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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1894)
DOI Artikel:
Spitteler, Carl: Zur Zukunft der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0123

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8. Dekt.

Lrscbetnt

am Anfang und in der Mitte

Derausgeber:

Ferdinand Nvenartus.

Kesrellprets:
vierteljährlich Mark.

7. Zadrg.

Dte Lukunkt der tDusik.

LWeites Zannar-Dett 189 t.



M Scbielc i>cs

ann man es den Musikern verdenk'en, daß auch
sie einmal versuchen, den Schleier der Zukunst
über ihrer Kunst ein wenig zu lüften durch eiue
regelrechte „Enguste" ? Der belanute Heraus-
geber des Hesseschen Musiker-Kalenders, vr. Hugo Rie-
mann, hat unlängst eine Reihe angesehener Vertreter der
musikalischen Welt in einem Rundschreiben aufgefordert,
ihre Ansichten und Vernlutungen über die Zukunft der
Musik einmal ofsen auszusprechen. Daß diese Umfrage
manche interessante Meinung, manches gute Wort zu Tage
fördern sollte, war zu vermuten. Hören wir ein wenig
diesen Stimmen zu, wie sie hier nach einander laut
werden.

Moritz Moszkowski erscheint die Znkunft der
Musik in trübseligem Lichte wegen der ungeheuren Uber-
produltion aus allen wicktigeren Gebieten der Tonkunst.
Er verbreitct sich zunächst eingehend mit bittcrem Sarkas-
mus über das moderne Konzertwe^en, über die tonkünst-
lerische Uberschwemmung, unter der fast alle europäischen
Städte zu leiden haben, wonach, wie er meint, schließlich
eine Abstumpfung gegen jeden musikalischen Reiz eintreten
muß. Für die Zukunft der deutschen Oper erhofft M. Mosz-
kowski wenig, und er bemerkt dabei sehr richtig, daß die
sogenannte neudeutsche Richtung inzwischen schon recht alt
geworden ist, ohne daß sie ihre Theorien zu konkreten
Erzeugnissen von einiger Lebensfähigkeit verdichtet hätte.
Größere Hossnungen hegt unser Mann sür die Zukunft
der deutschen Jnstrumentalmusik, in der Deutschland ja
von jeher geherrscht hat und noch lange seine führende
Stellung behaupten dürfte. „Der große symphonische Stil
darf in der That als synonym für den deutschen Stil
Ä-

gelten." Iadassohn, der verdienstvolle Leipziger Theo-
retiker, spricht als guter Konservativer zunächst die Über-
zeugung aus, daß unser Our - NoII - Tonsystem für eine
unabsehbar lange Zeit die Grundlage zu allen Tonschöpf-
ungen bilden werde — schwerlich dürste er damit aus
Widerspruch stoßen. Auch das ist anzunehmen, daß, wie
er weiter behauptet, der gegenwärtige instrumentale Aus-
führungs-Apparat im Wesentlichen unverändert bleiben
wird. Daß aber die überlieferten Formen der Jnstru-
mentalmusik, wie sic im Laufe der Jahrhunderte sich ent-
wickelt haben nnd durch Beethoven ausgebaut worden sind,
„stereotyp" sein, keine Umwandlungen mehr ertragen
könnten, darübcr läßt sich denn doch streiten. Hanslick
geht der Frage verdrießlich aus dem Wege, er macht nur
eine allgemeine Bemerkung, die nicht viel besägt. Map
Bruch lehnt in höflichen Worten ab, Anton Rnbin-
stein auch: in seinem Buche „Die Musik und ihre
Meister" habe er sich über diesen Punkt ausgesprochen,
läßt er einfließen. Heinrich Ehrlich meint, daß die
Jnstrumentalmusik, besonders in ihren kontrapunktischen
Formen, noch manches Feld biete, aus dem neue Ernten
zu erzielen wären. Alexander Moszkowski er-
wartet eine baldige durchgreifende Reaktion gegen den
einseitig deklamatorischen Stil in der Oper zu Gunsten
des melodiösen Elements.

„Am sichersten wird man immer noch gehen, wenn
man zur Beurteiluug einer bevorstehenden Entwicklung sich
Rat sucht bei der Vergangenheit", schreibt Hermann
Kretzschmar. „Den Vorsprung, den Deutschland noch
heute in der Musik überhaupt und am unbestrittensten
in der Jnstrumentalmusik vor anderen Ländern voraus

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