Namensaufzählung, die wir erschöpfeud nicht leisteu können,
festzustellen, daß man in der Zerstreuung des Glaspalasts
wohl zwei Dutzend jnnge Münchener zusammensinden t'ann,
deren freie, selbständige Produktion zu den schönsten Hoffnungen
berechtigt. Größer ist sreilich die Zahl der theatralischen Leute,
die, ohne ein aufrichtiges Herzensverhältnis zur Kunst, das
heutzutage ohne einen großen, heiligen Respekt vor der Natur
nicht möglich ist, ihre Bilder so malen, daß sie auf der Aus-
stellung das größte Geschrei verführen, und die man darum
erst recht ignoriren muß, wenn man mit der Druckerschwärze
hantirt. Sodann aber das weitverzweigte Geschlecht der
Nachahmer und Nachempsinder, das dem Glaspalast einen so
inferioren Charakter giebt. Es mutet in der That eigen-
tümlich an, die Ausstellung der Mnnchener Kunstgenossenschaft
zwar nicht mit der originalen Kunst der so grimmig befehdeten
Sezessionisten, aber mit allerlei minderwertigen Kopien nach
diesen Mustern durchseucht zu finden.
Das muß namentlich auch das große Publikum verwirren.
Wenn es einen Uhde oder Liebermann sieht, so weiß es doch
von der tapser schmälenden „zünstigen" Kritik seiner Tage-
blätter, daß es hier nicht rühmen, sondern verdammen soll.
Aber vor all den neuen, sremden Namen steht es ratlos in
seiner Urteilsunfähigkeit. Es findet ein Häuflein von alten
Bekannten aus der „Gartenlaube", und alles Andere ist ihm
ein Tohuwabohu. Selbst mit den großen Bildern, die man
nach Quadratmetern mißt und die ihm sonst so imponirten,
kann es sich nicht recht besreunden. Sie haben heuer zumeist
so etwas — Polnisches. Alfred Freihoser.
* Ikunstblätter und Kllderwerke. Z.
Traute wohnräume. 5 Liefernngen zu je t8 Mk.
von je to Tafeln. (Berlin, Ernst Wasmuth.)
Diese Reihe von technisch unübertrefflichen Lichtdrucken
zeigt ihren Herausgeber vor allem dadurch der Bedürsnisse
der Zeit bewußt, daß er „das individuelle Moment" betonen
wollte. Wir hoffen jedoch, daß dieses Moment in den späteren
Lieferungen noch stärker zum Ausdruck komme, als in den vor-
liegenden ersten, bei denen man, wohl um recht viel Einzel-
sormen auf den Blättern zu geben, besonders prunkvolle Ein-
richtungen bevorzugt hat. Es sind wenigstens nnr wenige
Räume dabei, die eine ausgesprochene Persönlichkeit des Be-
wohners zu rechten „Wohnungspersönlichkeiten" beseelt hat, und
insofern deckt sich das bis jetzt Gebotene nicht ganz mit den
Erwartungen, die der Titel anregt. Da die Sammlung angen-
scheinlich sür Leute bestimmt ist, die viel Geld haben, und für
die Versorger solcher Leute, so wäre es unbillig, an sie den
Maßstab unserer Bestrebnngen zu legen: vom Einfachen und
Volkstümlichen aus gegen die Hochschätzung der Lnxnsformen
und das hieraus für Minderbemittelte folgende Jmitations-
künstgewerbe anzukämpfen. Jm Einzelnen sind die Blätter für
das Finden, wie sür das Jrren unseres Geschlechts oft sehr
bezeichnend und geeignet, die Kritik zu üben. — Sollte uns
der Verlag nicht einmal ein paar Bildermappen herstellen
können, die ausschließlich Wohnungen von Künstlern unter
Zuziehung von Ateliers behandelten? Darans ließe sich be-
sonders viel lernen.
Lose Wlätter.
