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Ikundscbau.
Dicbtung.
^ Scböne Lireratur. 40.
Unter uns Innggesellen. Freie Geschichten von
GeorgFreiherrn vonOmpteda. (Berlin,F.FontaneL Co.)
Das erste Stück ist eine gute Dichtung, dann folgen acht
Stücke, die geschickte Schriftstellereien sind, aber mit einem
Stich ins Eisenbahnlektürehafte, und schließlich kommt wieder
eine Dichtung, aber eine anspruchsvollere und minder gelungene,
als die erste. „Gräfin Jnes", die einleitende und die beste
Geschichte, ist eigentlich nur die knappe Charakterschilderung
eines edeln und liebenswürdigen Mädchens, als solche aber
ist sie vortrefflich, und es gelingt dem Versaffer durchaus, uns
in die Stimmung dessen zu versetzen, den er er seinen Liebes-
traum erzählen läßt. Die folgenden Sachen sind sehr „srei",
woraus wir ihnen keinen Vorwurf machen; eher würde uns
mißfallen, daß sie sich dann und wann auch an etwas flachen
und schalen Scherzen vergnügen. Ompteda erinnert uns in
solchen Fällen an manche sonst kluge Leute, die Streiche aus
ihrer Schulzeit erzählen, nicht, indem sie sich über ihre und
ihrer Kameraden Jugendeselei nachträglich erheiterten, sondern,
indem sie deren Erzeugnisse noch als reife Leute mit den Augen
ihrer Schulzeit ansehen und von den Hörern dasselbe verlangen.
Das letzte Stück, „Die Wolkenburg", ist in dem besonderen
Sinne Phantasiedichtung, in dem Böcklins Bilder Phantasie-
malerei sind. Der Verfasser schildert uns sein Heim, wie er's
erträumt, nicht ohne Züge von Kraft und Größe. Die er-
hobene Stimmung durchgehend festzuhalten, wie das nötig ge-
wesen wäre, um uns im Anblick von „traumhast Schönem"
ein Weilchen gebannt zu halten, das aber ist ihm nicht gelungen.
Ompteda ist ein feiner Erzähler mit künstlerischer Begabung,
aber ein sertiger Dichter ist er noch nicht. —s.
Lngelke und andere Erzählungen von Sven Lange.
Autorisirte Übersetzung. (Köln, Albert Langen.)
Der Verleger sührt mit diesem Buch einen in Deutschland
noch unbekannten jungen Dänen ein, und zwar nicht nur durch
die Herausgabe dieser Übersetzung, sondern auch ganz aus-
drücklich mit einem Vorwort, das er für sie geschrieben hat.
Der Band bringt drei Novellen, deren Hauptmotiv, wie sich
dies Vorwort ausdrückt, „der eingebildete Glaube eines jungen
Mannes an seine unwiderstehliche Macht über ein Frauenherz
ist, das sich jedoch dem Einfluß dieser vermeintlichen Über-
legenheit entzieht". Es überrascht, mit welcher ruhigen Sicher-
heit der 2H jährige Dichter nicht nur Sprache nnd Technik des
Erzählens beherrscht, sondern auch über den Menschen, Ver-
hältnissen und Situationen steht, die er schildert. Ob aber
daraus sür seine weitere Laufbahn so günstige Schlüsse ge-
zogen werden dürfen, wie Langen sie zieht, das lassen wir
dahingestellt. Der echte Poet zum Mindesten, der aus der
Empfindung heraus zum Sprachschöpser und Weltbildgestaltcr
wird, pflegt nicht schon mit den ersten Werken so wohl Ge-
glättetes zu geben, daß man den Merkmalen seiner persön-
lichen Eigenart wie den Kennzeichen seiner Jugend erst nach-
spüren muß.
» Scbrttten über Ltteratur. S.
Gottsried Kellers Leben. Seine Briefe nnd Tage-
bücher. Von JakobBaechtold. ZweiterBand: tsso—t86t.
Mit einem Bildnis. (Berlin, Wilhelm Hertz.)
