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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 4 (2. Novemberheft 1893)
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Lange, Konrad von: Über malerische Ausführung
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0061

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mehr von einander verschieden, je naher sich das betrefsende
Gesicht unserem Auge befindet. Auch dadurch entsteht ein
Schwanken der Umrisse. Und zwar sind die Umrisse der
Leiden von uns wahrgenommenen Bilder nicht einmal
parallel, sondern sie weichen je nach der Form des gesehenen
Körpers von einander ab, entfernen sich von einander,
nähern sich gegenseitig, verschlingen sich usw. Wenn die
Malerei diese Wirknng, auf der ja unser körperliches
Sehen in erster Linie beruht, oder wenigstens eine analoge
Wirkung erzeugen will, so kann sie das nur, indem sie
die Umrisse schwankend und verschwommen malt. Würde
sie sie scharf und genan aussühren, so würde sich Leim
Betrachten des Bildes ein Widerspruch in unserer Em-
psindung geltend machen, indem wir, obwohl wir beide
Augen beim Betrachten brauchen, trotzdem nicht diejenigen
beiden Bilder auf unseren Netzhäuten empfangen, die wir
in der Natur empfangen würden. Und dieser Widerspruch
würde die Jllusion stören, — weshalb mau ja auch, um
eine solche zu vermeiden, Bilder gern mit einem Auge oder
durch eine kurze Röhre betrachtet.

Jn der Entwicklung der Malerei können wir nun die
Beobachtung machen, daß diese Gesetze, deren Kenutnis

ja schon eiu sehr eingehendes Studium und zahl-
reiche Experimente voraussetzt, den älteren Malern, be-
sonders denen des 15. Jahrhunderts und den Deutschen
des 16. Jahrhunderts unbekannt waren. Jhre Bilder
sind, wenn ich so sagen soll, auf einäugiges Sehen be-
rechnet und wegen ihrer gleichmäßigen Ausführung von
flächenhafter und für unser modernes Gesühl langweiliger
Wirkung. Leonardos Sfumato, die breite Ausführung
des Fr. Hals und Rembrandt, die weiche des Velasquez
sind epochemachende Stufen nach der richtigen Erkenntnis
hin. Die Jmpresfionisten und die Schotten haben im
Grunde nichts gethan, als diese Richtung weiter verfolgt
und vertieft — nicht ohne gewisse Übertreibungen, die sich
weniger theoretisch nachweisen als fühlen lassen.

Jch wollte mit diesen anspruchslosen Bemerkungen eine
der wichtigsten Fragen der malerischen Theorie nicht er-
schöpfen, sondern nur zur Diskussion bringen. Jns-
besondere wäre es erwünscht^ wenn sich Physiologen einmal
über das Problem änßerten. Denn schließlich verdanken
wir Kunsthistoriker doch Physiologen wie Brücke und
Helmholtz die wichügsten Aufklärungen über diese Dinge.

Ikonrad Lange.


DLcbtung.

* Scböne Ltteratur. 27.

Die Million. Roman von Theophil Zolling.
(Berlin, Verlag der Gegenwart, 6 M.)

Nicht das betrachtet dieser Roman als Aufgabe: ein
kleines Gebiet uns so liebevoll zu veranschaulichen, daß wir's
kennen, wie unser Heim, sondern das: bunte Bilder an uns
vorüberziehen zu lassen, von denen keines lange genug ver-
weilt, um unsern Geist in sich hineinzuziehen, aber lange
genug, um ihn angenehm anzuregen und zu beschästigen.
Mitten im Treiben der Börse lernen wir die beiden Alten
unter den Hauptpersonen kennen, den fürs Börsenspiel gar be-
gabten Generalkonsul, der schließlich ein schmähliches Ende
nimmt, und den biedern schlichten Kommerzienrat, der's vom
Arbeiter zum Millionär gebracht hat und seine Tüchtigkeit
bewahrt. Nun werden wir in die Familieu der beiden ein-
gesührt, die Söhne und Töchter mit ihren verschiedenartigen
Neigungen und Beschäftigungen geben Gelegenheit, neue Kreise
in die Komposition zu ziehen, und Bild auf Bild entrollt die
epische Schaustellung: aus Bank und Fabrik, aus Schreibstube
und Arbeitssaal, von der Rennbahn, aus dem Zirkus, aus
dem Spielzimmer, aus dem feinen Restaurant und der Destille,
aus dem Leben der goldnen Jugend und der proletarischen
Handarbeiter. An ausregenden Beleuchtungen ist dabei kein
Mangel: Boykott, Streik, Betrug, Falschspiel, Brandstistung,
Selbstmord, Totschlag und Mord werfen bei den einzelnen
Einblicken ins soziale Getriebe ihre Lichter über die Dinge.
Die Männer, die dem Bersasser Vorbilder gewesen sind, heißen
wohl Daudet und Zola, und mehr als nur der Gegenstand
erinnert insbesondere an des letzteren ausgezeichnete Roman-
schilderung „Das Geld". Nun wäre es unbillig, Zolling mit
den französischen Meistern vergleichen zu wollen, nmso mehr,
als gerade sein Streben nach einer sreien Schilderung der
entsprechenden deutschen Verhältnisse sehr anzuerkennen ist.
Und als ein sehr geschickter, gebildeter und erfindungsreicher

Schriststeller erweist sich der Verfasser sorddauernd; sein Buch
ist wohl komponirt und unterhaltend. Daß es mit seinen
physischen und ethischen Schlaglichtern sehr in die Tiefen
leuchtete, kann dagegen kaum gesagt werden; eine „Problem-
dichtung" ist es nicht.

* „Die Liele der gegenwärtigen Literatur-
bewegung in Deutscbland" behandelt Adolf Bartels
in einem Aufsatze der Grenzboten, der sich durch das
Bemühen nach einem sachlichen Abwägen ohne Zorn und
Eiser vorteilhast auszeichnet. Eine Einleitung sucht die
Überschrift zu rechtfertigen und dann das Wiederkehren
„revolutionärer" Bewegungen in Perioden von etwa dreißig
Jahren für unsere Literatnr nachzuweisen. Dann fährt
der Verfasser fort:

Heute kann kein Zweifel mehr sein, daß, wie immer,
die Jungen aus der ganzen Linie gesiegt haben; ebenso
wenig aber, daß die Literatnr der Alten damit keineswegs
tot ist, wie es sich die Jungen einreden. Jedes nenanf-
tauchende bedeutendere Talent pflegt anzunehmen, daß mit
ihm eine neue Zeit beginne, und auf der andern Seite
sieht das über den Höhepunkt seiner Entwickelung hinaus
gelangte in dem Neuen nur das Hereinbrechen einer neuen
Barbarei. Das ist immer so gewesen und wird immer
so sein. Da der Konventionalismus diesmal sehr groß
geworden war, so zeigte sich auch der Sturm und Drang,
der ihn ablöste, ziemlich gewaltthätiger Natur, die Jungen
benahmen sich namentlich zu Anfang höchst ungeberdig und
wollten selbst Goethe zu den Toten werfen. Jnzwischen
dürften sie sich alle besonnen haben. Die Alten ihrerseits
sahen vielfach nur das Abstoßende der Bewegung, das
wilde Geberden des Mostes und die nicht zu verkennenden
krankhaften Züge, sowie die Ausländerei und schimpften
aus die Revolutionäre im Schulmeisterton, der bekanntlich
von leidlich erwachsenen Leuten am schwersten ertragen

Nundscbau

- sr —
 
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