* Zur Feier von IKudolt V0tt Sottscballs siebzigstem
Geburtstag hat ein Leipziger Ausschuß in einem Rundschreiben
eingeladen, das wir nicht für möglich hielten, läg es nicht ge-
druckt vor uns. Rudolf von Gottschall hat sich als Kritiker
nnd Redakteur so viel Verdienste um das deutsche Schristtum
erworben, wie sie sich ein kenntnisreicher, arbeitsamer und
kluger Gelehrter erwerben kann, der nur leider ohne eigent-
liches Kunstgefühl ist. Jene traurige Zeit, da Schema und
Regel für Schönheit und Gesetz in der Dichtung galten, die Zeit
des öden Formalismus und Klassizismns, des Platenidentums
und des im korrekten Klingklang fürs Ohr und in der bom-
bastischen Phrase für den Kops aufgehenden Akademismns wird
durch das hohe Ansehen gekennzeichnet, das Gottschall genoß —
Verdienste im Einzelnen aber sind ihm als Kritiker ebensowenig
abzustreiten, wie seinem Geistesverwandten Gottsched. Was
aber war er als Poet? Jch kann das nicht recht beantworten,
denn soviel Verse von ihm ich gelesen habe, mir schien's immer,
Gedichte seien nicht darunter. Gleichviel, erstens hat Gottschall
auf anderem Gebiet immerhin so viel geleistet, daß man seiner
mit Achtung gedenken könnte, auch wenn er kein Poet war,
und zweitens kann man ja darüber, was Poesie ist, sehr ver-
schiedener Ansicht sein. Ladet aber der Leipziger Ausschuß ein,
in Gottschall „den begnadetsten Poeten der nach-
klassischen Periode" zu feiern, so sragt man sich doch:
steht denn Siemerings Kaiserdenkmal auf dem Marktplatz zu
Schöppenstädt? Uhland, Mörike, Chamisso, Lenau, Hebbel,
Keller, Grillparzer und wie ihr sonst heißt — hinter Rudols
von Gottschall! Es würe doch hübsch gewesen, wenn die ein-
ladenden Herren das Rundschreiben erst einmal gelesen hätten,
unter deni jetzt ihr Namenszug belacht wird.
-X- Auf die Freien volksbiwnen in Berlin sind die
dortigen Theaterdirektoren böse: die Konkurrenz hat sie am
! empsindlichsten Nerv, am nervus rerum, nervös gemacht. Wir
! haben mit dem Spottgedicht aus das Schillertheater schon ein
! Symptom davon mitgeteilt, ein weiteres ist eine neue Abmach-
! ung unter den Bühnenlenkern: sie verbieten ihren Mimen, an
Vorstellungen der Freien Volksbühnen mitzuwirken. Von der
Knnst sürs Volk hat ja wohl jeder der Herren schon Einiges
mit Salbung gesprochen, aber du lieber Gott, man war doch
immer ideal, und so meinte man das auch ideal, nicht schnöd
realistisch, nicht so, daß es an den eignen Geldbeutel gehn
dürfte.
* Über „Absens Gespenster und dtc ydsvcbiatrLe"
schreibt Lombroso in Hardens „Zukunft". Die Darstellung
der Krankheitsvererbung, die dort gegeben, findet er im All-
gemeinen „ebenso vollkommen wahr, wie erhaben schrecklich",
aber er will „nicht leugnen, daß auf der Bühne in wenige
Tage, ja in wenige Minuten zusammengedrangt ist, was an
Ereignissen und Gefühlen lange Jahre eines jungen Lebens
ersüllt und was thatsächlich selten so intensiv sich vollzieht wie
bei unserm Helden; es ist so zusammengedrängt, um gerade
diese erschütternde Wirkung auszuüben. Abstrahirt man von
I diesem Fehler, der auch der Zolas ist, so ist die Charakter-
entwicklung vollkommen exakt." Für den Schauspieler bringe
er die Gefahr mit sich, daß dieser seinerseits im Zusammen-
ziehen noch weiter gehe, als der Dichter gewollt hat. Nnn
aber fragt sich Lombroso: haben wir Zuschauer denn Recht
mit nnserm Verlangen nach exakter Naturtreue, oder hat es
nicht doch der Künstler? Und er antwortet im Sinne des
letztern. „Nnser Sehapparat registrirt die Objekte nicht gleich
einem photographischen Apparat, so wie sie sind, sondern er
trifft aus den zahlreichen Einzelsensationen, die ein Objekt in
ihm hervorrust, eine Auswahl und verschmilzt diese dnrch einen
Prozeß der Synthese; deshalb würde ein Maler, der ein
- t2 -
festzustellen, daß man in der Zerstreuung des Glaspalasts
wohl zwei Dutzend jnnge Münchener zusammensinden t'ann,
deren freie, selbständige Produktion zu den schönsten Hoffnungen
berechtigt. Größer ist sreilich die Zahl der theatralischen Leute,
die, ohne ein aufrichtiges Herzensverhältnis zur Kunst, das
heutzutage ohne einen großen, heiligen Respekt vor der Natur
nicht möglich ist, ihre Bilder so malen, daß sie auf der Aus-
stellung das größte Geschrei verführen, und die man darum
erst recht ignoriren muß, wenn man mit der Druckerschwärze
hantirt. Sodann aber das weitverzweigte Geschlecht der
Nachahmer und Nachempsinder, das dem Glaspalast einen so
inferioren Charakter giebt. Es mutet in der That eigen-
tümlich an, die Ausstellung der Mnnchener Kunstgenossenschaft
zwar nicht mit der originalen Kunst der so grimmig befehdeten
Sezessionisten, aber mit allerlei minderwertigen Kopien nach
diesen Mustern durchseucht zu finden.
