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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 7 (1. Januarheft 1894)
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0116

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auf eine dereinstige Wiedervereinigung der jetzt getrennten
Künstlerschaft sestgehalten wird, so möge man keinen Augen-
blick vergessen, daß nur die ehrliche Durchsührung unbedingter
Gerechtigkeit und der Verzicht aus alle nicht im Wesen der
Kunst liegenden Kampsesmittel im Stande sind, die Gemüter
zu versöhnen.

» Lin Lnglünder über deutscbe Ikunst. Bei

der diesjahrigen Verteilung von Preisen der englischen
königlichen Kunstakademie hielt ihr Präsident, der gefeierte
Maler Sir Frederic Leigthon, einen weiteren seiner Vor-
träge über Kunstgeschichte. Nachdem er in fruheren Jahren
die Ausbildung der Knnste in Jtalien, Spanien und Frank-
reich behandelt, sprach er diesmal über die deutsche Kunst.
Sir Frederic, der mehrere Jahre in Deutschland studirt
hat, weiß an der deutschen Kunst einiges zn rühmen und
vieles zu tadeln; daß unser Vvlk auf dem Gebiete der
Lildenden Künste etwas vollendet Schönes je geleistet habe,
spricht er ihm ab. „Die tiefen Elemente der deutschen
Poesie, welche im Grunde der deutschen Natur liegen",
so sagte er nach der „Frf. Z.", „sind der Welt nicht
durch Gestalt und Farbe übermittelt worden. Nicht aus
den Wellen des Lichtes, sondern des Tons haben uns die
Deutschen in die reinsten Sphären ästhetischen Entzückens
leiten können." Leighton bewundert und lobt die Gründ-
lichkeit, Kraft und Wahrheit der deutschen Knnstwerke, den
Reichtum der Phantasie, die vollendete Technik und die
starke Jndividualität der deutschen Künstler, allein „bei
jedem Schritt vermißt man den Zauber der Harmonie,
die Feinheit des Gefühls und den ergreifenden Schön-
heitssinn, welche die ansschließlichen Gaben der Hellenen
und der romanischen Rassen zu sein scheinen". Zuerst die
Entwickelung der deutschen Baukunst berührend, erklärte
Leighton, daß im deutsch-romanischen Stil alle Keime einer
währen nationalen Baukunst zu entdecken seien. Die Dome
in Worms, Speyer, Mainz, die Apostelkirche in Köln, die
St. Johanniskirche in Regensburg, die Kathedralen in
Bamberg und Osnabrück besäßen besondere Schönheiten,
wwnn man bei allen diesen auch grobe Verstöße gegen die
Harmonie vorsinde. Aber diese verheißungsvollen Keime
seien nicht znr Entfaltung gekommen, da nach dem Falle
der Hohenstaufen die deutschen Architekten sich dem von
Frankreich übernommenen gotischen Stile zuwandten. Daß
die deutsche Baukunst in ihren gotischen Denkmälern Groß-
artiges und Vollendetes geleistet, läßt Sir Frederic durch-
aus nicht gelten. Von der Angsburger Käthedrale meinte
er: „Mir schaudert bei der Erinnerung an ihr Äußeres."
„Die starke Vorliebe der Deutschen für Linien und die
merkwürdige Freude, die sie darin sinden, durch und hinter
Gegenständen andere und wieder andere sehen zu können
— ein Zug, der vielleicht nicht allein auf die ästhetische

