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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 7 (1. Januarheft 1894)
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Sprechsaal
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0117

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Philister erhaben wähnt und nichts gemein hat mit der
unzerstörbaren Liebe, welche die innerste Seele des Dichter-
und Priestertums ist. Jch will reden von jenem prosaischen
Elend, das darin besteht, das die heiße Dichterarbeit den
Lohn nicht findet, der ihr gebührt, daß sie zuweilen uber-
haupt gar keinen Lohn findet, und genötigt ist, viele Meilen
kahlen Landes zn durchwandern, eh sich ihr eine gast-
freundliche Pforte öffnet. Bestünde dieser Lohn in nichts
anderem, als in dem klingenden Honorare der Verleger, für-
wahr, niemand würde sich darüber leichter trösten als der
Dichter, der für Gold nicht fchnf und für Gold stch nicht
begeistert. Allein, was er fo nötig braucht wie Luft und
Sonne: Anerkennung und Liebe muß er haben, nicht die
doppelt und dreifach gespaltene der Presfe, sondern die
warme, unmittelbare, die vom Herzen kommt und zum Herzen
geht. llnd diese fehlt ihm vielleicht gänzlich in einer Zeit,
wie dcr unsrigen, deren höchstes Jnteresfe der greifbare
Sinnengenuß und die Politik sind. Kein Wunder, wenn
da keine Poeten kommen wollen wie Goethe und Schiller,
die den ganzen geistigen Jnhalt ihrer Periode verkörpern,
kein Wunder, wenn wir uns mit mehr oder minder
gefchickten Virtuofen und Handwerkern der Sprache be-
gnügen müssen, denen Geldverdienen und im besten Falle
die Befriedigung niedrigerer geistiger Bedürfnisse der erste
Zweck ist. Und wie eines vom andern abhängt, fo fehlt
wiedernm jener große, enthnsiastische Zug, der die Poeten
vergangener Zeiten emportrug, aus dem einfachen Grnnde,
weil wir keine Poeten haben, für die sich's zu begeistern
lohnte. Jn der That, unfere Dichter machen es uns
fauer, für ihre Persönlichkeit uns zu interessiren, wenn
wir sehen und hören, wieviel Skandal und Reklame sie
ertragen, ohne schamrot zu werden, ganz zn schweigen von
der unzählbaren Herde der Reimkünstler und anempfindungs-
vollen Schmachtlappen, für die wir kaum mehr hahen
können als ein Lächeln des Mitleids oder der Verachtung.
Heute, wo infolge der größeren Schulbildung, der leicht
zugänglichen Lektüre und des intensiveren Lebensgenuffes
der Erste Beste sich einen anständigen Band Gedichte leisten
kann, wenn er es nicht vorzieht, etwas Klügeres zu thun,
heute sollte doch, meine ich, nur der zur Feder greifen,
dem die Poesie fein Schicksal ist. Und von diesem Schick-
sal, von diefem großen, unentrinnbaren Muß, welches dem
künstlerischen Schasfen den Stempel des Genius aufdrückt,
hab ich in modernen Dichtungen, Gott fei's geklagt, soviel
wie gar nichts gefunden. Jch will keine Namen nennen,

