DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1907)
DOI Artikel:Lose Blätter
DOI Artikel:Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0798
Grünwald: Sehr angenehm. Grünwald! — (Zn Kozakiewicz:)
Sie hat die Glocke geläntet, mein Iunge.
Kozakiewicz (drückt Grünwald die Hand): Schön, Camerado,
und auch etwas wehmütig! — Weißt du noch, wie wir den Dom be--
traten, und du sahst die hohen Gestalten darin, die hier in einem ge--
wissen Betracht quasi serapiontisch lcbendig sind, da sagtest du, die Ge--
stalten, der Dom, alles sei bunt und farbig gewesen, farbig und bunt wie
ein Kolibri und nun sei alles so blaß und so ausgeblichen, wie ein Leben
ohne Liebe nur ist. Nun? Auf einmal ist alles farbig geworden.
Ludowike: Was sollen wir tun? Ihren Arm, Herr Doktor: wir
setzen die Polonäse fort.
Kozakiewicz: Oh, mit welchem Entzücken tue ich das!
(Die Paare wandern hintereinander im Kreise.)
Ludowike: Was wird Großmama bloß für Augen machen, wenn
sie uns jetzt so ankommen sieht.
Sabine: Alles wird nun bald entschwunden sein. Von den
Bäumen ist schon das Laub fast herunter und verodet steht unser Bischofs--
berg. Dann ist er nur noch ein Märchen, sonst nichts.
Ludowike: Das Märchen ist doch das beste, Sabine!
Kozakiewicz: So laßt uns den Reigen weiter tanzen ins
Blaue, ins Dunkle, ins Weite hinein, ins Ungewisse der Himmel und Meere.
(Zur leisen Musik schreiten sie paarweise im Tanzschritt um den
Platz und singen dazu:)
„Kleiner Vogel Kolibri,
Führe uns nach Bimini,
Fliege du voran, wir solgen
In bewimpelten Pirogen.
Auf der Insel Vimini
Blüht die ew'ge Frühlingswonne
Rnd die goldnen Lerchen jauchzen
Im Azur ihr Tirili."
(Der Vorhang fällt.)
Von klassischer Form
Im Verlag von Eugen Diederichs
in Iena erscheint seit etwa zwei
Iahren eine Folge von Büchern
unter dem Gesamttitel: „Erzieher
zu deutscher Bildung". Wer nicht
philologischen Geistes ist — und
es macht sich ja zur Zeit eine ge--
wisse Strömung bemerkbar gegen
das Philologentum als einen zu
überwindendenBestondteil imWesen
deutscher Kultur und eine andere
Strömung mehr für praktische Bil-
dung einerseits und für künstlerische
Erziehung anderseits —: auch wer
praktischer oder künstlerischer Natur
ist, lasse sich durch diesen Titel
nicht abstoßen.*
* Einen Teil der Bedenken, die
auch wir gegen die „Erzieher"--Mode
einzuwenden haben, spricht Leixner
mit dem Aufsatz „Die Zerlesenen"
aus, den wir in diesem Hefte ab-
drucken. Ferner fürchten wir, daß
das „Erzieher"-Suchen von dem un°
mittelbaren „Ningen mit den
Sachen" ablenke, denn in dem „Ein-
fühlen" in die „Erzieher", in dem
Einschalten einer fremden Persön-
AUge-
meineres
(. Märzheft V07
L47
Sie hat die Glocke geläntet, mein Iunge.
Kozakiewicz (drückt Grünwald die Hand): Schön, Camerado,
und auch etwas wehmütig! — Weißt du noch, wie wir den Dom be--
traten, und du sahst die hohen Gestalten darin, die hier in einem ge--
wissen Betracht quasi serapiontisch lcbendig sind, da sagtest du, die Ge--
stalten, der Dom, alles sei bunt und farbig gewesen, farbig und bunt wie
ein Kolibri und nun sei alles so blaß und so ausgeblichen, wie ein Leben
ohne Liebe nur ist. Nun? Auf einmal ist alles farbig geworden.
Ludowike: Was sollen wir tun? Ihren Arm, Herr Doktor: wir
setzen die Polonäse fort.
Kozakiewicz: Oh, mit welchem Entzücken tue ich das!
(Die Paare wandern hintereinander im Kreise.)
Ludowike: Was wird Großmama bloß für Augen machen, wenn
sie uns jetzt so ankommen sieht.
Sabine: Alles wird nun bald entschwunden sein. Von den
Bäumen ist schon das Laub fast herunter und verodet steht unser Bischofs--
berg. Dann ist er nur noch ein Märchen, sonst nichts.
Ludowike: Das Märchen ist doch das beste, Sabine!
Kozakiewicz: So laßt uns den Reigen weiter tanzen ins
Blaue, ins Dunkle, ins Weite hinein, ins Ungewisse der Himmel und Meere.
(Zur leisen Musik schreiten sie paarweise im Tanzschritt um den
Platz und singen dazu:)
„Kleiner Vogel Kolibri,
Führe uns nach Bimini,
Fliege du voran, wir solgen
In bewimpelten Pirogen.
Auf der Insel Vimini
Blüht die ew'ge Frühlingswonne
Rnd die goldnen Lerchen jauchzen
Im Azur ihr Tirili."
(Der Vorhang fällt.)
Von klassischer Form
Im Verlag von Eugen Diederichs
in Iena erscheint seit etwa zwei
Iahren eine Folge von Büchern
unter dem Gesamttitel: „Erzieher
zu deutscher Bildung". Wer nicht
philologischen Geistes ist — und
es macht sich ja zur Zeit eine ge--
wisse Strömung bemerkbar gegen
das Philologentum als einen zu
überwindendenBestondteil imWesen
deutscher Kultur und eine andere
Strömung mehr für praktische Bil-
dung einerseits und für künstlerische
Erziehung anderseits —: auch wer
praktischer oder künstlerischer Natur
ist, lasse sich durch diesen Titel
nicht abstoßen.*
* Einen Teil der Bedenken, die
auch wir gegen die „Erzieher"--Mode
einzuwenden haben, spricht Leixner
mit dem Aufsatz „Die Zerlesenen"
aus, den wir in diesem Hefte ab-
drucken. Ferner fürchten wir, daß
das „Erzieher"-Suchen von dem un°
mittelbaren „Ningen mit den
Sachen" ablenke, denn in dem „Ein-
fühlen" in die „Erzieher", in dem
Einschalten einer fremden Persön-
AUge-
meineres
(. Märzheft V07
L47