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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 9 (1. Februarheft 1894)
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W.: Der Dialekt im Drama
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0141

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gerade ohne den Geist. lLr dezeichuet inehr den Crt als
den Stamm.

Das dient überhaupt in letzter Reihe zur Abrechuung
mit der neuesten dramatischen Dialektdichtung, daß sie mit
der Schilderung des Stammescharakters ihrer Gestalten
uoch nicht wesentlich über die Schilderung der Mundart
hinausgelangt. Wie die poetischen Verjüngungsversnche
unserer Naturalisten auch sonst noch oft nicht über die
Diktion hinausgeschritten sind, so gilt ihnen auch hier noch
häufig ein schlesisch Sprechender als schlesischer Charakter,
ein Berlinernder als echter Brandenburger.

Gewiß hat der Naturalismus durch äbuliche Bestrebuugeu
eine Vervollkommnuug der Technik bewirkt. Aber gerade
Hauptmauu besitzt niehr als äußerliche Gäben. Wenn
seine Menschendarstellung bis zur Charakterisirung der
Stammesaulagen vertieft sein wird, wollen wir ihn auch
iu seiner Dialektbehandluug freudig als eiuen Erneuerer
oder doch Verjünger unseres Dramas Legrüszen. Die
Lunte Mischung der bloßen Mundarten sührt indeß unserer
Besürchtung nach mehr zu einer Veräußerlichung als zu
einer Bertiesung der Charakteristik.

Ml.

Dicdtung.

» Lcböne Literatur. 32.

Meine Rinderjahre. Autobiographischer Roman von
Theodor Fontane. (Berlin, F. Fontane Co., ^ M.)

„Als mir es seststand, mein Leben zu beschreiben, stand
es mir fest, daß ich bei meiner Vorliebe sür Anekdotisches und
mehr noch sür eine viel Raum in Anspruch nehmende Klein-
malerei mich auf einen bestimmten Abschnitt meines Lebens
zu beschränken haben würde. Denn mit mehr als einem Bande
heraustreten, wollte mir nicht rätlich erscheinen. Und so blieb
denn nur noch die Frage, welchen Abschnitt ich zu bevor-
zugen hätte.

Nach kurzem Schwanken entschied ich mich, meine Kinder-
jahre zu beschreiben, also »to bs^in -nütll tlls lleZinilloZ«. Ein
verstorbener Freund von mir (noch dazu Schulrat) pflegte
jungverheirateten Damen seiner Bekanntschast den Rat zu geben,
Aufzeichnungen über das erste Lebensjahr ihrer Kinder zu
machen, in diesem ersten Lebensjahre »stecke der ganze Mensch«.
Jch habe diesen Satz bestätigt gesunden, und wenn er mehr
oder weniger aus Allgemeingültigkeit Anspruch hat, so dars
vielleicht auch diese meine Kindheitsgeschichte als eine Lebens-
geschichte gelten. Entgegengesetzten Falls verbliebe mir immer
noch die Hoffnung, in diesen meinen Auszeichnungen wenigstens
etwas Zeitbildliches gegeben zu haben: das Bild einer
kleinen Ostseestadt.aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts
und in ihr die Schilderung einer noch ganz von Resugie-
Traditionen erfüllten Französischen-Kolonie-Familie, deren
Träger und Repräsentanten meine beiden Eltern waren. Alles
ist nach dem Leben gezeichnet. Wenn ich trotzdem, vorsichtiger-
weise, meinem Buche den Nebentitel eines »autobiographischen
Romanes« gegeben habe, so hat dies darin seinen Grund,
daß ich nicht von einzelnen aus jener Zeit her vielleicht noch
Lebenden aus die Echtheitsfrage hin interpellirt werden möchte.
Für etwaige Zweisler also sei es Roman!"