aber fenes Drania, welches über die Bühnen fchreitet, es
könnte ungeschrieben fein, ohne daß ein einziger Ton meiner !
Empfindungsskala verschwände, jener Roman, der in zehnter
Auflage erscheint, jene Gedichte, für welche die Kritik das
Füllhorn ihrer Lobhudelei erschöpft, was haben sie mir
gefagt, als daß es noch geschickte Leute giebt, die lang-
weilige Dinge amüsant zu geben, und, was Heine und
Lenau empfunden, in beinah ebenso schönen Reimen zu be-
singen wissen? Und die Jdealisten mögen die verzweifeltsten
Anstrengnngen machen, und die Naturalisten mögen sich
auf den Kops stellen, um originell zu fein: Es ist nm-
fonst! Jhr Stil, oder besfer ihre Schreibweise mögen
originell sein, dafür geb ich keinen Psifferling, wenn mir
der Eindrnck bleibt, der ganze Kerl fei ein federfuchsender
Philister und wäre ein ehenso guter Schuster wie Dichter,
wenn er sich's nur angelegen fein ließe. Der Dichter
aber, was ich darnnter verstehe, ist mir ein Priester, der
feinen Beruf verfehlt hat, wenn er Geheimrat wird, und
er ist entweder ein Goethe oder doch ein Lenau oder er
ist gar nichts, sondern ein ehrsamer Gevatter Handschuh-
macher, der glücklich ist, wenn er ißt, trinkt, Geld ver-
dient und Kinder zeugt. Man sehe sich doch mal dic
unterschiedlichen Gesichter unserer Herren Poeten an: geist-
reiche Gesichter — nicht wahr? Aber der Teufel unter-
fcheide fie von der Menge guter Bekannten, die in allen
Straßen dutzendweise herumlausen und uns fast aufdringlich
zu der Bemerknng veranlafsen: wie doch der Menschen fo
viel auf der Welt geworden und wie es Not thue, sie zn
dezimiren, damit sich's wieder traulich lebe. Und dann
befchaue man sich die Gesichter unferer Dichterpropheten,
unseres Goethe, Lenau, Byron! Wem da nicht klar wird,
was ein Dichter ist und was ein gelehrter oder poetischer
Skribifap, der gehe in den nächsten Buchladen und kaufe
sich seinen Hausbedarf an Poesie nach dem Gewichte!

Noch einmal: Sollen die Dichterlinge fchreiben fo-
viel sie auf dem Herzen haben, und, wenn sie Geld haben,
auch drucken lassen. Aber sie sollen nur nicht jammern,
daß man ihre fchmächtigen Persönlichkeiten nicht anbetet,
sie sollen vielmehr Gott danken, daß man sie unbesteuert
darauf los dichten läßt. Schreibt Sachen, die uns das
Mark erschüttern, das Weitere wird sich finden. Solange
ihr euch abschwitzt, eure kleinen Schmerzen in große Lieder
auszuquetschen, oder unsere Ohren zu kitzeln, solange -

Anton N)urm.

drei Schritt vom Leib!

Lose Wlätter.

^ >,Die tünt unentbebrlicben Diebter" heißt ein
Aufsatz aus den Nachlasse von JamesRussel Lowell,
den jetzt das „Eentnr^ IIIn8tra.tec! M3.A3.2ine" in feiner
Weihnachtsnummer veröffentlicht hat. Jhr Verfasser ist
aber der, welchem jüngst in der Westminster-Abtei fo bald
nach seinem Tode die höchste Ehre erwiesen wurde, welche
die Engländer den Manen verstorbener Ritter vom Geiste
zollen. Zum mindesten war Lowell einer der belefensten
Menschen seiner Zeit, und feine Werke zeugen anch von
der hohen Art, wie er zu lesen verstand. Die füns
„unentbehrlichen" Dichter sind ihm Homer, Dante, Cer-
vantes, Goethe und Shakspere. Shakspere stellt er zuletzt,
obwohl ihn seine Liebe für alles Englische und auch die
zeitliche Reihenfolge hätten bestimmen müssen, den Briten

vor den Deutschen zn stellen. Jn der That geht aus
dem Aufsatze hervor, daß der Verfasser Shakfpere in eine
andere Abteilung gestellt wissen will, als die übrigen Vier,
und zwar in eine weniger bedeutende; ja, man kommt
fast zu dem Schlusse, daß Lowell in Wahrheit bloß jene
Vier, nicht auch den Fünften für ganz und gar für
„unentbehrtich" hält. „Es giebt gewisse Bücher", sagt
er, „die man unbedingt lesen muß; aber nur wenige.
Vom rein ästhetischen Standpunkte aus betrachtet, hat
bisher eigentlich nur ein einziger es vermocht, fo allgemeine
Typen vorzusühren, seine Gestalten fo kosmopolitisch zu
zeichnen, daß sie in allen Sprachen gleich wahr und für
alle Zweige wenigstens der indoeuropäischen Völkerfannlie
gleich annehmbar sind. Dieser Mann ist Homer, und





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