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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1894)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0335

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DicdttM.

» Scböne Lircratur. 42.

Mutterrecht. Novelle von Hans Land. (Berlin,
S. Fischer, t M.)

„Jndem ich beifolgendes Werk der Öffentlichkeit übergebe,
bin ich mir der Verantwortung wohl bewußt, die ich durch
dieses Unterfangen auf mich nehme. Die heikle Natnr seines
Stoffes legt die Gefahr nahe, daß dieses Werk den oder jenen
aus dem Lesepublikum verletze. Wem solches widerfährt, den
bitte ich zu glauben, daß nichts als der fiebernde Drang zu
helfen und zu schützen mich angetrieben, daß nichts als das
heißeste Mitleid mit diesen Tausenden betörter und hilfloser
Frauen mir die Fedcr geführt. Jm Hinblick auf meine schrift-
stellerische Lanfbahn, so kurz sie sein mag — hosfe ich, man
wird mir das glanben.

Freilich kann ich leider nur auf jenes schwere Problem
hinweisen, nicht zugleich es lösen. Aber indem ich die Debatte
über diese Frage anrege, glaube ich schon den meinen Kräften
gemäßen Dienst zu leisten. Sollte mir der verübelt werden,
— nun — ich bin darauf gefaßt. Sollte ich in der Sache
irren, so habe ich den Trost, dem Drange zur Wahrheit ge-
folgt zu sein, den mein Lefsing höher stellte, als die Wahr-
heit selbst.

— Und so nimm es denn hin, dieses kleine Werk, mein
gelicbtes Volk! Deine Leiden sind die meinen, Deine Thränen
weine ich, und aus Deinen Wunden strömt mein Blut. Jetzt
reiße ich die Binde von einem Deiner Schmerzensmale.

Hier stehe ich. Jch kann nicht anders. Amen."

Außer dieser Vorrede hat das Buch noch vier Motti, ein
effektvolles Umschlagbild, auf dem zwei Fäuste den Stab brechen,
und ein rotes Streifband, auf dem zu lesen steht: „Der Hülfe-
schrei einer ganzen Klaffe von Frauen, die ihres besten Rechtes
beraubt ist, gellt aus diesem Buche" — der Vorwurf wäre
also ungerecht, daß es allzu bescheiden auftrete. Man er-
wartet Ungewöhnliches. Und so ist man enttäuscht, dann eine
Verführungsgeschichte zu lesen, wie sie dem Stoff wie der
Darstellung nach keineswegs neu ist. Eiu Mädchen sieht den
Folgen ihrer Hingebung an den Geliebten mit tiefer Angst ent-
gegen, und sie sinnt darauf, das Kind, dem doch nur ein elendes
Leben ohne Bater bevorsteht, nicht zur Welt zu bringen; ihr
Geliebter, Vertreter der ftaatlich geheiligten Sittenanschauungen,
hindert sie daran. Plötzlich erwacht in ihr mit dem vollen
Mutterbewußtsein der Jubel; sie ist glücklich mit ihrem Kind:
aber das Kind wird ihr genommen und in Pflege gegeben,
damit sie selbst wieder eine Stellung suche, sich zu versorgen.
Sie findet keine, sie wird liederlich. — Man merkt es an vielen
Stellen, daß der Verfasser mit ehrlicher Teilnahme seine Ten-
denzen verteidigt. Aber „der Menschheit ganzer Jammer" faßt
uns aus Lieser Geschichte nicht an. Dazu hat Lands
dichterische Kraft bei weitem nicht ausgereicht; wir leiden uicht
wirklich mit dieser Leidenden, und als sie schließlich so schnell
aus einem trotz ihres „Fehltritts" feinempfindenden Weibe
zur Ausgehaltenen wird, läßt uns das ziemlich kühl. Land
hat die Kraft gefehlt, uns tiefer ins Herz seiner Heldin blicken
und sie trotzdem weniger reden zu laffen. Es fehlt auch der
Darstellung der große Zug, das Monumentale, das uns wirk-
lich den Einzelfall als typisch, als ein Nnrecht der Menschheit
empfinden ließe. Man kann Land in seinen Ansichten durch-
aus recht geben und doch trotz einiger gelungener Stellen
diese seine erzählende Polemik verunglückt finden. Freilich,
wer hier nun gar das Volksgewissen wirklich erwärmen wollte,
müßte auch Flammenzungen haben!


Ikundscliau.

