Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1893)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl: Der Gefühlswert der Worte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0012

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
anzeigt, bringt letzteres mehr eine überlegene weltmännische
Stimmung zum Ausdruck.

Alle diese zarten subjektiven seelischen Reaktivnen, die
ein Wvrt in uns hervorruft, all die mit ihm verketteten
Gefühle einer fein abgetönten Wert- vder Geringschätznng,
all die Stimmungen und Obertöne, die unwillkürlich mit
anklingen, wenn wir das Wvrt hören, — sasse ich unter
dem Namen des Gefühlswertes des Wortes zusammen.
llnd ich stelle diesen Gefühlswert den: eigentlichen, meist
als Hauptsache betrachteten „begrifflichen Jnhalte", wie
auch insbesvndere dem „Anschauungswerte" des Wortes
gegenüber, d. h. seiner Fähigkeit, anschauliche, durch die
Sinne wahrnehmbare Vorstellungen in uns zn erwecken.

Es giebt Worte, die im Allgemeinen gar keinen Ge-
sühlswert haben. Die sriedlichen Worte Stuhl, Ziegel-
stein oder Dreicck erwecken nnr gewisse Vorstellungen; aber
bei den Worten „Mord" oder „Revolntion" steht ein
starkes Begleitgefühl durchaus im Vordergrunde des Be
wußtseins. Lazarus hat einmal aus den Unterschied zwischen
einem „Scheiterhanfen" und einem „Hanfen Scheiter"
aufmerksam gemacht. Ein Hanfen Scheiter ist eine völlig
gleichgültige Sache, die die Seele kalt läßt; cin Scheiter-
haufen aber regt Phantasie und Mitgefühl in energischer
Weise auf: das Wort hat eben bedentenden Gefühlswert. Und
die Schwierigkeit, eine fremde Sprache ganz frei zu be-
herrschen, beruht eben darauf, daß man wohl bald durch
Lexikon nnd Belehrung den gemeinen begrifflichen Jnhalt
der Worte sich aneignen kann, nicht aber ihre der Be-
schreibnng sich entziehenden, auf den mitschwingenden Ge-
fühlsmassen beruhenden Abschattirungen und Werte.

Von manchcn Worten könnte man sagen, daß sie über-
haupt nur Gefühlswert besäßen, oder besfer, daß ihre
sachliche Bedeutnng ganz im Gefühlswert aufgegangen sei.
Bei Schimpfworten z. B. ist der großen Menge, die fie
gebrauchen, der eigentliche Sinn unbekannt. Das mittel-
hochdeutsche „luoäsr" bezeichnete ursprünglich sede Lock-
speise, beschränkte sich aber später auf die gebränchlichste
Art, auf verwefendcs Tierfleisch. Vom chemischen Stand-
punkte aus ist nun freilich Fleisch im Zustande organischer
Auflösung eine ganz interessante Sache, für den Laien aber
mit normalen Geruchsorganen knüpfen sich gar bald kräf-
tige Ekelgefühle an diescn Begriff; Ekelgesühle, die es be-
greiflich erscheinen lassen, wenn der in Rede stehende Aus-
drnck zum gemeinen Schimpfwort sich entwickelte. Und
das Gefühl des Abscheus blieb bei dem Worte, während die
sachliche Bedeutung aus dem Bewußtsein des Volkes
schwand. Bielleicht beruht die kräftige, fast mystische
Wirkung mancher Schimpsworte gerade darauf, daß im
Grnnde kein Mensch mehr weiß, was sie eigentlich besagen.

Jm Allgemeincn frcilich find die Gefühlswerte der
Worte von zarterer und feinerer Natur. Sie lasfen sich
nicht immer greifen und wägen, manche Personen haben
keine Ohren sie zu hören und leugnen ab, daß sie über-

! hanpt vorhanden seien. So z. B. jenes Richterkollegium,
das vor einiger Zeit dahin entschied, daß „Kadavergehorsam"
keine Beleidigung einschließe. Ein Redakteur hatte von
irgend einem kleinen Potentaten behauptet, er verlange ^
„Kadavergehorsam". Der Staatsanwalt hatte Strafe
wegen Beleidignng beantragt, aber der Gerichtshof hatte
den Angeklagten freigesprochen: Kadavergehorsam sei nichts
anderes als „nnbedingter Gehorsam". Diesen zn ver-^
langen, sei nicht herabsetzend oder verächtlich. Jch gönnc
dem Angeklagten von Herzen seine Freisprechnng und bin
ein Gegner von Beleidigungsprozessen überhaupt. Aber
die Schlüsse des Gerichtshofes muß ich anfechten. Weil
die Ausdrücke „Kadavergehorsam" und „unbedingter Ge-
horsam" den gleichen Begrifssinhalt haben, deshalb brauchen
sie noch lange nicht denselben Gefühlswert zu besitzen. Es
ist ganz unbestrcitbar, daß „Kadavergehorsam" einen ver-
ächtlichen Nebensinn hat. Aber auf der Retorte einer
plumpen juristischen Analpse hat sich dieser Gefühlswert
völlig verflüchtigt.

Jn den Worten allein liegen schon eine Menge Urteile
und Vorurteile versteckt, und es ist von wesentlicher Be-
deutung für die eigne innere Auffasfung, wie man etwa eine
Handlung allgemein benennt. Die Sprache als solche
enthält ein gnt Teil unbewußter Pädagogik nnd Ethik.
Benthain, der zuerst die Bedeutung der Sprache für un
beabsichtigte Ubertragung sittlicher Empfindungen betonte,
unterschied zwischen „eulogistischen" und „dyslogistischen"
Worten, d. h. nach nnserer Bezeichnungsweise zwischen
Worten, an die gleichzeitig eine moralische Billignng und
solchen, an die eine sittliche Empörung als Gefühlswert
gebunden ist. Es ist für einen in der Gesellschaft anfwachsen-
den Menschen nicht gleichgültig, ob man eine Sache „Galan-
terie", oder ob man fie „Ehebruch" nennt; ob man ein
und dieselbe Handlung durch Worte bezeichnet, die einen
hnmoristischen Klang haben, oder durch andere, an denen
eine entsetzte Mißbillignng haftet.

Freilich sind die Gefühlswerte dcr Worte weniger be-
stimmt und dauerbar als die eigentlichen begrifflichen Än-
halte; sie sind örtlichen, zeitlichen und individuellen Schwank-
nngen ausgcsetzt. Man denke daran, welchen Sondersinn
manche Ausdrücke in gewifsen Familiensprachen angenommen
haben, oder im „8Iam§" von Ständen, Gesellschaften und
Korporationen. An manchen Worten hasten sogar genau
entgegengesetzte Wertgefühle. Den einen klingt
das Wort Brüd erlich keit gar lieblich in den Ohren.

Alle sozialen Hochgefühle einer beseligenden Menschenliebe
tauchen auf, wenn es ertönt. Jm Jnnern sagt eine Stimmo
begeistert „ja". Für Andere hat das Wort einen ent-
schieden plebejischen Beigeschmack. Sie wittern „Pöbel-
manieren und Klein-Leutegeruch". Jhr Stolz bänmt stch
ans gegen ein Sich-Gemeinmachen mit Jedermann, gegen
einen rührseligen allgemeinen Brei, in dem Hochschätzung
und Liebe geinein und wertlos sind, weil fie stch nicht auf
 
Annotationen