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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1893)
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Avenarius, Ferdinand: Über das Illustrieren
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0094

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Wirkungen voll so intimer Reize, wie wir bisher
kaum ahnten, kaun eine richtige Jllustration durch echte
Künstler erzeugen, und es ist gut, wenn wir uns der Leit-
bilder bewußt Lleiben auch auf dem Wege durch das Allzu-
Jrdische, das uns alljährlich der Weihnachtsmarkt an
Bücherbildern zeigt. Diese alle am Höchsten messen zu
wollen, wäre ja freilich ungerecht. Unser „Zeitalter der
Deutlichkeit", das am liebsten aus jedes Handtuch stickt:
„Handtuch", Lraucht ja die Jllustrationen eiusach als
Krücken für die erlahmte Phantasie, mit denen man doch

wenigstens zu eiuer Anschauung hinhumpelu kann. Jst
diese Anschauung eine von der Art, die für den Berste-
hendcn den poctischen Gehalt stören oder verwirren, so
merkt das ja eben nur der Verstehende. Die Zahl der
Leute aber, welche die besonderen Schönheiten der Poesie
recht innerlich erfassen können, ist ebenso klein, wie die Zahl
jener grost ist, die in schöner Geuügsamkeit an der Tiefe
ihres Poesieverständnisses noch nie gezweifelt haben. Das
wird, unter Anderem -— ach, unter vielem Anderen! —- auch
durch unser Jllustrationswesen bezeugt. A.


NundsckAu.

DLcbtung.

» Scböne Ltteratur. 2S.

Fermont. Roman von Walter Siegfried. (München,
vi-. E. Albert L Co.).

Walter Siegfrieds Erstlingswerk, der Künstlerroman „Tino
Moralt", ist an dieser Stelle mit hoher Anerkennung besprochen
worden, auch das zweite Buch des jungen Dichters berechtigt
uns nun zu herzlichem Lobe. „Fermont" ist wie „Moralt"
ein Entwicklungsroman sehr ernsten Jnhalts, aber während
Moralt im Wahnsinn zu Grunde geht, kommt Fermont zu
seelischer Genesung, ehe ein schöner Tod ihn erreicht.

Nach einem schon viel bewegten Leben, schwer miß-
handelt vom Schicksal, zieht sich der Held, noch jung, zur
Berg-Einsamkeit in ein altes Klosterkastell zurück, denn er ist
Feind der Menschen und Spötter des Göttlichen geworden.
Da grübelt er nun verbittert, um Gründe anf Gründe zu
häufen für die Berechtigung seines Grolls, aber schon das
bereitet ungeahnt in ihm eine spätere Wandlung vor, daß
seinem scharsen Geiste selber kaum recht genügt, was er findet.
Und ganz ohne Berührung mit den Menschen bleibt er nicht,
nach und nach aber gewinnen die Eindrücke Wirknng aus ihn,
die ihm diese Menschen vermitteln. Er beobachtet eine alte
Bäuerin, die eine tiese schlichte Religiosität des Gefühls unter
schwersten Verhältnissen in Selbstverständlichkeit bethätigt; eine
Leidenschast erfaßt ihn sür ein edles Weib im armen Kleide
der Bauernmagd, und die stolze Abweisung, die sein wildes
Blut ersährt, rüttelt an seiner Seele gewaltig; er tritt in nahe
Beziehungen zu einem jungen hergewanderten Handwerks-
burschen, dessen dnrstende Seele sich an ihm selber nährt,
bildet und, gekräftigt, emporrankt. Dieser junge Mensch ist
es auch, der Fermonts endliche Umkehr bewirkt: um seines
Freundes Leben zu retten, bietet er sich selber dem Messer
eines Eisersüchtigen dar, Fermont aber weiß es vor Beppos
Leiche, daß die Läuterung in ihm vollbracht ist. „Mein Herz
ist Liebe, all mein Fühlen Dank, daß du mir s o den Menschen
offenbart hast." Nach einer Zeit der Sammlung verläßt er
gesesteten Gemüts die Stätten, die ihm heilig geworden sind.
„Und jenem Weisen gleich, von dem geschrieben steht, rief ich
erkennend und entschlossen aus: Einst trug ich meine Asche in
diese Berge — nun will ich mein Feuer in die Thäler tragen."
Ein Schlußblatt des Buches meldet nur kurz: „Am zr. Juli
des darausfolgeuden Jahres hat Adrian Fermont unter er-
greifenden Umständen den Tod bei einer aufopsernden That
gefunden."