Wir müssen diese kleine Vorrede hinsetzen, um zu zeigen,
was Fontane eigentlich und wie er's geben wollte. Es ist sast
rührend zu sehen, mit wie herzlichem Behagen sich der alte
Herr in die Erinnerungen seiner Kindheit vertieft, es ist
staunenswert, wie lebendig diese Erinnerungen noch in ihm
sind, es ist zum Bewundern, wie wenig die Pietät gegen das,
was der Verfasser liebt, ihn hindert, der Wahrheit überall die
Ehre zu geben. Denn augenscheinlich war es Fontane durch-
aus nicht wie manchem anderen Autobiographen darnm zu
thnn, die Geschichte seiner Jugend in Wehmut und Humor zu
einem idealistischen Kunstwerke zu verklären, sondern die Ge-
stalten in ihrem Bild sollten trotz aller Lichter, die gelegent-
lich die Persönlichkeit des Schreibenden über sie wirft, in ihren
Formen genau so bleiben, wie sie waren. Jnsbesondere die

IKundscbau.

Schilderung, die der Verfasser von seinen Eltern giebt, Leuten,
die, allzu jung zu einandergekommen, trotz ihrer guten Eigen-
schaften nicht in innerer Harmonie lebten, wird manchem das
Fontanische Selbstbekenntnis in Erinnerung rufen, ihm sehle
„der Sinn sür Feierlichkeit", wird manchem andern sogar un-
kindlich und unschön erscheinen. Und doch beweisen Dutzende
von Stellen und beweist sogar ein ganzes eigenes Kapitel, daß
der Dichter, nichts Menschlichem sremd, trotz der Menschlich-
keiten in diesen beiden Seelen sie nicht nur mit angeborener
Kindesliebe, sondern mit bewußter und objektiver Klarheit als
gute Menschen liebt, weil er tiefer in ihr Herz sah, als andere.
Mir persönlich hat das Buch sehr viel Freude gemacht. Es
ist nicht nur kulturgeschichtlich und als Beschreibung der
Jugend eines Fontane, sondern anch psychologisch interessant.
Und dabei ist es, selbstverständlich, so geschrieben, daß auch
das ästhetische Bedürfnis erhält, was es verlangt.

Stimmungen. Gedichte von Eduard Fedor Kastner.
(Wien, Verlag von „Böhmens deutscher Poesie und Kunst".)

Lrnste weisen. Gedichte von Else Kastner-
Michalitschke. (Ebenda.)

Jn einem sehr wehmütigen Vorworte sagt Kästner, er sei
an Enttäuschungen zu reich, als daß er sich auch von dieser
seiner nenesten Gedichtsammlung viel Erfolg verspreche — sie
solle nur „eine Art Gruß und Lebenszeichen" für jene sein,
die an ihm und seinen Arbeiten „einen kleinen Anteil nehmen".
Auch ich vermag nicht, dem Dichter aus große Anerkennung
oder gar ans Gewinn Hoffnung zu machen. Es giebt zwar
Gedichtbücher, die weit schlechter sind, als diese „Stimmungen",
und doch auflagenweise gekauft werden, aber die Gründe, welche
die Wolff, Rittershaus, Träger usw. „gemacht" haben, treffen
sür diese Verse hier nicht zn — Kastner hat zum Modepoeten
keine Anlage. Ein so starkes dichterisches Talent aber, daß
er sich „trotz alledem" durchringen könnte zur allgemeinen
Geltung, ist er auch nicht. Und dennoch spreche ich von ihm
an dieser Stelle. Da und dort bei seinen Versen erwacht in
uns plötzlich das Gesühl, ein Stück Persönlichkeit unmittelbar
sich darleben zu sehen, und das eigentliche Kennzeichen der
Kunst trifft zu: daß man ihrer Mittel vergißt, daß man
des Spiegels über dem Gespiegelten vergißt, daß man mit dem
Kunstwerk der Natnr, des Lebens selber zu genießen glaubt.
So klein dieses Lob klingt, es ist kein kleines Lob, denn es
spricht dem Verfasser die Anerkennung einer immerhin echten
dichterischen Begabung zu, und diese ftndet sich unter den
hunderten, den tausenden von „Dichtern" nur sehr, sehr selten.
— Else Kastner-Michalitschke ist augenscheinlich mit Eduard
Fedor verwandt. Sie ist es auch hinsichtlich der Begabung;
von dem oben genannten kleinen Hefte, wie von ihren früher



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