Der eben erschienene zweite Band dieses Werkes, das wir,
als der erste erschien, nnsern Lesern sehr empfohlen haben,
sührt uns zunächst mit seinem Helden nach Berlin. Ein Jahr
wollte Keller dort verleben, sechs Jahre lang ist er dort ge-
Llieben. Und seine schönsten Werke hat der große Schweizer
in der ihm keineswegs angenehmen Spreestadt versaßt: mit
Mühe, Unlust und Zögern hat er dort den Grünen Heinrich
zum größeren Teile zu Papier gebracht, mit Leichtigkeit hat
er dazwischen die kraftvollsten Seldwyler Novellen geschrieben,
eine Anzahl derer vom Sinngedicht und ein Teil der Legenden
sowie der Apotheker von Chamounix sind gleichsalls in Berlin
entstanden. Aber Las, weswegen er dorthin gekommen war
und was ihn dort vor allem beschästigte, das trieb zwar in
seinem Kopf einen üppigen Frühling von Blüten, aber es
zeitigte keine einzige Frucht bis zur Reife sür die Öffentlich-
keit: die dramatischen Entwürfe Kellers sind sämtlich Ent-
würfe und Bruchstücke geblieben. Jch kann auch nach all dem,
was wir im neuen Bande davon erfahren, mich nicht zu dem
Glauben bekehren, daß unsres herrlichen Poeten rechter Thaten-
platz eigentlich die Bühne gewesen wäre. Vor diesem und
jenem der mitgeteilten dramatischen Entwürfe drängte sich mir
der Gedanke aus: was hätte das, iu Kellerscher Behandlung,
sür eine Novelle gegeben! Je nun, über solche Fragen und
Antworten des ästhetischen Gefühls läßt sich nicht rechten; ich
bestreite keineswegs, daß Baechtolds und anderer kluger Leute
Empfinden in diesen Dingen so gut die Wahrheit treffen kanu,
wie meines, — und schließlich handelte sich's bei einer Debatte
darüber um eine ziemlich gleichgiltige Doktorfrage. Vereinigen wir
uns lieber in der Freude an den trefflichen Bemerkungen des
Kritikers Gottfried Keller auch über Dramatisches und
Theatralisches, wie sie zu Tage treten besonders in den Briefen
an Hettner, der sie so vielfach in seinem „Modernen Drama"
verwendet hat.
Keller hat Berlin als seine „Korrektionsanftalt" bezeichnet;
hier war es, wo der grüne Heinrich sein Leben anders wandte,
als zu dem schlimmen Ausgaug seines Ebenbilds, von dem in
'der ersten Ausgabe des Romans zu lesen stand, hier war es,
wo er aus dem genialen Träumer zum starken Manne ward.
Er darbte lieber, als daß er sich zum Zeilenschreiber machtc,
gewaltig hoch von seiner Begabung denkend und eben deshalb
gänzlich gleichgiltig auch gegen das Tagesgeld und den Tages-
ruhm, die ihm gute Protektion so leicht hätte verschaffen können,
hätt er sich nur ein klein wenig danach umgethan. Auch fiel's
ihm nicht bei, an seinem sreien Sonderlingswesen herumzu-
basteln, womit er so leicht die Eigenart seiner Persönlichkeit
verpfuscht hätte; er lernte, bcobachtete, dachte und bildete das
Tüchtige seines Charakters in ernster Selbsterziehung aus,
aber unbekümmert darum, ob das entstehende Gebild von allen
Seiten in wohlgesälligem Linienschwunge zn sehen und als
glattpolirt anzusühlen sei. Die Rücksichtslosigkeit, mit der
Kellers starkes Jch sich gegen jede verändern wollende Ein-
wirkung wehrte, machte schon damals den Verkehr mit ihm
auch den Wohlwollendsten unter den paar Zugelassencn schwierig.
Es ist eine Freude zu sehen, wie tüchtige Leute ihn dennoch
damals wie zu jeder Zeit seines Lebens recht zu schätzen und
richtig zu behandeln wnßten. Wahre Bewunderung verdient
in dieser Beziehung der ältere Vieweg in Braunschweig, der
den Verlag des Grünen Heinrichs aus Teilnahme an der
Dichtnng übernommen hatte und dann, obgleich an „gute Ge-
schäfte" hier nicht zu denken war, einen Pack von Nöten aller
Art in wahrhaft himmlischer Geduld weitertrug, den ihm der
keineswegs sehr dankbare säumige, vertragsbrüchige und reiz-
bare Verfasser Jahre hindurch, und auch noch mit Gebrumm,
immer schwerer belud. Die Darstellung dieser Verlags-
geschichte in Baechtolds Buch liest sich, obgleich sie ganz bei
der Darstellung des Thatsächlichen bleibt, wie eine Komödie.
Aber ein nachhaltigeres Jnteresse gewährt doch das Lesen
von all den Plänen und Wünschen, all den Strebungen und
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Ikundscbau.
