das herzlose Hügelland vorüber, mit langen Zügen, kahl und form-
los. Und schließlich muß der Blick wieder zurück zu dem großen
Zentralgebilde, das trotz aller Entstellung noch so gewaltig als Körper
und Mitte wirkt. Schließlich erträgt man das Schauerliche nicht
mehr; eilig össnen wir die Flügel.
Welch ein Märchen der Farben und der Fülle! Sind hier die
Tage eines Rubens voraus genommen? Eine selige Welt der Wolken
drangt herab, glühender Himmelsschein gießt sich in vielen Bächen
aus die Erde. In einer Berglandschast, die an den Schwarzwald er-
innert, sitzt vorn am Rand des Waldes ein Menschenweib, fern aller
Menschenwohnung, ganz allein mit seinem Glück, seinem Kind. Maria
hat ausgepackt, das Bettchen ausgestellt; daneben die Badewanne,
selbst das Töpschen sehlt nicht. Im Frieden einer schweigenden Natur
hat der Kleine geschlasen; jetzt ist er wach und hungrig — da nimmt
ihn die Mutter selig in die Arme, drückt ihn an sich und meint
vor Glück zu vergehen — in diesem Augenblick slammt der Himmel.
Schweselgelb und blutrot leuchtet seine Schönheit! Alle Farben gießen
sich in den Waldwinkel hinein. Lin Zauber ist's, wie man ihn in
Venedig im Iuli wohl erlebt. Rnd während dies alles dem Auge
unerhörtes Spiel bietet, bricht aus dem Tabernakel des Nebenslügels
der polyphone Klang eines himmlischen Orchesters. Die Engel streichen
aus der schönsten Kniegeige; sie flöten und harsen, sie singen >und
zwitschern. Es klingt so vielstimmig, wie die Farben dieses Lngel-
bündels, das aus dem Tabernakel mächtig und glücklich heraus will.
Wie Bienchen strömt es drin und möchte heraus, herüber und stärker
summen. '
Das ist das Doppelbild der Mitte: Marias Seligkeit im ein-
samen Wald. Ioseph, Ochs und Esel, der Stall und die Krippe sind
hier nicht vorhanden; neue Geräte überraschen. Bei srüheren An-
betungen singt ein seiner a eavella-Ehor der Engel und ein dünnes
Flötensolo klingt; ja sogar die Handorgel klingt wie ein Spinett.
Hier ist trotz Badewanne usw. ein ganz anderes Orchester ausgeboten.
Neben diesem seligsten Festbild der Mitte, das doch so viel
innige Poesie hat, geht es aus den Seitenbildern stiller und heimlicher
zu. Links die Verkündigung. Ein Kapellenraum, von Vorhängen
noch halb verhängt; weiches Dunkel schmeichelt um die Wände. Aber
dahinter leuchtet ein zweiter Raum, mit sanstem Licht des späten
Tages. Es ist die Zeit, wo kein Mensch sonst in der Kirche ist.
Dieser Doppelraum ist das Malerischste, was Grünewald geschasfen,
in der Melodie der Doppelbeleuchtung, in dem Tönen des Raumge-
sühls. Alles ist in klare Gegenwärtigkeit gesetzt, um diese stillen Räume
zu weiten. Hier ersährt nun die ahnungslos ins Lesen versenkte Maria
hunmlischen Besuch. MLdchenahnung verdichtet sich zum jauchzenden
Lrlebnis. Lin Bote der Höhe wallt herab, dessen Locken goldene Fülle
bergen. Äberwältigt staunt das Mädchen den Herrlichen an.
Die stärkste Äberraschung wartet aber noch aus uns im Bilde
der Auserstehung. Da saust der Lebendige wie eine Rakete aus
dem Sarg, und der nachschleisende Mantel glüht wie eine bengalische
Garbe. Ein bläulich-schweselgelber, rötlich violetter Schein, wie von
brennendem Pulver, flammt hier gespenstisch aus. Um den Sarg
2. Märzhest B07
«9»
los. Und schließlich muß der Blick wieder zurück zu dem großen
Zentralgebilde, das trotz aller Entstellung noch so gewaltig als Körper
und Mitte wirkt. Schließlich erträgt man das Schauerliche nicht
mehr; eilig össnen wir die Flügel.
