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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1894)
DOI Artikel:
W.: Der Dialekt im Drama
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0139

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Lrstes Februar-Dett t9S4.

9. Dekt.

Lrscbetnt

Derausgeber:

Ferdlnuud Nueuurius.

Kesrellprets:
vierteljährlich 2^/9 Mark.

7. Z«I,rg.

UK M Kkviklk vk!

Ss


eit Klaus Groth im Jahr t852 seinen
Lorn" in die deutschen Lande fließen ließ, ist
die Dialektdichtung zu neuem Ansehen, zu
neuer Blüte gekommen. Fritz Reuter war der
erste und erfolgreichste von Groths Nachfolgern, Reuters
unerreichter Humor machte die Dialektdichtnng volkstümlich.
Groth hatte reinen Dialekt geschrieben, sest nmgrenzte, aus-
geprägte Stammescharaktere geschafsen, — darin Lesteht
seine fortdanernde Bedeutnng in erster Reihe. Reuter kam
den weiteren Kreisen des deutschen Bolkes entgegen: wie
sein „Messingisch" die Sprachweise des Dialektes dem
Hochdeutschen vielsach anähnelt, so sind seine Gestalten zu-
meist allgemeinere Charaktere und Typen, nicht selten sreilich
auch spröde stammhafte Natnren.

Auch auf das Theater hat der Dialekt seinen Weg
genommen. Die niederdeutsche Komödie Llühte in Hamburg,
das Lairische Volksstück in München, und beide Schauspiel-
gesellschaften fanden auf Gastfpielen in allen deutschen Gauen
ihr Publikum; Lesonders hielt sich auch Wien als Mittel-
punkt des österreichischen Volksstück'es aufrecht. Wie in den
Dichtungen von Klaus Groth und Reuter lagen oft genug
eigentümliche Verhältnisfe der engern Heimat zn Grunde, oft,
ohne daß die Zeickmung über den allgemein menschlichen und
allgemein volkstümlichen Rahmen hinaus nach Stammes-
vertretern strebte, in einzelnen glücklichen Schöpfungen,
namentlich von Anzengruber, indeß Lis zu dieser intimeren
Charakteristik vordringend.

Auf ganz andre Art und von ganz andrer Seite fordert
neuerdings der Dialekt auf der Bühne Gehör. Einige
Legabte jüngere Dichter verwenden ihn Lesonders sür die
Gestalten aus dem ungebildeten Volke in ihren nichts

weniger als volkstümlichen Dramen mitten zwischen hoch
deutschem Dialog. Angeregt durch die literarischen Genossen
Arno' Holz und Johannes Schlaf, ist Gerhart Hauptmann"
znm Führer dieser Richtnng erwachsen.

Hauptmanns erstes Drama „Vor Sonnenausgang"
verwendet in solcher Weise den schlesischen Dialekt, der sich
in späteren Stücken desselben Dichters mit dem Berliner
Dialekt durcheinander schlingt oder ihm gar den Platz
räumt, bis der „Biberpelz" eine Lunte Fülle der ver-
schiedensten Mundarten sich kreuzen läßt.

Wir verkennen nicht, daß der Dichter ein festes Ziel
im Auge behält und unverdrosfen Schritt für Schritt daranf
losrückt. Aber wir ineinen, es ist ein Jrrlicht, das ihn
verlockt; und überdies sind es Jrrwege, auf denen er dem
verführerischen Ziele zustrebt. Hauptmanns Endabsicht geht
osfenkundig auf unmittelbare Wiedergabe der Alltagssprache
des Lebens, als der allein natnrtreuen; zu diesem Zweck
glaubt er jede, gleichviel, ob charakteristische oder bedeutungs-
lose Färbung der Mundart in den dramatischen Dialog
überführen zu müsfen.

Zur Erkenntnis der Absichten, in deren Dienst hier
der Dialekt gestellt ist, gelangen wir schon durch Gegenüber-
stellung mit der bisherigen mundartlichen Dichtnng. Diese
wollte uns ein Stück unverdorbener Natur, wollte uns
von der Kultnr noch nicht abgeschliffene, wollte uns schlichte,

* Wir möchten hier betonen, daß wir des Herrn Ver-
sassers Meinung über Gerhart Hauptmann nicht unbedingt teilen
— eine Bemerkung, die, eigentlich überflüssig, doch zur Ab-
wendung von Mißverständnissen ausdrücklich hergestellt sei.
Wie alle Leitanfsätze des Kunstwarts soll auch der obige eine
Anregung geben. Kw.-L.

Der Dmlekt im Dratitn

Quick-

— l2S
 
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