Dicbtung.
^ Scböne Lireratur. 40.
Unter uns Innggesellen. Freie Geschichten von
GeorgFreiherrn vonOmpteda. (Berlin,F.FontaneL Co.)
Das erste Stück ist eine gute Dichtung, dann folgen acht
Stücke, die geschickte Schriftstellereien sind, aber mit einem
Stich ins Eisenbahnlektürehafte, und schließlich kommt wieder
eine Dichtung, aber eine anspruchsvollere und minder gelungene,
als die erste. „Gräfin Jnes", die einleitende und die beste
Geschichte, ist eigentlich nur die knappe Charakterschilderung
eines edeln und liebenswürdigen Mädchens, als solche aber
ist sie vortrefflich, und es gelingt dem Versaffer durchaus, uns
in die Stimmung dessen zu versetzen, den er er seinen Liebes-
traum erzählen läßt. Die folgenden Sachen sind sehr „srei",
woraus wir ihnen keinen Vorwurf machen; eher würde uns
mißfallen, daß sie sich dann und wann auch an etwas flachen
und schalen Scherzen vergnügen. Ompteda erinnert uns in
solchen Fällen an manche sonst kluge Leute, die Streiche aus
ihrer Schulzeit erzählen, nicht, indem sie sich über ihre und
ihrer Kameraden Jugendeselei nachträglich erheiterten, sondern,
indem sie deren Erzeugnisse noch als reife Leute mit den Augen
ihrer Schulzeit ansehen und von den Hörern dasselbe verlangen.
Das letzte Stück, „Die Wolkenburg", ist in dem besonderen
Sinne Phantasiedichtung, in dem Böcklins Bilder Phantasie-
malerei sind. Der Verfasser schildert uns sein Heim, wie er's
erträumt, nicht ohne Züge von Kraft und Größe. Die er-
hobene Stimmung durchgehend festzuhalten, wie das nötig ge-
wesen wäre, um uns im Anblick von „traumhast Schönem"
ein Weilchen gebannt zu halten, das aber ist ihm nicht gelungen.
Ompteda ist ein feiner Erzähler mit künstlerischer Begabung,
aber ein sertiger Dichter ist er noch nicht. —s.
Lngelke und andere Erzählungen von Sven Lange.
Autorisirte Übersetzung. (Köln, Albert Langen.)
Der Verleger sührt mit diesem Buch einen in Deutschland
noch unbekannten jungen Dänen ein, und zwar nicht nur durch
die Herausgabe dieser Übersetzung, sondern auch ganz aus-
drücklich mit einem Vorwort, das er für sie geschrieben hat.
Der Band bringt drei Novellen, deren Hauptmotiv, wie sich
dies Vorwort ausdrückt, „der eingebildete Glaube eines jungen
Mannes an seine unwiderstehliche Macht über ein Frauenherz
ist, das sich jedoch dem Einfluß dieser vermeintlichen Über-
legenheit entzieht". Es überrascht, mit welcher ruhigen Sicher-
heit der 2H jährige Dichter nicht nur Sprache nnd Technik des
Erzählens beherrscht, sondern auch über den Menschen, Ver-
hältnissen und Situationen steht, die er schildert. Ob aber
daraus sür seine weitere Laufbahn so günstige Schlüsse ge-
zogen werden dürfen, wie Langen sie zieht, das lassen wir
dahingestellt. Der echte Poet zum Mindesten, der aus der
Empfindung heraus zum Sprachschöpser und Weltbildgestaltcr
wird, pflegt nicht schon mit den ersten Werken so wohl Ge-
glättetes zu geben, daß man den Merkmalen seiner persön-
lichen Eigenart wie den Kennzeichen seiner Jugend erst nach-
spüren muß.
» Scbrttten über Ltteratur. S.
Gottsried Kellers Leben. Seine Briefe nnd Tage-
bücher. Von JakobBaechtold. ZweiterBand: tsso—t86t.
Mit einem Bildnis. (Berlin, Wilhelm Hertz.)
