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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1893)
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Bie, Oscar: Anregende Missverständnisse
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0029

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wirkten. Sie malten nach und malten nach und vergaßen
ganz, daß der von ihnen bewunderte Tvn nicht znm
kleinsten Teil kein Natnrton, sondern — Galerieton war,
die Anhäufung von öfterem lllwrfirnissen, der Staub, der
sich in die geplatzten Äderchen gesetzt, das Nachdnnkeln der
ursprünglichen Farbe. Selbst die Pfadsinder der modernen
Malerei konnten sich von der Herrschaft des Galerietons
noch nicht frei machen. Treten wir mit heutigem Auge
vor Millet hin, so verwundern wir uns über die Lräunliche,
luftlose, geglättete Farbe des Meisters; treten wir vor
Conrbet hin, so erschrecken wir vor der kalkigen Grauheit
seiner Figuren und Landschaften. Und wie viele der
Lebenden, Lenbach an der Spitze, haben den Galerieton
nie hinter sich lassen können! Ja in Paris ist einer,
Emile Motte, der liebt es sogar — natürlich in alten
Rahmen — völlig verschwarzte, kaum erkennbare Bilder
herzustellen, in denen er den Reiz des Galerietons bis zur
Lächerlichkeit übertreibt . . . Und dennoch: der Galerieton
brachte senen das Bewußtsein der Farbeneinheit, nnd dies
Bewußtsein sührte schließlich einen Manet zur Entdeckung
eines anderen Farbeneinigers, den wir nicht von alten
Bildern abzuschreiben branchen, den wir alle täglich vor
Augen haben: der Lust. Die Luft ward nun das Ge-
heimnis, die Freude und der Stolz der modernen Malerei

— als erlösender Gott nahte sie denen, die einst den
lackirten Götzen des Galerietons um das Rätsel gefragt
hatten. Aber das Fragen hatte er sie gelehrt.

Beherzigen wir diese Lehren der Geschichte auch in der
Gegenwart -— denken wir daran, daß nicht jedes Ärgernis,
welches unsern logischen Kopf peinigt, auch dem Herzen
eine Trübsal zu werden braucht. Es geht des Gerücht,
daß einer, der das Gold machen wollte, aus Versehen das
Pulver erfand. Es geht das Gerücht, daß einer, der
Jndien zur See erreichen wollte, mit diesem Pulver aus
Versehen Amerika zu erobern half. Es geht das Gerücht,
daß in diesem Amerika einer der größten Betrüger aus
Versehen znm Stifter des Mormonenordens wurde, der
heut den fleißigsten und strebsamsten Teil der Bevölkerung
von enropagroßen Flächen darstellt. Und was ist gar der
Kunst erst eiu „aus Versehen?" Wir wissen's sa — sie
hat keine Ziele, sie hat nur Triebkräfte. Darum blickt,
wenn ihr Trost bedürft bei verstimmenden Mißverständnisseu
oder schiefen Auffassungen im wechselreichen Kunstleben
unserer Zeit, nicht so sehr auf das Wohin, das sich im
Fluge ändert, als aus das Wie, das den Erfolg und den
Segen bedingt. Nicht ob der Sämann diese oder jene
Furche zuerst begeht, sondern ob sein Korn Kraft und
Drang hat — davon kommt ihm die gute Ernte.

Gskar Lie.


Ikundsckau

Dicktung.

x Scböue Llreratur. 26.

Der Biberpelz. Eine Diebskomödie. Von Gerhart
Hauptmann. (Berlin, S. Fischer, Verlag.)

Uber dieses Werk, das wir vor Abgabe unsres Berichts
prüfen wollten, können wir uus kürzer sassen, als wir vor dem
Lesen vermuteten.

Die „Handlung" ist mittlerweile von allen Tagesblätteru
so viel besprochen worden, daß wir sie als bekannt voraus-
setzen dürfen. Jn einem Ort nahe bei Berlin kommt Diebstahl
auf Diebstahl zur Anzeige, aber vorlüufig uicht zur Ent-
deckung, da der Amtsvorsteher, ein beschränkter Herr, die alte
Gaunerin sür eine kreuzbrave Person, einen harmtosen Gesellen
aber sür einen hoch geführlicheu Menschen hält. Eiu Jrrtum
(in Klammern bemerkt), der wenigstens in seinem ersten Teile
verzeihlich ist, denn wie dem Amtsvorsteher geht es mit der
Frau Wolff auch den meisten gescheiteren Leuten im Dorf.

Um unsere Meinung kurz heraus zu sagen: wir halten
den „Biberpelz" durchaus sür kein wertloses Werk, aber doch
sür das miudest bedeutende von allen Schauspielen Hauptmanns.
Ein Lustspiel ülterer Gattung ist es nicht: dazu fehlt ihm die
lustspielmäßige Zuschärsuug bis zu jener Spitze, die abbrechen
muß, überhaupt der theatralisch spannende Aufbau. Doch kanu
ich auch nicht, wie manche wolleu, eine rechte Satire darin
sehen, denn bei einer solchen müßte sich der Versasser doch
wohl überlegener spieleud zeigeu. Man hat deu Eindruck: es
sollte eiue Satire werdeu, aber das uaturalistisch rein sachliche
Jnteresse an den Dingen veranlaßte dann wieder den Dichter
zum Verweilen bei einer schillernden Kleinmalerei, welche ihn
die „Jdee", ohne die reine Satire nicht denkbar ist, zeitweis
beiseite setzen lies.

Jn einer Beziehung aber ist das Werk sehr interessant'
hinsichtlich der Charakteristik der einzelnen Gestalten. Diese
Frau Wolff z. B., deren Seele aus so wundersam wider-
strebendeu Elementen so uberaus glaubwürdig zusammengesetzt
ist und von der Besitzerin osfenbar als eine ganz harmonische
Seele empfunden wird, ist eben wegen dieser Mischung neu
in der dramatischen Literatur — hätte Hauptmanu Scherze
wie falsche Anordnung von Fremdwörtern usw. sparsamer ge-
braucht, es läge dies wohl noch klarer und noch erfreulicher
am Tage. Und auch die übrigen Gestalten sind durchaus au-
geschaut und dann und wann mit so seiner Meisterschaft ge-
zeichnet, daß man das Verschwinden des Stückes von der Bühne
bedauern müßte, wenn es in diesem Fall nicht desto fleißiger
gelesen würde. Es ist kein vortreffliches Lustspiel noch eine
meisterhafte Posse, aber es ist eine Menschenschilderung, die
als solche verdient, iu der Geschichte der Charakterisirkunst
durch das Wort mit hoher Anerkennung genannt zu werden.

Dichtungen. Von Prinz Emil von Schönaich-
Carolath. (2. Auflage, Stuttgart, G. I. Göschen.)

So leicht es für einen Gekrönten ist, sür einen großen
Redner zu gelten, so leicht macht es ihm die ererbte Ehrfurcht
des deutschen Volks, als ein Poet dazustehen: es hat Leute
genug gegeben, die selbst den wackeren Ludwig von Baierland
für einen richtigen Dichter hielten. Und zu welchen Höhen
schraubt die Bewunderung hinauf, wenn, wie bei der Königiu
von Rumünien, ein sreundliches kleines Talent wenigstens
etwas festeren Boden zum Piedestal für die Ehrensäule giebt,
als Nebel!

Auch der Prinz von Schönaich-Carolath verdankt un-
zweiselhaft einen großen Teil seines Dichterruhms seiner vor-

- is -
 
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