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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1906)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0431

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sänke, als wenn ich selbst versänke mit allem, was mir gehört, so eine
Armut packt mich unb ein Schmerz. Das Unendliche bricht über seine
Ufer, in denen es geschlafen, und bedeckt mich, wie ein Grab, und sein
Nauschen erfüllt mich unaufhörlich, daß ich mich nicht mehr höre. —
O Meer! — O unendliches Immerwieder! — O unermessenes Ungeheuer,
in dem ich bin, wie ein flatternd buntes Gras, das an den Strand ge°
worfen im Sande liegt und dorrt. Dich muß man sühlen und deine Wogen
hören, dann erst versteht man die Welt — die kleine Welt, die sich immer
neu dünkt, und doch nur atmend auf und ab rollt, wie das Meer! Denn
auch die Menfchenwelt ist ein ewiges Immerwieder, ein unermessenes Un--
geheuer, das atmend auf und ab rollt. Und du merkst nicht, daß auch
du nur eine Welle bist, von Sonne vergoldet, in die ein Rosentang seine
bunten Fäden wob, auf kurzes Glück. — Wieder am Meer! Das Amendliche
bricht ein in mich und überflutet mich, daß ich nichts höre, als nur ein
verzweifeltes „Immerwieder!", daß ich, ein Einzelner und Eigener, ganz
vergessen bin. Wie zerrissen und verweht — mein Wesen wie unter-
gesunken und vergessen! And nur noch das rastlose Meer und das
Rauschen und Wogen und die hingeworfene, zerrissene Seele von Ewig-
keit zu Ewigkeit. (Aus meinem Tagebuch)

1^1 Llnklare Schlagworte

(. Wie entstehen sie?

Es zog einmal ein Mann in
seinem Garten eine Pflanze, die er
als Pflänzlein zu guter Stunde im
Walde unbeachtet gefunden hatte.
Daraus kann etwas werden, dachte
er, und hegte und pflegte sie,- und
es wurde etwas draus, sodaß er
ihr einen Namen gab. Ein guter
Bekannter sah sie, hatte auch seine
Freude daran und pflanzte sie als
Ableger gleichfalls an. Nun ge-
schah es, daß nach Iahren zwei
sich trafen, die beide auch diese
Pflanze von andern erhalten und
in ihrem Garten gezogen hatten;
sie sprachen von ihr mit dem Na-
men, den sie vom ersten Züchter
bekommen, aber sie kamen nicht
ins Reine, denn jeder hatte bei
gleichem Namen etwas anderes im
Sinn. Nämlich: Die Pflanze selber
hatte sich, durch verschiedenen Bo-
den und Witterung beeinflußt, ver-
schieden entwickelt. Also stritten sie
sich, ein jeder behauptete, recht zu
haben, und — ein jeder hatte es

auch. Beide hatten Ableger der
alten Pflanze in abweichender Ent-
wicklung. Aber der Name, der ver-
flixte Name!

Nicht anders steht es mit Be-
griffen, nur ist die Sache verwik-
kelter und schwieriger, weil man
nur die Bezeichnung, den „Namen"
hat, das Lrlebnis selbst aber
nicht vorzeigen kann. Da entdeckt
einer eines schönen Tages in seinen
Erlebnissen ein neues eigenartiges
Gebilde, sucht's andern klarzu-
machen, erfindet für seine Erleb-
nisgruppe einen Namen und gibt
ihn weiter. Anter den andern nun
kommt bei dem einen mancherlei
hinzu, beim zweiten fällt etwas weg,
und während so bei dem einen der
Begriff eine größere Fülle von Be-
ziehungen aufnimmt, entfteht bei
dem andern bei der Nennung des
Begriffs nur noch ein unbestimm-
tes Gesühl. Deshalb aber hantiert
man beim Sprechen mit solch einem
Namen nicht minder fröhlich drauf
los. Ist es ein Wunder, wenn
man sich gegenseitig nicht versteht?

2. De-emberhefr (906

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AUge.
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