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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 8 (2. Januarheft 1894)
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Sprechsaal
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0133

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hält, als wankelmütig, wenn nicht gar als kauflich ver-
schrieen zu werden. Die größten fran^ösischen Dichter
dieses Jahrhunderts, die sich selbst all der politischen
Wandlungen, welche sie durchmachten, kaum bewußt waren,
Chateaubriand, Lamartine, Victor Hugo, bieten ein beredtes
Beispiel sür unsere Behauptung. Als Dichter wegen ihres
unerschöpflichen Talentes bis an ihr Lebensende bcwundert,
als Politiker wegen ihrer Chamäleonsnatur verspottet zu
werden, war schließlich ihr Schicksal. Wenn man sich der
Reinheit seiner Absichten bewußt ist, als Sonderling ver-
lacht oder gar der Gegenstand der Verachtung zu sein, ist
nicht nach Jedermanns Geschmack. Sicherlich hat Victor
Hugo, als er der Reihe nach Bonapartist, Royalist, Liberaler
und Republikaner war, alle Nüancen dieser verschiedenen
Überzeugungen lediglich deshalb durchgemacht, weil iu ihm
die verschiedensten Ansichten sich kreuzten, sa in seinem
Gehirn eine förmliche und sogar sehr beredte Vertretung
aller Parteien sich ein Stelldichein gab. Er, der sich um
die Präfidentschast der Republik bewarb, weil der Dichter
nach seiner Auffassung berufen war, die Welt nach dem
Ebenbilde Gottes zu gestalten, der Dichter, dem er, gleich
unserem Schiller, eine Stellung auf der Menschheit-Höhen
anwies, als ihr Arm und ihr Kopf, ihr Gedanke und ihr
Herz, ihre Fackel und ihr Schwert, ihr Gesetzgeber und ihr
Eroberer, ihr Prophet uud ihr Messias, ihr Apostel und
ihr König: er war — das unterliegt keinem Zweisel -
zu einem derartigen verantwortungsvollen Amte nicht be-
rufen. Wohl könnten jedoch Leute seines Schlages, mit

einem Worte wahre, gottbegnadete Künstler im Parlamente
eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie, wenn die
Verhandlungen sich gar zu frostig und nüchtern dahin-
schleppen und große Gesichtspunkte unter dem Wust von
Kleinigkeiten zu verschwinden drohen, ihre warnende Stimme
erheben und aus dem Flachland der Alltäglichkeit uns
hineinversetzen in das ewig unvergängliche Reich des Guten,
Schönen und Wahren. Die Politik muß mit realen
Mächten rechnen, das wird Niemand in Abrede stellen.
Aber die Politik ist eine Kunst, wenn auch keine Kunst im
engeren Sinne, und darf nicht zum geschäftsmäßigen Hand-
werk oder zum bloßen Formelwesen herabsinken. Diese
Gesahr droht auch bei uns mit der zunehmenden Macht
der Parteipäpste und Parteidogmen. Ästhetischer veranlagte
Naturen haben sich deshalb bereits aus dem Parteigetriebe
zurückgezogen. Hofsentlich sinden ihre Beispiele keine all-
gemeine Nachahmung, sonst hieße dies den Staat den
berufsmäßigen Politikern und einer gewissen Sorte von
Demagogen ausliesern. Aber jeder ist berufen, in dem
rauhen Widerstreit der Tagesmeinungen seine Ansicht zu
Gehör zu bringen und sogar dazu verpslichtet. Wenn diese
Gesinnung alle Stände durchdringt, wenn der parlamen-
tarische Kampf sich veredelt, und im weitesten Sinne des
Wortes Duldsamkeit gegeu alle entgegenstehenden An-
schauungen Platz greift, dann ist auch in unserem Vater-
lande sür Künstler und künstlerisch veranlagte Persönlich-
keiten die Stätte zur gedeihlichen Entfaltung politischen
Wirkens gegeben. Or. Darxin.