Der eben erschienene zweite Band dieses Werkes, das wir,
als der erste erschien, nnsern Lesern sehr empfohlen haben,
sührt uns zunächst mit seinem Helden nach Berlin. Ein Jahr
wollte Keller dort verleben, sechs Jahre lang ist er dort ge-
Llieben. Und seine schönsten Werke hat der große Schweizer
in der ihm keineswegs angenehmen Spreestadt versaßt: mit
Mühe, Unlust und Zögern hat er dort den Grünen Heinrich
zum größeren Teile zu Papier gebracht, mit Leichtigkeit hat
er dazwischen die kraftvollsten Seldwyler Novellen geschrieben,
eine Anzahl derer vom Sinngedicht und ein Teil der Legenden
sowie der Apotheker von Chamounix sind gleichsalls in Berlin
entstanden. Aber Las, weswegen er dorthin gekommen war
und was ihn dort vor allem beschästigte, das trieb zwar in
seinem Kopf einen üppigen Frühling von Blüten, aber es
zeitigte keine einzige Frucht bis zur Reife sür die Öffentlich-
keit: die dramatischen Entwürfe Kellers sind sämtlich Ent-
würfe und Bruchstücke geblieben. Jch kann auch nach all dem,
was wir im neuen Bande davon erfahren, mich nicht zu dem
Glauben bekehren, daß unsres herrlichen Poeten rechter Thaten-
platz eigentlich die Bühne gewesen wäre. Vor diesem und
jenem der mitgeteilten dramatischen Entwürfe drängte sich mir
der Gedanke aus: was hätte das, iu Kellerscher Behandlung,
sür eine Novelle gegeben! Je nun, über solche Fragen und
Antworten des ästhetischen Gefühls läßt sich nicht rechten; ich
bestreite keineswegs, daß Baechtolds und anderer kluger Leute
Empfinden in diesen Dingen so gut die Wahrheit treffen kanu,
wie meines, — und schließlich handelte sich's bei einer Debatte
darüber um eine ziemlich gleichgiltige Doktorfrage. Vereinigen wir
uns lieber in der Freude an den trefflichen Bemerkungen des
Kritikers Gottfried Keller auch über Dramatisches und
Theatralisches, wie sie zu Tage treten besonders in den Briefen
an Hettner, der sie so vielfach in seinem „Modernen Drama"
verwendet hat.
Keller hat Berlin als seine „Korrektionsanftalt" bezeichnet;
hier war es, wo der grüne Heinrich sein Leben anders wandte,
als zu dem schlimmen Ausgaug seines Ebenbilds, von dem in
'der ersten Ausgabe des Romans zu lesen stand, hier war es,
wo er aus dem genialen Träumer zum starken Manne ward.
Er darbte lieber, als daß er sich zum Zeilenschreiber machtc,
gewaltig hoch von seiner Begabung denkend und eben deshalb
gänzlich gleichgiltig auch gegen das Tagesgeld und den Tages-
ruhm, die ihm gute Protektion so leicht hätte verschaffen können,
hätt er sich nur ein klein wenig danach umgethan. Auch fiel's
ihm nicht bei, an seinem sreien Sonderlingswesen herumzu-
basteln, womit er so leicht die Eigenart seiner Persönlichkeit
verpfuscht hätte; er lernte, bcobachtete, dachte und bildete das
Tüchtige seines Charakters in ernster Selbsterziehung aus,
aber unbekümmert darum, ob das entstehende Gebild von allen
Seiten in wohlgesälligem Linienschwunge zn sehen und als
glattpolirt anzusühlen sei. Die Rücksichtslosigkeit, mit der
Kellers starkes Jch sich gegen jede verändern wollende Ein-
wirkung wehrte, machte schon damals den Verkehr mit ihm
auch den Wohlwollendsten unter den paar Zugelassencn schwierig.
Es ist eine Freude zu sehen, wie tüchtige Leute ihn dennoch
damals wie zu jeder Zeit seines Lebens recht zu schätzen und
richtig zu behandeln wnßten. Wahre Bewunderung verdient
in dieser Beziehung der ältere Vieweg in Braunschweig, der
den Verlag des Grünen Heinrichs aus Teilnahme an der
Dichtnng übernommen hatte und dann, obgleich an „gute Ge-
schäfte" hier nicht zu denken war, einen Pack von Nöten aller
Art in wahrhaft himmlischer Geduld weitertrug, den ihm der
keineswegs sehr dankbare säumige, vertragsbrüchige und reiz-
bare Verfasser Jahre hindurch, und auch noch mit Gebrumm,
immer schwerer belud. Die Darstellung dieser Verlags-
geschichte in Baechtolds Buch liest sich, obgleich sie ganz bei
der Darstellung des Thatsächlichen bleibt, wie eine Komödie.
Aber ein nachhaltigeres Jnteresse gewährt doch das Lesen
von all den Plänen und Wünschen, all den Strebungen und
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