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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1894)
DOI Artikel:
Verding, Götz: Volkstümliche Dramatik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0251

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Lvveites /Dai-Dett t§94.

W. Dekt.

Lrscbetnl

Derausgeber:

Ferdinand Nvenarius.

Keskellprets:
vierteljährlich Z'/z Mark.

iDolkstümllcbe Dramatik?

m Juni t8tzI, bei der Feier des deutscheu
Tages iu Chicago, hielt Karl Schurz eine
Rede, um den Dank der Deutsch-Amerikaner für
die großartige Beteiligung Deutschlands an der
Weltausstellung auszudrücken. Jn dieser vom brausenden
Jubel der Hunderttausende durchbrochnen Rede heißt es:
„Der ist nicht fähig, die junge Braut treu zu lieben, der nicht
die alte Mutter in teuerm Andenken hält. Wer das alte
Vaterlaud nicht ehrt, der ist des neuen nicht wert. So
seuden wir denu aus der Fülle des deutschen Herzens unsern
Gruß über das Meer. Stolz wie wir sind, aus freier Wahl
der amerikanischen Republik anzugehören, so siud wir stolz
darauf, der großen Nation eutsprosseu zu sein, die ein
Jahrtausend hindurch auf unzählige Schlachtfelder der
Waffen, des Gedankens und der Arbeit ihre Siegesmale
gepflanzt hat, — der Natiou, die ein mächtiges Kultur-
volk war, lange ehe Kolumbus die Küsten Amerikas sah.
Sagen wir heute laut, wie sehr wir das Land liebeu, in
dem unsere Wiege stand. Mit wehmütiger Brust denken
wir an die grünen Wasser des heimatlichen Rheins, in
denen sich die altersgrauen, sagenumwobenen Burgen

*) Wir halten es sür angebracht, beim Abdruck des solgenden
Aufsatzes wieder einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß
wir durchaus nicht die Verantwortung sür jedes Urteil und
jede Folgerung unsrer Herren Mitarbeiter übernehmen — denn
immer wieder beweisen Zuschriften, daß wir in dieser Be-
ziehung mißverstanden werden. Jm Einverständnis mit dem
Herrn Versasser der solgenden Arbeit stellen wir heute sest,
daß wir selbst sie für einseitig halten. Aber der Aufsatz ent-
hält so vieles, was auch uns wahr und bei weitem zu
wenigen bewußt erscheint, daß wir ihm die Wiedergabe an dieser
Stelle nicht versagen möchten. Rw.-L.

spiegeln; wo die edle Traube glüht; wo der Mensch sroh
ist, auch ohne zu wissen warum; wo das deutsche Lied
doppelt poetisch klingt; wo vom Niederwald das Bild der
sieghaften Germania so trotzig über die Grenze blickt -—
an das schöne, liebe Land, vou dem jeder Fuß uus teuer
ist, von den dunklen Forsten des Schwarzwaldes und dem
bairischen Hochgebirge bis zu den Düuen der Nordsee, von
den tausendjährigen Eicheu auf der roten Erde Westfaleus
bis zu den schlesischen Bergen und den Buchenwäldern am
baltischeu Meer. — Wir, die wir zu dem älteren Geschlecht
gehören, wie haben wir einst die Erniedriguug des deutschen
Nameus empsunden, als das alte Vaterlaud in ohnmächtiger
Zerrissenheit dalag; als Dentschlaud nur ein geographischer
Begriff war; als der patriotische Geist seine Kraft in zer-
sahrenen Versuchen versplitterte; als das Volk der Denker
nach all seiner glorreichen Vergangenheit nur noch als ein
Volk thatenloser Träumer und die Zukunft des Vaterlandes
eine trostlose Oede erschien. Wer das erlebt, nur der
kann es.fassen, wie hoch und hehr das Herz schlug, als
die große Kunde über den Ozean kam, der böse Zauber
sei gebrochen; der Rotbart im Kysshäuser sei erwacht und
die alten Raben umkreisten den Berg nicht mehr. Das
war ein Schauspiel, wie der einst so verspottete deutsche
Michel plötzlich aus dem Schlase erwachte; wie er die ge-
waltigen Glieder reckte; wie er seineu Schild schüttelte,
daß er klang wie alle Donner des Firmamentes; wie das
Stampfen seines Fußes den Boden Europas erzittern
machte; wie er mit mächtigem Schwertschlag den über-
mütigeu Feind vor sich in den Staub warf; wie er mit
Posaunenstimme ausrief: »Das ganze Deutschland soll es
sein«."
 
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