ästhetischen Erziehung, die eine Sache fnr sich ist. Sondern
von der Ausgabe sprechen wir: die Seele des angehenden
Künstlers dahin zn erziehen und zn entwickeln, daß sie im
Stande sei, auch tiesere mnsikalische Kunstwerke nicht nur
nach ihrer Gliederung, nach ihrer Technik, sondern nach
ihrem psychischen Organismus zu erfassen. Was in
den Tonschöpfungen eines Meisters ein großer Mensch
zn sagen hatte, das zn verstehen, müssen unsre Musiker
lernen, oder sie Lleiben Hand- und Mundarbeiter.
Und da sich wegen der Notwendigkeit srühzeitigen tech-
nischen Unterrichts die angehenden Tonkünstler schon sehr
jung aufs Konservatorium Legeben müssen, so sällt solche
Erziehungsausgabe diesen Lehranstalten zu. Die Erkenntnis
davon ist ja weit genug verbreitet: wird man endlich ein-
mal Ernst mit der Ausführung machen? Auch von Vor-
schlägen liegt an Material ein Hausen vor; kürzlich wieder
hat Arthur Seidl die Frage in den Bayrenther Blättern
eingehcnd behandelt. Die Zustände und Bewegungen unsrer
Seele, die den Makro- und Mikrokosmus spiegelt, sind
der eigentliche tiefste Gegenstand der Ton-, wie jeder an-
deren hohen Kunst. So ist denn die ästhetische Vorerziehung
des Musikers dicselbe, wie die der Jünger jeder anderen
Kunst: ihm sollte der Sinn für die Gesühls- und An
schanungswerte der großen Erscheinungswelt gebildet werden.
Eine große Fracht von Kenntnissen, von Daten wohl gar
aus allen möglichen Wissenschaften wäre dafür nicht nur
nicht erforderlich, sondern gewiß von Ubel: nicht Abstraktes
braucht cr, sondern Konkretes. Praktische Musik-
geschichte, angewandte Ästhetik, konkrete Philosophie
und lebendig wirkfame Literaturgeschichte, die den
Geist poetisch zu befruchten vermag, verlangt daher auch
Seidl mit volleni Recht für die Musikererziehung. Nichts
insbesondcre kann in unserm Sinne schneller nnd sicherer
fördern, als eine Bcschäftigung mit den Meisterwerken der
Dichtung, weil bei dieser die Gefühlswerte ebenso stark
hervorgehoben werden, wie bei der Musik, aber nicht „frei
im Raume schwimmend", wie dort, sondern unter klarer
Kennzeichnung der Ereignisse, Erlebnisse, Dinge, kurz: der
Substrate, von welchen die Stimmungen erregt worden
und an die sie gebunden sind. Das ist ja für die Musiker-
erziehung besonders wünschenswert, damit nicht etwa ein
Himmeln, Schwärmen und Tränmen an die Stelle eines
ehrlichen, kräftigen nnd innigen Empfindens trete, das
aus dem wirklichen Leben, dem wirklichcn Jubeln und
Trauern herauswächst und die Welt nicht verleugnet, sondern
sie verarbeitet.
Jch muß schon zufrieden sein, wenn diese Bemerkungen
sich zu einem der Tropfen formen, die nach und nach den
Stein höhlen, „durch häufiges Fallen, nicht durch Kraft".
Wir, die wir im Zeitalter des Virtuosenrnmmels leben,
wie er fich in der Rosenthalerei, dem Wunderkinderunsug,
der Starwirtschaft und der Opernsängeranbetnng am auf-
fälligsten äußert, vergessen doch von Zeit zn Zeit, daß das
Massen-Virtuosentnm bei Orchesteraufführungen ebenso leidig
werden kann. Wenn von einer trefflich geschulten Kapelle
ein Meisterwerk heruntergespielt wird allein mit der Ab-
sicht, die Noten aufs Sauberste in die Ohren zu gießen,
fo ist der Dirigent, und mag er als Techniker noch fo
hoch stehen, entweder ein Dummkopf oder ein Verbrecher
wider den heiligen Geist der Knnst. Bis wir eine bessere
feelische Vorbildung der Mnfiker haben, wird noch viel
Wasfer dnrch die Orchester laufen. Aber gewonnen wird
doch schon, wenn immer weitere Kreise die Musikversimpelung
als das erkennen, was sie ist. Tritonus.
Dicvtuntz. 1KundscI)cM.
* Scböne Lireratur. 33.
Iugendstürme. Roman von Kurt Grottewitz.
(Leipzig, B. Elischers Nachfolger, 3 M.)
So viel der Schildernngen aus dem Schülerleben wir
haben, es sind ganz wenige dabei, die mehr als Burlesken für
den Bedarf wieder von Schülern oder von solchen Leuten find,
die über die geistige Höhe von Durchschnittsgymnasiasten ihrer
Lebtag nicht hinauskommen. Das vorliegende Buch stellt fich
eine bessere Aufgabe: es will uns mit psychologischem Eingehen
schildern, wie das Schulwesen von uugewöhnlich begabten jungeu
Lenten empfunden wird, die unter seinem Zwange leiden.