Lose Klätter

Der Scbillerprei's macht wieder von sich reden.
Die Preisrichter, mit ihnen sogar Hochberg, hatten ihn
einstimmig Fuldas „Talisman" zugesprochen, der Kaiser
aber hat dem die Bestätigung versagt. Da es sich bei
der Schillerstiftung sozusagen um eine Hausstiftung der
Hohenzollern handelt, deren Preise aus kaiserlichen Privat-
mitteln beglichen werden, kann ihm Niemand das Recht zu
solchem Eingreifen bestreiten. Wir sind auch die letzten,
die jenes Votum des hohen Rates für unanfechtbar
Hielten; uns ist vielmehr der Einfall, einen Fulda so hoch
zu heben, verblüsfend in seiner Weisheit. Aber wir fragen
uns: was soll nun eigentlich die Schillerstiftung? Wozu
braucht man ein Kollegium von „Fachmännern", wenn man
ihre Entscheidung nicht gelten läßt? Bloß um der Welt
das lustige Schauspiel zu geben, daß ein paar würdige
Herren sich bloßstellen oder vom Kaiser bloßgestellt werden?
Und schließlich hätte ihr Spruch in ästhetischen Dingen
doch immerhin noch einige Bedeutung, er besagte: ein
paar Männer aus diesem und jenem Bildungskreis, die
ihr Beruf immerhin sozusagen amtlich mit schöner Literatur
beschäftigt, und die also viel davon gelesen oder gehört
haben, halten den oder jenen für einen guten Dramatiker.
Entscheidet aber der Kaiser allein, so entscheidet allein der
Privatgeschmack eines Mannes, der, mag er Politisch noch
so hoch stehen, in künstlerischen Dingen doch eben nur
einer aus dem Publikum ist. Und sollte der Kaiser etwa
den Verfasser von Charleys Tante höher schätzen, als
die Fulda, Hauptmann, Voß, Halbe, Heyse, Suder-
mann oder wen sonst noch, und wärc der Verfasser von
Charleys Tante ein Dentscher, nichts hinderte nun, daß
er mit dem Preise gekrönt würde, der nach Schiller benannt

ist. Für solche Leute, die in sich noch keine Hosratsseele
keimen fühlen, erscheint das Zusprechen des Schillerpreises
nachgerade als ein Ereignis, das mit seiner kleinen pekuniären
Erfrischung Unbemittelten zu gönnen ist, sonst aber nichts
zu sagen hat.

» Über Deutscbgesmnung und /Ibodernitüt sagt
ein Mitarbeiter der Täglichen Rundschau das Folgende:
Von unsren „Modernen", den Künstlern wie den Dichtern,
hat ein nicht geringer Teil den Zusammenhang mit dem
eigenen Volke nahezu eingebüßt. Nur in spärlichen Einzel-
heiten zeigt sich noch eine Berührung mit dem Natur-
und Mutterboden; den Grundzug aber bildet eine wahr-
haft tolle Sucht, das eigene Subjekt von aller Umgebung,
der geschichtlichen wie natürlichen, abzuschneiden und das
Leben, wenigstens im Schafsen, auszuleben ohne Rücksicht,
ohne Teilnahme sür die Anderwelt, wie einen Haschisch-
traum. Ein Rauschzustand entsteht, dem jede Halluzination,
jede Fratze der betrunkenen Phantasie für ebenso bedeutsam
gilt, wie die Tageswirklichkeit, der keinen Unterschied mehr
empfindet zwischen der Ungebundenheit des Wahnwitzes
und der Freiheit der Vernunft. Das wäre nnn weiter
nicht bedenklich, denn jede Tollheit findet schließlich ihre
Schranken, wenn nur nicht das große Publiküm es liebte,
Zeiterscheinungen nach ihren Ausschreitungen zu beurteilen
und, abgeschreckt von den Tollheiten, auch den Einsluß der
gesunden Elemente, die unter den „Modernen" mitinbe-
griffen find, sich fern hielte. Es ist gar kein Zweifel,
daß ein wahrhastes „Modern sein" mit nationaler Wurzel-
Haftigkeit, mit kerniger Volkshaftigkeit durchaus nicht im
Widerspruch zu stehen braucht. Ebenso wenig wie der
Wipsel eines Baumes einen Widerspruch zur Wurzel

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