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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 18 (2. Juniheft 1894)
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Die Erweckung des Natursinns
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0285

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dürfen, nicht nur seinen optischen sondern anch seinen
akustischen Teil werden zu lassen, auch das Reich der Töne
nicht auszuschließen bei der Erzielung der Gesamtwirkung,
welche die Natur auf das Gemüt des Kindes auszuüben
bestimmt ist." Zu unvermittelt auch tritt sonst der übliche
musikalische Fachunterricht an die Schüler heran. Und das
sunge Volk ist so dankbar dafür, wenn man ihm Fink und
Meise, Amsel und Lerche auch an den Tönen zu erkennen
lehrt, und man kann es auf dieser Stufe des Unterrichts
guten Gewissens weil guten Nutzens thun, ohne klar-
zulegen, ob der Kukuk mit großer oder kleiner Terz rust.
Das Wafsergebraus, das Wipfelrauschen, das Dröhnen und
Rollen des Donners, sie alle, die Naturlaute, die gerade
den größten der Komponisten so vieles zugesungen haben,
was in verklärter Form durch ihre Werke hintönt, man
möge den Kindern lehren, sie gut zu hören; die sind zu
solchen „Anstrengungen" gar gern bereit. Und spielend
kann dabei z. B. einem späteren wirklichen Verständnis
für die Klangfarben und ihre verschiedenartige Wirkung
vorgearbeitet werden.

„Alle diese Dinge, die wir hier nur andeuten können,
deren eingehendes, vom pädagogischen Standpunkt aus zu
unternehmendes Studium des Jnteressanten und vielleicht
auch des Neuen mancherlei zu Tage fördern würde, weisen
darauf hin, daß der Kunstsinn in dem Schüler am sichersten
und zweckmäßigsten vorbereitet wird, wenn man in ihm
gleich von Anfang an unter Benützung des natürlichen
Zuges zur Natur, der sich fast sicher bei ihm vorsindet, den
Naturfinn in geeigneter Weise wach rust und pslegt, wobei
an dieser Stelle ganz davon abgesehen werden mag, welch
mannigfache andere Vorteile für die Crziehung und den
Unterricht des Kindes sich zugleich ergeben."

Wie aber soll man bei solcher Unterweisung vorgehen?

Jäger betont zuerst. was dabei zu vermeiden ist.

Vor allem werde man (prächtig, daß das ein Schul-
meister sagt!) ja nicht systematisch! Es handelt
sich ja um ganz kleine Leute, denen der Segen des
Systematischen noch gar nicht aufgegangen ist; Lieb und
Lust zum Dinge ist aber hier die erste Vorbedingung guten
Erfolgs. Griffen wir die Sache systematisch an, wir be-
kämen zudem aller Wahrscheinlichkeit nach doch nur zu
den alten „papiernen Fächern" ein neues!

Zum zweiten ist vor dem Versuche zu warnen, den
Kleinen Empfindungen und Gefühle aufzunötigen;
Unwahrhaftigkeit und Unnatur wären die verderblichen
Folgen. „Sondern der Lehrer, der hier allerdings ein
erfahrener Psycholog sein muß, hat bei Gelegenheit der
gemeinschaftlichen Naturbetrachtungen nur die Anstalten
derart zu trefsen, die Beobachtungen so zu lenken und zu
verbinden, daß der von ihm in Aussicht genommene psychische
Erfolg sich beim normalen Schüler ganz von selbst einstellt,
und daß er denselben höchstens mit einigen, nicht in lehr-
haftem Tone gehaltenen, mehr nebenbei angebrachten Worten
den Ausdruck verleiht, der dem Alter und der Stimmung
der Schüler angemessen ist, und den diese suchen, aber
vielleicht nicht sinden können."

So hüte man sich auch sorgfältig vor allen Gegen-
ständen und Betrachtungen, für welche die Schüler noch
nicht reis sind.

Das also wäre zu vermeiden. Zu verlangen ist
vor allem, daß diese Art der „Naturkunde" in der freien
Natur betrieben werde. Jäger widerlegt, was man ihm
von pädagogischen Gründen entgegenhalten könnte, und
schildert ein wenig, wie er sich die Ausflüge denkt.

„Die Verarbeitung, Vertiefung und Zusammen-
sassung der im Freien erhaltenen Eindrücke," sagt er
dann, „kann sehr verschiedener Art sein, hat aber regel-
mäßig stattzusinden; es kann zweckmäßiger Weise hierfür
die nämliche Stunde verwendet werden, zu der in der
vorhergehenden Woche die Wandernng ausgeführt worden
ist. Hier wie dort ist Alles, was nach schulmäßigem
Zwang aussieht, sorgfältig zu vermeiden; auf die Frische
des Eindrucks im einen Fall, auf die Ursprün glichkeit
und Wahrheit der Wiedergabe im andern Fall kommt
Alles an; nur wo der Schüler entschieden einen Jrrweg
einzuschlagen im Begrifse ist, soll er vom Lehrer sachte
znrückgehalten und unvermerkt auf die rechte Bahn gebracht
werden."

Unser Rektor schließt mit einem Hinblick auf die Be-
lohnung, die der Lehrer sür seine Mühe aus der Freude
seiner jungen Schaar gewinnen werde. Und er verheißt
uns eine zweite Arbeit, die der weiteren Ausbildung
des Kunstsinns gewidmet sein soll, wie die vorliegende
seiner Erweckung. Wir werden auf die hochwichtige
Sache zurückkommen, wie sich's für uns gebührt.

DLcbtung.

» Scböne Ltreratur. 39.

Die Lntgleisten. Eine Katastrophe in sieben Tagen
nebst einem Vorabend. Von Ernst von Wolzogen.
(Berlin, F. Fontane L Co.)

Ein junges Mädchen verliebt sich in einen Leutnant, der
die Liebe sehr ernst nimmt. Als die Eltern der Ehe nicht
zustimmen, entführt er seine Geliebte, verlebt mit ihr in Welt-
einsamkeit arkadische Wochen und geht dann zurück zur Stadt,
die Einwilligung zu erzwingen. Als er sie bringt, ist aber

Ikundsckau.

sein Bräutchen weg: es hat sich mittlerweile in einen andern
verliebt. Der Offizier verlebt qualvolle Jahre, streist ruhelos
in sremden Kriegsdiensten umher, wird zum Trinker und
endet, zum Krüppel geschossen, als Lehrer an der erbärmlichen
„Presse" in einer märkischen Kleinstadt. Besagte junge Dame
hat einen Stiefbruder, der sie liebt, der nimmt sich ihres
Töchterleins an, gilt für dessen Vater und muß seines „un-
ehelichen Kindes" wegen schließlich eine Gymnasiallehrer-
stellung aufgeben. Er wird Lehrer an eben derselben Anstalt,



- 27S —
 
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