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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0078

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Nundsckau.

DLcbtung.

* Scböne Lireratur. 28.

verlorenes Lden — Lseiliger Gral. Roman
von KarlvonPerfall. (Z Bände, Köln, Albert Ahn.)

Über das, was er mit diesem Romane behandeln will,
giebt der Verfasser selber in einer Widmnngsrede vor seinem
Buche gute Auskunft. Es handelte sich ihm darnm, so er-
sahren wir, „in einer Stufenfolge von Gestalten und Schick-
salen die tiefe Bedeutung und insbesondere auch den'idealen
Gehalt der erotischen Lebenselemente auf breiter Grundlage
klarzulegen." „Es blieb mir das Ziel vor Augen, aus einer
jedem Leser zugänglichen, von verwickelten Ausnahmeproblemen
möglichst freien Lebenswirklichkeit die Größe und Schönheit
des sinnlichen Jdealismus zu entwickeln. Der seelische Auf-
schwung, der nnmittelbar auf die sinnlichen Thatsachen des
natürlichen Lebens zurückzuleiten ist, schließt meines Erachtens
eine Größe des Empfindens in sich, die das innerste Wesen
jener geistigen Schönheit bildet, in der wir zugleich die Ge-
snndheit sehen müssen. Ein angeblicher Jdealismus, der sich
aus irgendwelchen Gründen scheut, aus den sinnlichen Ursprung
des Gemütslebens zurückzugehen, kann unmöglich die volle
Schönheit der menschlichen Seele entfalten. Die glückliche Ehe
auf der Höhe moderner Gesittung, das edle, sinnenfrohe Weib,
sie mußten die Spitze bilden."

So gipfelt denn dieser Roman aus Münchner Künstler-
kreisen in einer Verherrlichung der Ehe in ihrer reinsten
Form, wie sie sich einem Künstler und seinem Weibe während
des Fortschreitens der Erzählung allmählich gestaltet. Was
der Verfasser gelegentlich über diese beiden seiner Helden sagt,
ist zu bezeichnend für das Ganze, als daß ich's nicht auch noch
hersetzen sollte: „Aus der empfindsam sinnlichen Verliebtheit
der kinderlosen Periode, in welcher der verliebte Gatte die
Gattin als Spielzeug angesehen, während sie ihn beherrscht
hatte durch die geschickte Gefügigkeit in seine unbewußt
despotischen Empfindungslaunen, gestaltete sich nun erst das
Verhältnis des Paares zu einer von den gleichen Jdeen durch-
geistigten Gemeinschast. Sie waren die zwei, die eine Natur-
notwendigkeit zusammengefügt hatte; der Mann, der im Weib
den kostbarsten Reichtum, den er besaß, sah, und das Weib,
das ein stolzes Lebenswerk darin sand, seinem Mann sich hin-
zugeben. Nicht verliebte Launen, holde Wallungen, der große
Gattungsgedanke, der im Kinde sich verkörpert hatte, schmiedete
den Erzeuger und die Gebärende mit eisernem Bande an-
einander. Ein Heiliges und Großes umwogte, umwallte das
Ehebett, ein stärkerer, mächtigerer Gott als der zierliche Flügel-
knabe war von nun ab der Lenker ihres erhabenen Glückes."
Die beiden aber, in denen es sich schließlich verkörpert, spielen
im Werke nnr eine gleich große Rolle, wie ziemlich viele andere
Leute, verheiratete und ledige, deren Charaktere und Schicksale
die Mannigsaltigkeit der Beziehungen zwischen Mann und Weib
in immer wechselnden Lichtern zeigen: Perfall führt uns eine
ganze Galerie von Menschen vor, deren Herz nnd Nieren er
aus dieses Verhältnis hin mit rücksichtslos sorschendem Blicke
prüst. Die Gefahr allzugroßer Einseitigkeit der Betrachtung
aber wird dadurch vermieden, daß als Nebenproblem die
Eigenheiten von nord- und von süddeutscher Stammesart mit
in die Erörterung gezogen werden und auch ihrerseits zur
Entwicklung sachkundiger Darstellungen, feiner Beobachtungen
und klnger Gedanken Gelegenheit geben. Als ein Teil des
Hauptproblems wird „die Beziehung des schönen Nackten zur
Sittlichkeit" an zwei ganz vortrefflichen Beispielen hervor-
gehoben und ernst erörtert. Persall will zu der Überzeugung
sühren, „daß die Menschen, wenigstens in unserm Klima, das

