Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1894)
DOI Artikel:
Volkstümliche Plastik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0155

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Avvettcs Febrnar--Dett 1894.

M Achicle


10. Dekt.

Lrscbetnl

Derausgeber:

Ferdinaild Nveilarlus.

Lcsrellprets:

^ vierteljährlich 2 Mark.

7. Zakrg.

lDolkstümlicke Dlustik.

)Zuf Hamburgs Gänseuiarkt throut über den Gänsen
Gotthold Ephraim Lessing. Es wird dir selten
gelingen, einen Blick wie vom Freunde zum
Freunde hinanfsenden zu sehn: die Leute rings-
um haben Anderes zu thun. Zuweilen tancht ein Baedeler
mit einem Menschenkinde auf, das ihm anvertraut ist,
und führt es um das Denkmal herum in das nächste
Frühstückslokal. Dann aber blickt der erzene Mann wieder
ganz umsonst so herausfordernd über die Leute. Nnr die
Hündlein kommen und spenden ihm, was sie zu spenden haben.

All dem sah kürzlich ein arnier Reisender zn (arm
war er nämlich, bedauernswert, weil er als Knnstfreund
in unsern modernen Großstädten reisen mußte, nicht wie
die anvern armen Reisenden durchs grüne Land), und er
setzte sich hin und schrieb eine bewegliche Klage an die
Kölnische Zeitung: „Armer Lesfing! Da hast du nun
mehr als ein anderer deiner Zeit dein redlich Teil dazu
beigetragen, deinem Volk ein Stückchen auf dem Wege zur
ewigen Wahrheit voranzuhelfen, hast dich ihm zuliebe mit
Eiferern und Dummen und Schlechten herumgeschlagen,
hast dein Leben zu einem Kampf, deine Feder zu einem
Schwert gemacht — und der Dank? Aufgestellt in
Hamburg auf einem zugigen Platze, in den ein Dutzend
Straßen wie die Ventile in einen Windkessel münden, dazu
unbedeckten Hauptes, daß dich des Tages die Sonne steche
und der Mond des Nachts; den Blick, der eine Minna
und Emilia im Geiste geschaut, gerichtet auf den Eingang
in eine jener verschwiegenen Straßen, die der Jüngling
von heute nicht betritt, ohne sich vorher umgesehen zu haben,
ob auch kein Bekannter in der Nahe ist. Und aufgestellt
wozu? Damit du in den Reisehandbüchern eine Zeile

füllst, damit der durchreisendc Gevatter Schneider und
Handschuhmacher, nm keine »Sehenswürdigkeiten« zn über-
gehen, dich mit hochgezogenen Branen nmkreist, damit dn
die Neverenz des alten und jungen Hundevolkes entgegen-
nimmst nnd dir angesichts der liebevollen Beachtung seitens
des jungen und alten Menschenvolkes in deinen Mußw
stunden, die dir niemand zu kürzen wagt, die Frage vor-
legst: »Wozu bin ich eigentlich hier?«"

Der reisende Kritiker tröstet nun seinen großen Kollegen
mit den Genossen im Leide. Hundert Brüder in Apoll,
die verwandelt in Erz oder Stein auf nnsern Plätzen und
Straßen stehen, sie sragen ja mit ihm: „Wozn sind wir
denn eigentlich hier? Seit dem großen Tage unserer Ent-
hüllung, wo es hoch herging und dreizehn Festredner feier-
lichst versicherten, daß wir hierher gestellt seien als sicht-
bares Zeichen, wie das dankbare Volk seine großen Söhne
zu ehren versteht, als ein Mal, die Erinnerung an uns
wachzuhalten und endlich als leuchtendes Beispiel für das
heranwachsende Geschlecht — seit diesem Tage stehen wir
inmitten des Lärmens und Treibens nm uns herum so
einsam und gottverlassen wie die Aussätzigen. Wenn ihr
Menschenkinder nun einmal von dem unbezwingbaren
künstlerischen Trieb beseelt seid, uns zu meißeln und zu
gießen, dann stellt uns doch wenigstens an einen vor Zug-
luft und ohrenzerreißendem Lärm geschützten Ort. Es ist
ja wahr, euer kalter Himmel läßt die Musenhaine, wie
wir sie als des Dichters würdige llmgebung uns denken
und wünschen, nicht aufkommen, aber . . . ihr versteht ja
so prächtige öfsentliche Gebäude zu errichten mit wunder-
schönen Vorhallen und großarügen Aufgängen, warum setzt
ihr nicht enre Dichter in eure Schauhäuser, eure Künstler




— 145 —
 
Annotationen