^ Seite ihrer Natur beschränkt ist ^— verleitete sie mit der
Zeit zu übermäßiger und unerträglicher Schnörkelei."
Doch ist Leighton gütig genug, den Meisterwerken der
deutschen Gotik auch eine gewisse Schönheit zuzugestehen:
indessen rühre sie nicht von der architektonischen Reinheit,
sondern der Farbe und Mannigfaltigkeit her. „Der Ein-
druck, den man beim Betreten des Jnnern der St. Laurentius-
kirche in Nürnberg oder des Stephansdomes in Wien
empfängt, ist entzückend." Jm Kölner Dom freilich, glaubt
Leighton (und darin werden ihm auch viele Deutsche zu-
stimmen), fühlen sich die Besucher nicht von dem unwider-
stehlichen Ausdruck des Genies ergrifsen. Über deutsche
Bildhauerei und Malerei, welche Sir Frederic nur in
Knrzem berührte, lautet sein Nrteil kaum günstiger. Wenn
auch viele Bildhauer wie Adam Krast, Peter Vischer, Veit
Stoß der größten Achtung würdig seien, so habe die
deutsche Bildhauerei doch nur selten, wenn überhaupt, eine
annähernde Vollkommenheit erreicht. Höheres hätten die
Deutschen in der Malerei errungen. Jn ihren Werken
der Glasmalerei, „in denen das grelle Grün, Gelb nnd
Rot uns an die Harmonie des Käkaduhauses im Zooloo-
gischen Garten erinnern, erreichen sie niemals den feinen
Geschmack der sranzösischen und der vlämischen Künstler.
Seine ersten Fortschritte in der Malerei verdankte Deutsch-
land den vlämischen Malern und seinen Ruhm vor allen
zwei Männern, Dürer und Holbein dem Jüngeren, der
vielleicht eine weniger mächtige Persönlichkeit, aber ein
weit bedeutenderer Maler als Dürer war." Und auch
dieser entgeht nicht dem Tädel Sir Frederics. „llner-
schöpflich in der Erfindung, ein machtvoller Zeichner, be-
saß er immer einen gewissen kalligraphischen Manierisnms
und ließ es an ungekünstelter Einfachheit fehlen." Das
größte Lob aber spendet Leighton zum Schluß nnseren
Kleinkünstlern. Holzschnitzerei sei von Alters her von den
Deutschen mit besonderer Leidenschast und größtem Geschick
betrieben worden. Die Freude ferner an prächtiger Aus-
schmückung der Person, welche ihnen von jeher innegewohnt
habe und sich hente noch in ihren Festaufzügen kundgebe,
habe viel zu einer glänzenden Entwickelung dieser Klein-
künste gethan, „welche dem geringsten Gebrauchsgegenstand
des alltäglichen Lebens Form, Farbe und Schönheit ver-
liehen." — Es ist ja allezeit interessant, „zu sehen,
wie andere uns sehen", und so mag uns auch dieses llr-
teil über die deutsche Kunst zu denken geben. Aber ein
Trost wird es uns sein, daß es in Sir Frederics Augen
eigentlich nur eine hohe Kunst giebt, die Leightonsche. Wie
aber in betress dieser Sache nicht eben alle Welt mit ihm
übereinstimmen niuß, so werden anch wohl noch in Hinsicht
auf andere Gegenstände einige Abweichungen zulässig sein.

Lprecbsaal.

D i ch t e r e I e n d.

Jch meine nicht das berühmte „Kainszeichen" auf der
Stirne der Poeten, das Niemand gesehen und das nichts
als eine lügenhaste Phrase aller jener weltschmerzelnden
Dichterlinge ist, deren billiger Gehirnschweiß sich in nn-
verkänfliche Maknlatnr verwandelt hat. Denn, wenn ein
Mensch wahrhaft glücklich ist, so ist es der echte, gotll
begnadete Poet, in dessen fruchtbarem Herzen jede kleinste

Freude tausendsältige Keime treibt, und das furchtbarste
Weh, das seine minderstarken Brüder zu Boden drückt,
in melodische Wehmut sich austöst. Nein! dieses Elend,
das, großgesäugt durch die mißverstandenen Schatten eines
Lenan oder Kleist, in nnseren Literaturbüchern und Zeitungen
herumspukl, ist die Ausgeburt selbsttrunkener Eitelkeit, die
sich himmelhoch über dem iin Stanbe des Alltags kriechenden





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