Das muß namentlich auch das große Publikum verwirren.
Wenn es einen Uhde oder Liebermann sieht, so weiß es doch
von der tapser schmälenden „zünstigen" Kritik seiner Tage-
blätter, daß es hier nicht rühmen, sondern verdammen soll.
Aber vor all den neuen, sremden Namen steht es ratlos in
seiner Urteilsunfähigkeit. Es findet ein Häuflein von alten
Bekannten aus der „Gartenlaube", und alles Andere ist ihm
ein Tohuwabohu. Selbst mit den großen Bildern, die man
nach Quadratmetern mißt und die ihm sonst so imponirten,
kann es sich nicht recht besreunden. Sie haben heuer zumeist
so etwas — Polnisches. Alfred Freihoser.
* Ikunstblätter und Kllderwerke. Z.
Traute wohnräume. 5 Liefernngen zu je t8 Mk.
von je to Tafeln. (Berlin, Ernst Wasmuth.)
Diese Reihe von technisch unübertrefflichen Lichtdrucken
zeigt ihren Herausgeber vor allem dadurch der Bedürsnisse
der Zeit bewußt, daß er „das individuelle Moment" betonen
wollte. Wir hoffen jedoch, daß dieses Moment in den späteren
Lieferungen noch stärker zum Ausdruck komme, als in den vor-
liegenden ersten, bei denen man, wohl um recht viel Einzel-
sormen auf den Blättern zu geben, besonders prunkvolle Ein-
richtungen bevorzugt hat. Es sind wenigstens nnr wenige
Räume dabei, die eine ausgesprochene Persönlichkeit des Be-
wohners zu rechten „Wohnungspersönlichkeiten" beseelt hat, und
insofern deckt sich das bis jetzt Gebotene nicht ganz mit den
Erwartungen, die der Titel anregt. Da die Sammlung angen-
scheinlich sür Leute bestimmt ist, die viel Geld haben, und für
die Versorger solcher Leute, so wäre es unbillig, an sie den
Maßstab unserer Bestrebnngen zu legen: vom Einfachen und
Volkstümlichen aus gegen die Hochschätzung der Lnxnsformen
und das hieraus für Minderbemittelte folgende Jmitations-
künstgewerbe anzukämpfen. Jm Einzelnen sind die Blätter für
das Finden, wie sür das Jrren unseres Geschlechts oft sehr
bezeichnend und geeignet, die Kritik zu üben. — Sollte uns
der Verlag nicht einmal ein paar Bildermappen herstellen
können, die ausschließlich Wohnungen von Künstlern unter
Zuziehung von Ateliers behandelten? Darans ließe sich be-
sonders viel lernen.
Lose Wlätter.