Lin Lhrenwort. Schauspiel vonOtto Erich Hart-
lebeu. (Berlin, S. Fischer.)

Der Maler Burckhardt, dem Else Thomann trotz größter
Zuneigung aus Gründen, die uns vorenthalten werden, ihre
Hand versagt hat, findet nach einem halben Jahr die Geliebte
unerwartet als Braut seines Jugendkameradeu Gotter wieder.
Dieser aber ist in seinen Augen ein vollendeter Lump, weil
er einst als tSjähriger Student eine Vereinskasfe durch Unter-
schlagung bestohlen hat, und vor ihm soll die geliebte Else
bewahrt werden. Burckhardt hat sich zwar mit zwei Freunden
früher das Ehrenwort gegeben, das leichtsinnige Vergehen
Gotters nach dessen Büßnng nie wieder aufzufrischen, aber
nichts desto weniger droht der brave Maler Gottern mit Gnt-
hüllung und verlangt, er solle feine Verlobung auflösen.
Nicht etwa, damit er dann Elsen heiraten könne, sondern nur,
auf daß diese nicht durch ihren schurkischen Verlobten befleckt
werde. Gotter ist verständig genug, diesem Verlangen nicht
nachzugeben, und er fordert von Burckhardt eine Genug-
thuung, die ihm dieser erst bewilligt, nachdem er seine zwei
Freunde vergeblich zum Wortbruch zu verleiten gesucht hat.
Jn dem Duell wird Burckhardt verwundet. Und schließlich
wird das Ehrenwort doch noch gebrochen, Gotter löst die
Berlobung, Else empfindet plötzlich, daß er ihr eigentlich schon
lange mißfallen hat, und „mit bebender Stimme" wendet sie
sich an Burckhardt, der „in höchster Seligkeit" den Arm nach
ihr ausstreckt. —

Wührend das Schauspiel in den beiden ersten Akten als
ein anekdotenhaft angehauchtes Familiendrama erscheint, dem
jeder größere und allgemeinere Hintergrund fehlt, verwandelt
es sich in seinen stark abfallenden letzten Akten in eine Art Thesen-
stück, in dem gegen den Begriff und Wert des Ehrenworts,
als unberechtigtes Vorurteil, losgegangen wird. Abgesehen
nun davon, daß sich, bei aller Freiheit der Ansichten über
Ehre, über den Wert des Ehrenworts doch noch streiten läßt,
es wird hier an dieser Einrichtung von einer Person Kritik
geübt, die moralisch nicht rein dasteht und also zu solcher
Kritik wohl kaum befähigt erscheint. Denn frei von dem
Makel der Unehrlichkeit, des Erpressertums und eines ziemlich
brutalen Egoismus ist die theatralisch-gefühlvolle Hauptperson
des Schauspiels, der Maler Burckhardt, trotz aller Verteidigungs-
reden nicht. Es berührt daher peinlich, daß er schließlich als
der hingestellt wird, der mit seinen Ansichten und Ansprüchen
Recht zu haben und obenauf zu bleiben verdient. Viel be-
denklicher noch ist aber, daß dieser wie den meisten anderen
Personen des Dramas das warme Lebensblut fehlt; sie em-
pfinden, reden und handeln häufig, zumal gegen Ende des
Schauspiels, schroff gegen alle innere Wahrheit und Wahr-
scheinlichkeit, allein nach den Absichten des Autors, und nicht
nach ihrer Charakteranlage und nach unmittelbarem mensch-
lichen Empfinden. Allzu oft sragen wir uns ganz vergeblich
nach den Motiven für ihr sonderbares Benehmen.

Die Komposition des nicht eben sehr dramatischen Stoffes ist
nicht ohne Geschick gearbeitet, zeigt an mehreren Stellen aber
doch etwas von Gemachtem. Der Dialog leidet nicht an Überfülle
von Geist und klingt des Österen sehr papieren. Die Flottheit
und Keckheit, die wir sonst an Hartleben gewohnt sind, fehlt
dies Mal vollständig; es geht bei weitem nicht der srische Zug
durch das Stück, der sast alle früheren Werke des Verfassers
durchzieht. Wie seine vorletzte Bühnenschöpfung, „Die Er-
ziehung zur Ehe", zeigt auch dies Werk in negativer Weise,
daß Hartlebens ganze Stärke im Humoristischen und Spöttischen
liegt und daß er völlig vorbei trifft, sobald er ernst oder gar



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