dotenhaften im Draina, die unerbittliche Wendung zum Allgemein-
menschlichen, die Vollendung des Goetheschen Dramagedankens, das
Gedankendrama im vollen poetischen Realismus. Die Entwicklungs-
linie, die hier nur anzudeuten ist, heißt Goethe-Hebbel-Ibsen. Im
Vorwort zu Maria Magdalena liegt ihr bedeutendstes theoretisches
Dokument. ! ^ ^
Das gewaltigste Problem, das Hebbels Hirn entkeimte, war der
Religionsgedanke, das Verhältnis des Menschen zur Gottheit, die
Religion als Mutter der Kultur. Das regte seinen „Moloch" an, von
dem leider nur zwei Akte vollendet worden sind. Den Plan des Ganzen
hat Lmil Kuh, Hebbels Schwager und erster Biograph, nach münd-
lichen Mitteilungen und nachgelassenen Papieren feststellen können.
Man findet ihn vollständig in R. Spechts Ausgabe von Hebbels
Werken. Hier können Andeutungen nur auszugsweise gegeben werden.
Hieram (im Musikdrama: Hiram), ein uralter Greis, Hannibals Bruder
kommt nach der Zerstörung Karthagos durch die Römer, begleitet
vom Oberpriester des Moloch, zu den Deutschen in Thule. Auch der
eherne Götze ist mit ihm. Durch den Moloch, der den Teutonen
als sinnliche Erfüllung ihrer geheimnisvollen Sagen und Weis-
sagungen erscheint, will Hieram das jugendliche Volk zum Bewußt-
sein seiner selbst erziehen, aus daß es einst die königliche Stadt, die
der Römer von der Erde vertilgt hat, an dem verhaßten Rom räche.
Mit einer vernichtenden Sicherheit zähmt der verwegene Alte das
zitternde Volk. Am wichtigsten ist ihm Teut, der junge Königssohn,
dessen erregbare Einbildungskrast er rasch erkannt und ebenso rasch
gefangen genommen hat. Und in dem jungen Königssohn ist Hieram
auch die ganze Iugend zugefallen. Nur einer im Volke widersteht:
es ist der trotzige König selbst, der alte Teut. Äber seinen nüchternen,
heidnisch gefestigten Sinn hat Hieram keine Gewalt, und weder
Furcht noch Schauer ersüllen den alten Teut vor der Majestät des
Moloch. Aber unsähig, sich gegen den Molochglauben, der schon
anfängt, im Volke Wurzel zu schlagen und der im jungen Teut einen
begeisterten Anhänger hat, mit Aussicht auf Lrfolg zu behaupten,
schließt sich der alte König in die Höhle ein, aus der er nicht früher
wieder treten will, als bis der junge Teut, zerknirscht vor Reue,
ihn ans Licht des Tages holen und ihm das Königsschwert, das
ihm der Sohn im Zweikamps entwunden hat, selber bringen werde.
Nun Hieram den Boden unter sich gewonnen und seinen Einfluß
! gekräftigt hat, geht er von den surchtbaren Wirkungen, die er mittels
! des Moloch geübt, zu den wohltätigen über: die ersten Keime der
! Kultur werden ausgestreut. Alles, rust er, sollen sie im Namen
Gottes tun, im Namen Molochs. Denn dieser sei von nun an ihr
alleiniger Gebieter, und selbst das KSnigsschwert muß der junge Teut
zu den Füßen des Gottes niederlegen. Nun entrollt sich ein Ge-
mälde der entstehenden Kultur. Die Wälder sind ausgerodet, das
Meer ist gedämmt, überall sprießt und quillt der Segen hervor. Das
Volk genießt das erste Brot, den ersten Wein, das ist das erste
Abendmahl in seiner rein menschlichen Bedeutung.