Wir werdeu in eine der deutschen Fürstenschulen geführt und
leben dort das Leben der Primaner mit, von denen einer, der
besonders gescheite und selbständige Georg Hagen, der Haupt-
held der Erzählung ist. Eine Liebesgeschichte zwischen diesem
jungen Manne und einem feinen und klugen Mädchen dient
dem Erzähler neben der Schule zur Entwickluug seines Wesens.
Als Hagen nach den Abiturientenexamen das durch einen Un-
glücksfall erblindende Mädchen verläßt, schließt die Geschichte.
Es kommt mir vor, als stände Grottewitz noch nicht so
hoch über seinem Helden, wie das dem Verfasser solch eines
Buchs zu wünschen wäre. Nicht etwa, als wenn wir uns auf
die Seite von Hagens Lehrern stellen und all das Veraltete,
Törichte und Verderbliche jener geistlosen Dressur irgendwie
verteidigen wollten, unter der Hagen leidet, aber Grottewitz
stellt uns den jungeu Mann zu sehr als einen reifeu Menschen
hin, er nimmt ihn nicht allein nach seinem eigentlichen Wesens-
kern, sondern auch nach seinen Gefühleu und Ansichten zu
ernsthaft. Ja, es sieht manchmal aus, als wenn uns dieses
Bürschchen sympathisch sein sollte, dieser Jüngling, in dem
doch, wenn es mit ihm so weitergeht, nach süns Jahren das
letzte Restchen warmen Menschensühlens, und sogar wahrhast
unabhängigen Menschendenkens, im mißverstandenen Nietzsche
erfroren seiu wird. Der Kampf einer starken und klugen
Persönlichkeit gegen den Druck der Konvention ist immer
interessant; ist diese Persönlichkeit noch im Werden und soll
der Einfluß einer salschen Jugenderziehnng auf sie geschildert
werden, so ist er's doppelt. Aber dann muß uns das Unreife
auch als Unreifes gezeigt werden. Grottewitz stellt seinen
Primaner Hagen hin, als wären sein Charakter und seine
Weltanschauung abgeschlossen, und was Hagen aus seinem
Fühlen und Denken in Worten auszahlt, giebt uns Grottewitz
weiter, als wär's bare Münze. Es scheiut wenigstens so, als
wenn er's dasür hielte. Möglich wür es auch, daß er in seine
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von der Ausgabe sprechen wir: die Seele des angehenden
Künstlers dahin zn erziehen und zn entwickeln, daß sie im
Stande sei, auch tiesere mnsikalische Kunstwerke nicht nur
nach ihrer Gliederung, nach ihrer Technik, sondern nach
ihrem psychischen Organismus zu erfassen. Was in
den Tonschöpfungen eines Meisters ein großer Mensch
zn sagen hatte, das zn verstehen, müssen unsre Musiker
lernen, oder sie Lleiben Hand- und Mundarbeiter.
Und da sich wegen der Notwendigkeit srühzeitigen tech-
nischen Unterrichts die angehenden Tonkünstler schon sehr
jung aufs Konservatorium Legeben müssen, so sällt solche
Erziehungsausgabe diesen Lehranstalten zu. Die Erkenntnis
davon ist ja weit genug verbreitet: wird man endlich ein-
mal Ernst mit der Ausführung machen? Auch von Vor-
schlägen liegt an Material ein Hausen vor; kürzlich wieder
hat Arthur Seidl die Frage in den Bayrenther Blättern
eingehcnd behandelt. Die Zustände und Bewegungen unsrer
Seele, die den Makro- und Mikrokosmus spiegelt, sind
der eigentliche tiefste Gegenstand der Ton-, wie jeder an-
deren hohen Kunst. So ist denn die ästhetische Vorerziehung
des Musikers dicselbe, wie die der Jünger jeder anderen
Kunst: ihm sollte der Sinn für die Gesühls- und An
schanungswerte der großen Erscheinungswelt gebildet werden.
Eine große Fracht von Kenntnissen, von Daten wohl gar
aus allen möglichen Wissenschaften wäre dafür nicht nur
nicht erforderlich, sondern gewiß von Ubel: nicht Abstraktes
braucht cr, sondern Konkretes. Praktische Musik-
geschichte, angewandte Ästhetik, konkrete Philosophie
und lebendig wirkfame Literaturgeschichte, die den
Geist poetisch zu befruchten vermag, verlangt daher auch
Seidl mit volleni Recht für die Musikererziehung. Nichts
insbesondcre kann in unserm Sinne schneller nnd sicherer
fördern, als eine Bcschäftigung mit den Meisterwerken der
Dichtung, weil bei dieser die Gefühlswerte ebenso stark
hervorgehoben werden, wie bei der Musik, aber nicht „frei
im Raume schwimmend", wie dort, sondern unter klarer
Kennzeichnung der Ereignisse, Erlebnisse, Dinge, kurz: der
Substrate, von welchen die Stimmungen erregt worden
und an die sie gebunden sind. Das ist ja für die Musiker-
erziehung besonders wünschenswert, damit nicht etwa ein
Himmeln, Schwärmen und Tränmen an die Stelle eines
ehrlichen, kräftigen nnd innigen Empfindens trete, das
aus dem wirklichen Leben, dem wirklichcn Jubeln und
Trauern herauswächst und die Welt nicht verleugnet, sondern
sie verarbeitet.