* Zur Feier von IKudolt V0tt Sottscballs siebzigstem
Geburtstag hat ein Leipziger Ausschuß in einem Rundschreiben
eingeladen, das wir nicht für möglich hielten, läg es nicht ge-
druckt vor uns. Rudolf von Gottschall hat sich als Kritiker
nnd Redakteur so viel Verdienste um das deutsche Schristtum
erworben, wie sie sich ein kenntnisreicher, arbeitsamer und
kluger Gelehrter erwerben kann, der nur leider ohne eigent-
liches Kunstgefühl ist. Jene traurige Zeit, da Schema und
Regel für Schönheit und Gesetz in der Dichtung galten, die Zeit
des öden Formalismus und Klassizismns, des Platenidentums
und des im korrekten Klingklang fürs Ohr und in der bom-
bastischen Phrase für den Kops aufgehenden Akademismns wird
durch das hohe Ansehen gekennzeichnet, das Gottschall genoß —
Verdienste im Einzelnen aber sind ihm als Kritiker ebensowenig
abzustreiten, wie seinem Geistesverwandten Gottsched. Was
aber war er als Poet? Jch kann das nicht recht beantworten,
denn soviel Verse von ihm ich gelesen habe, mir schien's immer,
Gedichte seien nicht darunter. Gleichviel, erstens hat Gottschall
auf anderem Gebiet immerhin so viel geleistet, daß man seiner
mit Achtung gedenken könnte, auch wenn er kein Poet war,
und zweitens kann man ja darüber, was Poesie ist, sehr ver-
schiedener Ansicht sein. Ladet aber der Leipziger Ausschuß ein,
in Gottschall „den begnadetsten Poeten der nach-
klassischen Periode" zu feiern, so sragt man sich doch:
steht denn Siemerings Kaiserdenkmal auf dem Marktplatz zu
Schöppenstädt? Uhland, Mörike, Chamisso, Lenau, Hebbel,
Keller, Grillparzer und wie ihr sonst heißt — hinter Rudols
von Gottschall! Es würe doch hübsch gewesen, wenn die ein-
ladenden Herren das Rundschreiben erst einmal gelesen hätten,
unter deni jetzt ihr Namenszug belacht wird.
-X- Auf die Freien volksbiwnen in Berlin sind die
dortigen Theaterdirektoren böse: die Konkurrenz hat sie am
! empsindlichsten Nerv, am nervus rerum, nervös gemacht. Wir
! haben mit dem Spottgedicht aus das Schillertheater schon ein
! Symptom davon mitgeteilt, ein weiteres ist eine neue Abmach-
! ung unter den Bühnenlenkern: sie verbieten ihren Mimen, an
Vorstellungen der Freien Volksbühnen mitzuwirken. Von der
Knnst sürs Volk hat ja wohl jeder der Herren schon Einiges
mit Salbung gesprochen, aber du lieber Gott, man war doch
immer ideal, und so meinte man das auch ideal, nicht schnöd
realistisch, nicht so, daß es an den eignen Geldbeutel gehn
dürfte.
* Über „Absens Gespenster und dtc ydsvcbiatrLe"
schreibt Lombroso in Hardens „Zukunft". Die Darstellung
der Krankheitsvererbung, die dort gegeben, findet er im All-
gemeinen „ebenso vollkommen wahr, wie erhaben schrecklich",
aber er will „nicht leugnen, daß auf der Bühne in wenige
Tage, ja in wenige Minuten zusammengedrangt ist, was an
Ereignissen und Gefühlen lange Jahre eines jungen Lebens
ersüllt und was thatsächlich selten so intensiv sich vollzieht wie
bei unserm Helden; es ist so zusammengedrängt, um gerade
diese erschütternde Wirkung auszuüben. Abstrahirt man von
I diesem Fehler, der auch der Zolas ist, so ist die Charakter-
entwicklung vollkommen exakt." Für den Schauspieler bringe
er die Gefahr mit sich, daß dieser seinerseits im Zusammen-
ziehen noch weiter gehe, als der Dichter gewollt hat. Nnn
aber fragt sich Lombroso: haben wir Zuschauer denn Recht
mit nnserm Verlangen nach exakter Naturtreue, oder hat es
nicht doch der Künstler? Und er antwortet im Sinne des
letztern. „Nnser Sehapparat registrirt die Objekte nicht gleich
einem photographischen Apparat, so wie sie sind, sondern er
trifft aus den zahlreichen Einzelsensationen, die ein Objekt in
ihm hervorrust, eine Auswahl und verschmilzt diese dnrch einen
Prozeß der Synthese; deshalb würde ein Maler, der ein
- t2 -