Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1906)
DOI Artikel:
Franck, Hans: Fritz Stavenhagen
DOI Artikel:
Blech, Leo: Vom Dirigieren
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0096

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und Leben mit tiefbohrenden Gedanken zu erfassen und die neu er-
rungenen, tiefen Erkenntnisse Gestalt werden zn lassen. Wir haben
so viele Talente, die von Kultur triefen. Hier war eins, das lange
in seiner selbstgewählten Einsamkeit von ihr unberührt blieb, das nur
mit seinen Traumgestalten lebte und sie unbekümmert um irgend welche
„Fragen" zu Menschen werden ließ. Auf dem Wege, das Fehlende
sich zu erringen, ist er vor dem Ziele zusammengebrochen. Müßig zu
fragen, wie bald er zu der zweiten Höhe gelangt wäre! Nur Trauer
ziemt uns. Nnd Arbeit, daß die Saat, die er ausstreute, aufgehe.

Hans Franck

Vom Dirigieren

„Ich möchte Kapellmeister werden^, hört man oft aus dem
Munde junger Musiker. Nnd ebenso oft die Frage: „Was soll ich
tun, um es zu werden?" In früherer Zeit rückten oft die Orchestermustker
auf der Altersstaffel zum Dirigentenpulte vor. Ietzt kommt man un-
mittelbar von dem Konservatorium oder sogar ohne dieses zur Kapell-
meisterei. Aber obwohl wir viele gute Dirigenten mit Konservatorium-
bildung haben, so hat noch kein hervorragender Dirigent diese seine
Kunst vom Konservatorium mitgebracht. Denn das Dirigieren ist nur
in den äußerlichen Handgrisfen erlernbar, der bedeutende Kapellmeister
wird wie jedes andere Talent geboren. In solchem Sinne mag eine
umläufige Antwort Mottls auf die Frage, wie man Dirigent wird,
gelten: „Man steht eines Tages am Pult, und wenn man's kann, so
kann man's, und wenn man's nicht kann, erlernt man's überhaupt nicht".
Dirigent ist man, aber man wird es nicht.

Daß der Dirigent ein tüchtiger Musiker sei, der das Technische
und den Ausdruck seiner Kunst beherrscht und versteht, ist natürlich
Voraussetzung. Daß er befähigt sei, die Werke, die er gleichsam als
Stellvertreter des Tondichters einstudiert, bis in ihre intimsten Schön-
heiten zu verstehen, ist eine Eigenschaft, die man von jedem repro-
duktiven Künstler verlangen muß. Aber es hat ausgezeichnete Musiker
ohne die geringste Begabung zum Dirigieren gegeben, wofür uns
Schumann ein berühmtes Beispiel darbietet. Denn etwas andres
ist das Wissen um eine Sache, etwas andres die Sache selbst. Das
eigentliche Dirigententalent besteht im Talent zu Willensübertragungen
und berührt sich nahe mit dem Hang zur Herrschast, mit der Freude
an Macht- und Befehlhaberei, die das Feldherrn- und Fürstentalent
begleitet. „Kein Kaiser und kein König, aber so dastehn und dirigieren!",
hat der Knabe Richard Wagner ausgerufen, als er C. M. von Weber
den „Freischütz" dirigieren sah, und noch als junger Kapellmeister be-
kannte er, welche Lust er dabei empfunden habe, wenn er „das Zeug
so von allen Seiten loslassen konnte". Dieser Wille zur Macht, an
sich eine allgemein-menschliche Erscheinung, kann auch krankhaft in
Despotismus entarten, wird aber in der Musik dadurch geadelt, daß
er im Dienste einer höheren Idee, des Kunstwerks, ausgeübt wird.

Man sagt mit Recht, das Orchester sei des Dirigenten strengster
und gerechtester Richter. Das stimmt, weil der Orchestermusiker als
der unmittelbare Gegenstand der Willensübertragung deren Einfluß
sozusagen am lebendigen Leibe verspürt. Man kann es häufig beob-

2. Oktoberhest M6 6Z
 
Annotationen