Welch ein Märchen der Farben und der Fülle! Sind hier die
Tage eines Rubens voraus genommen? Eine selige Welt der Wolken
drangt herab, glühender Himmelsschein gießt sich in vielen Bächen
aus die Erde. In einer Berglandschast, die an den Schwarzwald er-
innert, sitzt vorn am Rand des Waldes ein Menschenweib, fern aller
Menschenwohnung, ganz allein mit seinem Glück, seinem Kind. Maria
hat ausgepackt, das Bettchen ausgestellt; daneben die Badewanne,
selbst das Töpschen sehlt nicht. Im Frieden einer schweigenden Natur
hat der Kleine geschlasen; jetzt ist er wach und hungrig — da nimmt
ihn die Mutter selig in die Arme, drückt ihn an sich und meint
vor Glück zu vergehen — in diesem Augenblick slammt der Himmel.
Schweselgelb und blutrot leuchtet seine Schönheit! Alle Farben gießen
sich in den Waldwinkel hinein. Lin Zauber ist's, wie man ihn in
Venedig im Iuli wohl erlebt. Rnd während dies alles dem Auge
unerhörtes Spiel bietet, bricht aus dem Tabernakel des Nebenslügels
der polyphone Klang eines himmlischen Orchesters. Die Engel streichen
aus der schönsten Kniegeige; sie flöten und harsen, sie singen >und
zwitschern. Es klingt so vielstimmig, wie die Farben dieses Lngel-
bündels, das aus dem Tabernakel mächtig und glücklich heraus will.
Wie Bienchen strömt es drin und möchte heraus, herüber und stärker
summen. '
Das ist das Doppelbild der Mitte: Marias Seligkeit im ein-
samen Wald. Ioseph, Ochs und Esel, der Stall und die Krippe sind
hier nicht vorhanden; neue Geräte überraschen. Bei srüheren An-
betungen singt ein seiner a eavella-Ehor der Engel und ein dünnes
Flötensolo klingt; ja sogar die Handorgel klingt wie ein Spinett.
Hier ist trotz Badewanne usw. ein ganz anderes Orchester ausgeboten.
Neben diesem seligsten Festbild der Mitte, das doch so viel
innige Poesie hat, geht es aus den Seitenbildern stiller und heimlicher
zu. Links die Verkündigung. Ein Kapellenraum, von Vorhängen
noch halb verhängt; weiches Dunkel schmeichelt um die Wände. Aber
dahinter leuchtet ein zweiter Raum, mit sanstem Licht des späten
Tages. Es ist die Zeit, wo kein Mensch sonst in der Kirche ist.
Dieser Doppelraum ist das Malerischste, was Grünewald geschasfen,
in der Melodie der Doppelbeleuchtung, in dem Tönen des Raumge-
sühls. Alles ist in klare Gegenwärtigkeit gesetzt, um diese stillen Räume
zu weiten. Hier ersährt nun die ahnungslos ins Lesen versenkte Maria
hunmlischen Besuch. MLdchenahnung verdichtet sich zum jauchzenden
Lrlebnis. Lin Bote der Höhe wallt herab, dessen Locken goldene Fülle
bergen. Äberwältigt staunt das Mädchen den Herrlichen an.
Die stärkste Äberraschung wartet aber noch aus uns im Bilde
der Auserstehung. Da saust der Lebendige wie eine Rakete aus
dem Sarg, und der nachschleisende Mantel glüht wie eine bengalische
Garbe. Ein bläulich-schweselgelber, rötlich violetter Schein, wie von
brennendem Pulver, flammt hier gespenstisch aus. Um den Sarg
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