Nackte leider nur grobsinnlich zn begreifen vermögen und der
Jdealismus der schönen Form, von der Geschlechtlichkeit be-
fleckt, an seiner Unkenntnis der wirklichen Menschennatur ver-
blutet." Wir wollen hier und hente nicht erörtern, ob diese
Annahme, richtig unzweiselhaft sür die Gegenwart, znr Unehre
des Menschengeschlechts auch wahr bleiben müßte, oder ob
es einer im besten Sinne üsthetischen Erziehung vielleicht nach
Jahrhunderten gelingen könnte, auch uns Völker des Nordens
den stolzen Adel des Leibes wieder in Keuschheit empfinden
und genießen zu lassen.

Wir empfehlen Perfalls Buch den Freunden einer gehalt-
vollen Auseinandersetzung in Romansorm, die aus Grund um-
fassender Menschenkenntnis insbesondere das Denken und Be-
obachten anregt.

Neue Gedichte. Von Baron Detlev von Lilien-
cron. (Leipzig, Wilhelm Friedrich.)

Man ist gewohnt, unsern in verschiedenem Sinne sreiherr-
lichen Dichter zum jüngsten Deutschland zu zählen, obgleich er
nnn bald ein halbes Jahrhundert hinter sich hat — liest man
diese seine neuen Gedichte, so kommt Einem solche Zuzählung
auch insofern nicht gar unerlaubt vor, als der Jnhalt des
Bandes zumeist srisch-jugendlichem Empfinden entsprungen ist.
Die Liebe, oder was man so nennt, das ist's heute wie ehedem,
was unserm Poeten im Tagewerk als das Besingenswerteste
erscheint, und in zweiter Reihe ist's allerlei Lebensgenuß, der
auch in jnngen Jahren am höchsten geschätzt wird. Da muß
man nun Liliencron nehmen, wie er just ist, und sich sreuen,
daß er sein Gesicht nicht des Herrn Publici wegen in andere
Falten ordnen mag, als sie ihm liegen. Jst doch ihre große
Ursprünglichkeit von jeher ein Hauptvorzug seiner Poesie
gewesen; man nimmt gern süns unbedeutende aber natürliche
Strophen mit in den Kanf, wenn die sechste eine echte, eine
tief wurzelechte Menschenempfindung klar und wahr ans Tages-
licht hebt. Und man thäte diesem Mann, der so leicht und so
überzeugend zu sagen weiß, was er leidet, denn doch Unrecht,
wenn man nur die Niederschläge einer übermäßig verlängerten
Bohsmienzeit in seinen Versen sehen wollte: sein Herz klopst
nicht bloß bei sinnlichen Weibern schnell, sondern es thut das
augenscheinlich anhaltender beim Gedenken an ernstere Güter.
Es ist die Liebe zum Vaterland, die aus des Freiherrn Spott
aus uns Deutsche schilt, es ist die Liebe zur Kunst, die ihn
die Philisterkunst so zu hassen lehrt, und seine Liebe zur gött-
lichen Natur sieht mit treuen Augen ans weltlichen, allzuwelt-
lichen Versen ost genug heraus. Für Frauen ist Liliencron
kein Autor; weniger sittlicher Gesahren wegen ist er's nicht,
als, weil eine Frau ihm schwerlich gerecht werden kann. Die
höchste dichterische Wirkung, die, ich möchte sagen: einer
ästhetischen Erbauung, bietet er auch den Männern im vor-
liegenden Bande nur selten. Aber wie ein gar interessantes
Tagebuch liest er sich. Das denn der weltersahrene Herr
der Schöpfung lächelnd, sinnend, zustimmend, kopsschüttelnd,
abwehrend — aber ohne Pharisäertum verfolgen möge!

Io hn Brinckmans ausgewählte plattdeutsche
Lrzählungen. (Rostock, Wilh. Werthers Verlag, 2 Bde.,
je 3 M., geb. 4 M.).

Vielleicht ging ja Trojan zu weit, als er Brinckman
in der plattdeutschen Literaturgeschichte einen Platz „nicht
n ach sondern neben Reuter" zusprach, gewiß aber ist dreierlei:
erstens, wir haben's in Brinckman mit einem echten Poeten
zu thun, zweitens, wir besaßen von dieser Art Leuten von
jeher so wenige, daß es wohl gethan ist, ihrer zu pflegen, und
drittens, dieses ist nm so mehr am Platze, als Brinckman

— 6S -
 
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