Jch muß schon zufrieden sein, wenn diese Bemerkungen
sich zu einem der Tropfen formen, die nach und nach den
Stein höhlen, „durch häufiges Fallen, nicht durch Kraft".
Wir, die wir im Zeitalter des Virtuosenrnmmels leben,
wie er fich in der Rosenthalerei, dem Wunderkinderunsug,
der Starwirtschaft und der Opernsängeranbetnng am auf-
fälligsten äußert, vergessen doch von Zeit zn Zeit, daß das
Massen-Virtuosentnm bei Orchesteraufführungen ebenso leidig
werden kann. Wenn von einer trefflich geschulten Kapelle
ein Meisterwerk heruntergespielt wird allein mit der Ab-
sicht, die Noten aufs Sauberste in die Ohren zu gießen,
fo ist der Dirigent, und mag er als Techniker noch fo
hoch stehen, entweder ein Dummkopf oder ein Verbrecher
wider den heiligen Geist der Knnst. Bis wir eine bessere
feelische Vorbildung der Mnfiker haben, wird noch viel
Wasfer dnrch die Orchester laufen. Aber gewonnen wird
doch schon, wenn immer weitere Kreise die Musikversimpelung
als das erkennen, was sie ist. Tritonus.
Dicvtuntz. 1KundscI)cM.
* Scböne Lireratur. 33.
Iugendstürme. Roman von Kurt Grottewitz.
(Leipzig, B. Elischers Nachfolger, 3 M.)
So viel der Schildernngen aus dem Schülerleben wir
haben, es sind ganz wenige dabei, die mehr als Burlesken für
den Bedarf wieder von Schülern oder von solchen Leuten find,
die über die geistige Höhe von Durchschnittsgymnasiasten ihrer
Lebtag nicht hinauskommen. Das vorliegende Buch stellt fich
eine bessere Aufgabe: es will uns mit psychologischem Eingehen
schildern, wie das Schulwesen von uugewöhnlich begabten jungeu
Lenten empfunden wird, die unter seinem Zwange leiden.
Wir werdeu in eine der deutschen Fürstenschulen geführt und
leben dort das Leben der Primaner mit, von denen einer, der
besonders gescheite und selbständige Georg Hagen, der Haupt-
held der Erzählung ist. Eine Liebesgeschichte zwischen diesem
jungen Manne und einem feinen und klugen Mädchen dient
dem Erzähler neben der Schule zur Entwickluug seines Wesens.
Als Hagen nach den Abiturientenexamen das durch einen Un-
glücksfall erblindende Mädchen verläßt, schließt die Geschichte.
Es kommt mir vor, als stände Grottewitz noch nicht so
hoch über seinem Helden, wie das dem Verfasser solch eines
Buchs zu wünschen wäre. Nicht etwa, als wenn wir uns auf
die Seite von Hagens Lehrern stellen und all das Veraltete,
Törichte und Verderbliche jener geistlosen Dressur irgendwie
verteidigen wollten, unter der Hagen leidet, aber Grottewitz
stellt uns den jungeu Mann zu sehr als einen reifeu Menschen
hin, er nimmt ihn nicht allein nach seinem eigentlichen Wesens-
kern, sondern auch nach seinen Gefühleu und Ansichten zu
ernsthaft. Ja, es sieht manchmal aus, als wenn uns dieses
Bürschchen sympathisch sein sollte, dieser Jüngling, in dem
doch, wenn es mit ihm so weitergeht, nach süns Jahren das
letzte Restchen warmen Menschensühlens, und sogar wahrhast
unabhängigen Menschendenkens, im mißverstandenen Nietzsche
erfroren seiu wird. Der Kampf einer starken und klugen
Persönlichkeit gegen den Druck der Konvention ist immer
interessant; ist diese Persönlichkeit noch im Werden und soll
der Einfluß einer salschen Jugenderziehnng auf sie geschildert
werden, so ist er's doppelt. Aber dann muß uns das Unreife
auch als Unreifes gezeigt werden. Grottewitz stellt seinen
Primaner Hagen hin, als wären sein Charakter und seine
Weltanschauung abgeschlossen, und was Hagen aus seinem
Fühlen und Denken in Worten auszahlt, giebt uns Grottewitz
weiter, als wär's bare Münze. Es scheiut wenigstens so, als
wenn er's dasür hielte. Möglich wür es auch, daß er in seine
2SS -