Inmitten dieses aufblühenden Lebens steht Hieram in kalter
Strenge und sucht den jungen Teut, der unter diesem Volke sein
Kunstwart XX, 7
menschlichen, die Vollendung des Goetheschen Dramagedankens, das
Gedankendrama im vollen poetischen Realismus. Die Entwicklungs-
linie, die hier nur anzudeuten ist, heißt Goethe-Hebbel-Ibsen. Im
Vorwort zu Maria Magdalena liegt ihr bedeutendstes theoretisches
Dokument. ! ^ ^
Das gewaltigste Problem, das Hebbels Hirn entkeimte, war der
Religionsgedanke, das Verhältnis des Menschen zur Gottheit, die
Religion als Mutter der Kultur. Das regte seinen „Moloch" an, von
dem leider nur zwei Akte vollendet worden sind. Den Plan des Ganzen
hat Lmil Kuh, Hebbels Schwager und erster Biograph, nach münd-
lichen Mitteilungen und nachgelassenen Papieren feststellen können.
Man findet ihn vollständig in R. Spechts Ausgabe von Hebbels
Werken. Hier können Andeutungen nur auszugsweise gegeben werden.
Hieram (im Musikdrama: Hiram), ein uralter Greis, Hannibals Bruder
kommt nach der Zerstörung Karthagos durch die Römer, begleitet
vom Oberpriester des Moloch, zu den Deutschen in Thule. Auch der
eherne Götze ist mit ihm. Durch den Moloch, der den Teutonen
als sinnliche Erfüllung ihrer geheimnisvollen Sagen und Weis-
sagungen erscheint, will Hieram das jugendliche Volk zum Bewußt-
sein seiner selbst erziehen, aus daß es einst die königliche Stadt, die
der Römer von der Erde vertilgt hat, an dem verhaßten Rom räche.
Mit einer vernichtenden Sicherheit zähmt der verwegene Alte das
zitternde Volk. Am wichtigsten ist ihm Teut, der junge Königssohn,
dessen erregbare Einbildungskrast er rasch erkannt und ebenso rasch
gefangen genommen hat. Und in dem jungen Königssohn ist Hieram
auch die ganze Iugend zugefallen. Nur einer im Volke widersteht:
es ist der trotzige König selbst, der alte Teut. Äber seinen nüchternen,
heidnisch gefestigten Sinn hat Hieram keine Gewalt, und weder
Furcht noch Schauer ersüllen den alten Teut vor der Majestät des
Moloch. Aber unsähig, sich gegen den Molochglauben, der schon
anfängt, im Volke Wurzel zu schlagen und der im jungen Teut einen
begeisterten Anhänger hat, mit Aussicht auf Lrfolg zu behaupten,
schließt sich der alte König in die Höhle ein, aus der er nicht früher
wieder treten will, als bis der junge Teut, zerknirscht vor Reue,
ihn ans Licht des Tages holen und ihm das Königsschwert, das
ihm der Sohn im Zweikamps entwunden hat, selber bringen werde.
Nun Hieram den Boden unter sich gewonnen und seinen Einfluß
! gekräftigt hat, geht er von den surchtbaren Wirkungen, die er mittels
! des Moloch geübt, zu den wohltätigen über: die ersten Keime der
! Kultur werden ausgestreut. Alles, rust er, sollen sie im Namen
Gottes tun, im Namen Molochs. Denn dieser sei von nun an ihr
alleiniger Gebieter, und selbst das KSnigsschwert muß der junge Teut
zu den Füßen des Gottes niederlegen. Nun entrollt sich ein Ge-
mälde der entstehenden Kultur. Die Wälder sind ausgerodet, das
Meer ist gedämmt, überall sprießt und quillt der Segen hervor. Das
Volk genießt das erste Brot, den ersten Wein, das ist das erste
Abendmahl in seiner rein menschlichen Bedeutung.
Inmitten dieses aufblühenden Lebens steht Hieram in kalter
Strenge und sucht den jungen Teut, der unter diesem Volke sein
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