Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1906)
DOI Artikel:
Batka, Richard: "Und das ärgert unsre Alten..."
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0406

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„LLnd das ärgert unsre Alten..."

Meister Felix Draeseke hat in einem Aufsatze der Neuen Musik-
zeitung das Wort genommen wider „Die Konfusion in der
Musik" der Gegenwart. Der Aufsatz hat Aufsehen erregt, teils
durch die Person seines Verfassers, teils durch seine Tendenz, die
auf eine Verurteilung der modernen Musik hinauslief. Alle reaktio--
nären Gemüter begrüßten ihn mit lautem Hurrah, aber auch all
die Bequemlichkeitswünsche und Rastneigungen, die in der Brust
auch des Fortschrittsmannes verborgen schlummern, antworteten auf
den Anruf des einstigen Fahnenjunkers der Weimarer Schule. Grund
genug, sich mit seinen Vorwürsen ernstlich auseinanderzusetzen.

Wiederholen wir rasch die wichtigsten Kernsätze. „Verständnislos
wird man angeblickt," klagt Draeseke, „wenn wir die jugendlichen
Hörer ausmerksam machen auf eine edel gestaltete Melodik, ein sein
gesügtes Harmoniegewebe, interessant gegliederte Rhythmik, glatte
und abgerundete Form, schön vermittelte oder überraschende Wieder-
einführung von Themen. All diese ehemaligen Schönheitsmerkmale
erscheinen ihnen wie böhmische Dörser, die sie nie nennen gehört,
und nur wenn von Instrumentation die Rede ist, horchen sie auf,
weil nach ihrer Meinung dies neu hinzugetretene Llement der Farbe
die drei alten Hauptelemente der Musik weit überwiegt, und gut
instrumentieren mit gut komponieren für gleichbedeutend angesehen
wird. Darüber ist die Melodik fast versiegt, die Harmonik nach
einer übertriebenen Verseinerung durch immerwährende Steigerungen
schließlich bei der absoluten Nnmusik angelangt, während, wie
dies leider in Deutschland von jeher der Fall gewesen, die Rhyth-
mik zu wenig gepflegt, ja geradezu vernachlässigt erscheint. Instru-
mentieren alle jungen Künstler meist vortrefslich, so übertreiben sie
doch auch nicht selten die Farbgebung und verletzen uns sogar manch-
mal durch schreiende und grelle Klänge. Auch lieben sie in gerade-
wegs unzulässiger Weise eine Häusung der Mittel, die sich in dieser
Zahl auch gutbesetzte Orchester nicht leisten können, und wirken mit
ihren zahlreichen Hörnern, Trompeten, neu erfundenen Holzblas- und
den vielen Schlaginstrumenten dann insoweit recht ungünstig auf
das allgemeine Musikleben, als dieser außerordentliche Reichtum die
Ohren der Zuhörer verwöhnt und sür bescheidnere Orchesterklänge
abstumpft. Da gegenwärtig in der Programmusik fast das alleinige
Heil gesucht wird, erscheint die Bevorzugung der Instrumentalkunst
natürlich begreislich, indem sie bei der Darstellung der verschiedensten
Objekte sich als unentbehrliches und sehr nützliches Hilssmittel erweist."

Nm diese Ausführungen richtig zu beurteilen, wird man von
Draesekes Persönlichkeit nicht ganz absehen können. Er selbst hat
sich, wie bekannt, vom musikalischen Nmsturzmanne mit den Iahren
zum Konservativen gewandelt. Das ist eine Tatsache, wegen der ihm
kein Mensch zürnen dürfte. Aber es solgt aus ihr nicht, daß nun alle
und auch die junge Welt mit ihm konservativ werden müsse. In der
Iugend sind wir alle mehr Fortschrittler; mit dem Alter kommt die
Bewahrsamkeit. „Besen werden immer stumps gekehrt und Iungens
immer geboren.« Man kann es der Iugend von heute nicht ver-

326 Kunstwart XX, 6
 
Annotationen