Die Form des Werkes ist wechselreich: Briefe nnd andre
Aufzeichnungen Fermonts, Briese ihm Befreundeter, eine Ein-
leitung und erläuternde Zwischenstücke des „Herausgebers" er-
gänzen sich gegenseitig. Wiegt in der ersten Hälste der Aus-

zeichnungen die Reflexion vor, so wird in der zweiten auch
die äußere Handlung bewegt und bewegter. Die Sprache ist
zumeist die einer sehr gehobenen Prosa, die ost unwillkürlich
zu echten Jamben wird — ein Hinweis darans, wie ich glaube,
daß die richtigste Sprache sür diesen Jnhalt doch wohl über-
haupt nicht die Prosa gewesen wäre. Aber dieses Be-
denken darf uns den Genuß an Siegfrieds nenem Werk nicht
verkümmern. Was uns schon beim „Moralt" so sehr erfreute,
dem begegnen wir auch hier: dem heiligen Ernste der Arbeit,
der dem Geschmack der Mehrheit so wenig wie irgend einer
literarischen Partei Zugestündnisse macht, dem Bemühen, auch
psychologisch zu vertiefen, dem Streben, im Kleinen stets das
Symbol des Großen zu entdecken und mit realistischen Mitteln
ethische Wirknngen zu erzeugen. Jn seinem sittlichem Problem
berührt sich Siegsrieds „Fermont" nahe mit der Dichtung
„Lebe!" des Schreibers dieser Zeilen. Und so dars ich das Werk
an dieser Stelle wohl besonders jenen empfehlen, die meinem
eigenen Buch einige Theilnahme entgegenbringen. A.

Heter Mayr, der N)irt an der Ukahr. Eine
Geschichte aus deutscher Heldenzeit von P. K. Rosegger.
(Wien, Hartleben, H M., geb. 5,50 M.).

Als im Jahre (80y nach den Kämpfen von Sterzing und
Mühlbach die Diplomaten über das Tyroler Volk hinweg
Friede gemacht hatten, setzte dieses Volk den Kamps um das,
was ihm heilig war, trotzdem sort, und so ward auch Peter
Mayr, der Wirt an der Mahr, zum Rebellen. Peter Mayr,
der nun über der Eisackschlucht jene künstliche Muhr aufrichtete,
die anderthalb Tausend von Feinden vernichtete. Mayr wird
gesangen und vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Mensch-
lich ergriffen, sucht ihn der General Baraguay zu retten, in-
dem er das Verfahren revidirt: hat der Angeklagte von dem
Friedensschlusse auch gewußt? Aber Mayr verschmäht die
Lüge als Kaufpreis sür sein Leben, und so wird er erschossen.
— Das ist der Stoff, den Rosegger zu seinem jüngsten Werke
bearbeitet hat, zu einem gestaltenreichen Bilde von dem Fühlen
und Handeln des Tyrolervolkes jener Tage, zu einer Erzählung,
in welcher der Ernst wohl vorwiegt, aber nicht alleinherrscht,
zu einer epischen Komposition, der nur in einigen Kleinigkeiten
etwas wie Zwang zeigt. Die Volkstümlichkeit der Darstellung
ist eine solche bester Art: der wenig Gebildete schon wird das
Buch verstehen können, der Hochgebildete aber wird dennoch
nie etwas empfinden, als spräche man mit dem Leser gleichsam
von oben herab.

Doktor Hascal. Roman von Emil Zola. (Stutt-
gart, Deutsche Verlagsanstalt, 2 Bände.)

Mit diesem Roman, der nim also auch in guter deutscher
Übersetzung vorliegt, giebt Zola den Schluß seines Riesen-
 
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