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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 12 (2. Märzheft 1907)
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Langen, ...: Musik und Religion in der Gegenwart: auch eine Osterbetrachtung
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Steinhausen, Heinrich: Paul Gerhardt und das Kirchenlied
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0833

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stärker als alle Beweise vom Dasein Goltes wirkt die Freude eines
Menschen, der dieses Dasein glaubt und darin glücklich ist.

Hier endet die Musik und ihre Macht.

Sie gibt uns keine Reden von Seligkeit, sondern sie läßt uns
einen Tropfen schmecken von ihrem Trank in unmittelbarem Gesühl
und weckt die Sehnsucht, nun dauernd zu besitzen, was uns slüchtig
beglückte.

And sollte es nicht die stärkste werbende Krast der Religion
sein, zu fühlen, daß man durch sie glücklich wird?

Mögen wir uns an einer zukünstigen Entwicklung der Kirchen-
musik begeistern oder in stiller Betrachtung ihres Wesens sie als
innig verschwistert mit der Religion erkennen — wir kommen an
der tiesen Bedeutung, welche eine regelmäßige Pslege der Kirchen-
musik sür unser modernes religiöses und geistiges Leben haben wird,
nicht vorbei.

Lübeck Langen

Paul Gerhardt uud das Kircheulied

Wieder sind Tage des Gedächtnisses an einen Großen unter
den deutschen Dichtern und Sängern gekommen und allerwärts regt
man sich, Paul Gerhardt in Erinnerung zu bringen, sein Bild zu
zeichnen und sein Lebenswerk zu würdigen.

Folgt der Kunstwart dem gegcbenen Beispiel nur, weil'er doch
eben auch dabei sein und ein „aktuelles" Thema sich nicht entgehen
lassen will, wenn er sich mit einem Paul Gerhardt-Aussatz einstellt?
Und denkt vielleicht mancher seiner Leser mit Recht, dieser Kirchen-
mann und Gesangbuchliederdichter sei den Theologen zu überlassen,
den Kirchenhistorikern und Hymnologen?

Schon der Rmstand, daß der Name Paul Gerhardts wie dem
Literaturforscher in seiner Bücherei, so der Witwe im Dorfarmenhause,
dem Fürsten im Schlosse, wie dem Hirtenjungen auf seiner Weide
vertraut ist, beweist genugsam: hier gedenken wir nicht eines Mannes
der Wissenschast, der besonderen Begabung, des Wirkens für be-
grenzte Kreise, sondern eines Großen im Reiche des Geistes, der
mehr bedeutet als Talent und Wlssenschast, eines Dichters, ja, aber
eines solchen, dessen Kunst eins mit dem Leben ist, mit seinen innersten
Antrieben und höchsten Zielen, und der nun durch die Iahrhunderte
lebt und immer neu aufgrünt, wie das Feld im Lenze.

Wenige aus der Breite unseres Volkes sind mit unsern Klassikern
bekannt, und was wisseu die meisten von Goethe oder Schillerl Aber
Paul Gerhardts Kunst, auch ohne Namen, hat sich bis heute in einer
Volkstümlichkeit erhalten, gegen die der Ruf und Ruhm keines andern
Dichters und Sängers in Betracht kommt. Er gehört nicht der Kirche
allein zu, sondern dem evangelischen, ja dem ganzen deutschen Volke.

Woh! hat es Zeiten gegeben, in denen er wie vergessen war.
Dennoch sang er fort, wie die Nachtigall, ob man aus sie hört
oder nicht, fortsingt: aus tiefem Gebüsche, wo sie keiner sieht, in
der Nacht am lautesten und in Gewittern am süßesten. Ein und der
andre Wandrer horcht doch auf und, wenn sie ihm schweigt, sehnt er
sich klopfenden Herzens nach ihrem Schall.

680 Kunstwart XX, s2
 
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