biete einen wirklichen Ausdruck der Gegenwart nicht etwa statt des
Ausdrucks dessen was einst war oder was zeitlos ist, aber immerhin
neben ihm. A

Mustkvöllerei

„Zu viel Musik!" — das ist die immerwährende Klage. Mein
Nachbar seuszt sie, wenn mal bei uns nach Herzenslust musiziert
wird. In den Berichten über Opernaufsührungen, Konzertabende,
Musikseste bildet sie den Kehrreim. „Etwas weniger wäre mehr ge-
wesen." Ieder gesteht's, keiner leugnet's, und doch wird jahraus,
jahrein aufs neue dawider gesündigt. Gehen wir einmal den Rrsachen
und den Folgen dieses öffentlichen Abels nach.

Altere Leute, die man etwa besragt, werden übereinstimmend
erklären, daß die Musikabende zu ihrer Zeit niemals so unmäßig
lange gewährt hätten. Auch so maßlos lange Werke habe man ehe-
dem nicht komponiert. Das mag im allgemeinen richtig sein, obwohl
z. B. die H-Moll-Messe oder Opern, wie „Hugenotten" oder „Rienzi^,
ja selbst wie „Don Iuan" mit ihrer mächtigen Ausdehnung als

^44 Kunstwart XX, 8
 
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