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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 4 (2. Novemberheft 1893)
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Sprechsaal
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0071

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der Wahlspruch aller sein, die Dramen dichten. Jhnen
in die Hände zu arbeiten aber ist die Pslicht aller, die an
der Reform des Theaters zu helsen Lerufen und geneigt
sind, selbst derer, die für die von Xanthippus geschmähten


Volksbühnen eine Lanze brechen. Drama und Bühne
gehören zn einander, wie Kunst nnd Volk. Nkan soll
beide nicht anf den Jsolirschemel setzen!

Leonhard Lier.

Lose Wlätter.

» Über tkietzscbe und Magner schreibt Peter Gast,
jener von Nietzsche so hochgeschätzte Komponist, der s. Z. auch
im Kunstwart kurz nach der Veröffentlichung der Briefe Nietzsches
an den Herausgeber unseres Blattes über den Philosophen ge-
sprochen hat (Kw. IV, 4), jetzt in der Frankfurter Zeitnng.
Der Aufsatz ist von unbeschränkter Bewunderung Nietzsches
diktirt und zeugt von sehr wenig Verständnis für Wagner,
aber er saßt die Entfremdung der beiden Männer denn doch
so viel tiefer, als die bisher über diesen „Fall" veröffentlichten
Gedankchen und Histörchen, daß wir empfehlen müssen, ihn zu
lesen. Denn hier können wir Gasts Ausführungen natürlich
nicht ins Einzelne solgen. Seinen Standpunkt anzudeuten,
geben wir ein paar Sätze wieder. Nietzsche habe mehr und
mehr erkannt, daß in Wagner von Schopenhaner weniger des
Weizens als des Unkrautes ausginge, „verborgener Aberglaube
und mönchisch-mittelalterliches Residuum": der „zum Parsifal
sich rüstende" Künstler nun gar schien ihm auf jenes Kultur-
Niveau gesunken, von dem aus es möglich ist, anf Massen zu
wirken. So sei es für Nietzsche mit Wagners Bedeutung als
Zukunftskünstler vorbei gewesen. Jn schonendster Form den
Jrrenden zu warnen und ihn noch einmal zn beeinflussen, habe
Nietzsche in seinem Werk „Menschliches, Allzumenschliches" ver-
gebens sich bemüht. „Wagner hatte einst so gut wie Nietzsche
gewnßt, daß die Menschheit unmöglich in alle Ewigkeit hinaus
beim Christentum verharren könne: daß es mit der Menschen-
schwächnng nachgerade genug sei, die diese Religion auf dem
Gewissen hat (— genug wenigstens für die Ausschlaggebenden):
daß die Menschheit aus dem müden Ableiern ihres Einerleis
heraus- und zu neuen Gestaltungen des Lebens schreiten müsse:
daß aber neue schöpferische Kultur nur von Jnnen, nümlich
vom Jnnern des Menschen her, auf der Grundlage neuer
Schätzungen, das heißt neuer Empfindungen, neuer Moralen
zu ermöglichen seien. Solche und ähnliche Gedanken mußten
dem Zukunftskünstler, der ihnen untreu geworden war, äußerst
peinlich sein. Wagner war viel zu sein, um das Schmähliche
seines Renegatentums nicht zu empfinden: Nietzsches Buch hatte
ihn im innersten Gewissen getroffen. Anstatt aber auf die
Warnung des jüngeren Freundes zu hören, anstatt ein Ende
zu machen mit der eingerissenen Verweichlichung, beschwichtigte
Wagner sein Gewissen durch eigensinnige Täuschungen über
den Wert seiner selbst und seines Freundes."

«- Lbrengräber. Unsre Empfindungen hinsichtlich der
modernen großstädtischen Friedhöse werden in viel weiteren
Kreisen geteilt, als man nach dem bisherigen Schweigen der
Presse über diesen Gegenstand annehmen sollte. Die That-
sache, daß eine sehr große Anzahl von Zeitungen auf unsre
Anregungen hingewiesen haben, beweist das wohl. Aber auch
die solgende Zuschrift aus Wien an die Vossische Zeitung ist
aus gleichem Empsinden hervorgegangen und ergänzt für ein
besonderes Gebiet unsere Aussührungen: „Wer die prunkvolle
Abteilung für Ehrengräber auf dem Zentralsriedhof be-
trachtet, wird sich des Unmutes nicht erwehren können. Nur

ein Zeitalter Ler Uniformirung und der Massenproduktion kann
mit großen Toten so summarisch und pietütloslverfahren.
Da hat man in einen großen Salon der Toten alle die Männer
zusammengeschleppt, mit deren Namen die Nachgeborenen
prunken wollen. Die Unvergeßlichen hat man in eine Gesell-
schaft von Tagesgrößen hineingezwungen, deren Namen nach
einem Menschenalter vergessen sein werden. Münner, die im
Leben sich gern in sich selbst zurückzogen und einsam ihren
Weg wandelten, sind hier im Tode zu einer ihrer Natur wider-
sprechenden Geselligkeit gepreßt worden. Man gönne doch den
Toten die Stätte, zu der ihr Geschick sie schließlich geleitet
hat; sie ist oft so charakteristisch sür die Geschiedenen! Wenn
man früher hinauspilgerte nach den lieblichen Bergdörsern in
der Umgebung Wiens, da fand man auf einem alten, romantisch
verwilderten Friedhos hinter dem Kirchlein zwischen verwitterten
windschiefen Kreuzen wohl eine einfache Steintafel, aus der
der Name Beethoven zn lesen war. Und nicht weit davon
ruhte Schubert. Dem Wanderer, der sinnend vor den schlichten
Grübern stand, war es, als müßten diese großen Toten sich
wohl sühlen in der freien schönen Natur, zwischen dem naiven
Publikum aus ihrer Zeit. Heute sind sie ihren Gräbern ent-
rissen; man hat sie in eine steinerne Totenstadt verbannt und
in eine recht gemischte Gesellschaft. Jede Zeit hat ihre eigene
Art, ihre gefeierten Verstorbenen zu ehren; man greife also
nicht mit frevelnder Hand in die Rechte der Vergangenheit!"

-k Eine IDersteigerung von ungewöhnlicher Wichtigkeit ist
die der Kupferstich-Sammlung aus dem Nachlasse des
Königs Ferdinand »on Portugal, die vom 29.
November ab durch I. M. Heberle (H. Lempertz' Söhne)
in Köln veranstaltet werden wird. Das Vorwort des ver-
schwenderisch ausgestatteten Katalogs belehrt über die Sammel-
thätigkeit des Königs, der bekanntlich anch selber ein Radirer
war, seinen Geschmack aber als Künstler dadurch bewies, daß
er die niederländischen Maler-Radirer, lange ehe die Mode
dies that, bevorzugte. Die Werke dieser Gruppe nehmen denn
auch die hervorragendste Stelle in seiner Sammlung ein. Von
Radirungen Rembrandts sind in ihr ^2 zu finden, darunter
Prachtstücke und Seltenheiten ersten Ranges. Mit herrlichen
Abzügen ist dann Albrecht Dürer vertreten, nebst anderen
deutschen Meistern. Auch an englischen und sranzösischen
Blättern ist die Sammlung reich.

*

1K. 2. in Z6. Die „auf Anregung des deutschen Reichs-
kommissariats" für das deutsche Haus in Chicago zusammen-
gestellte „Deutsche Hausbibliothek", die jetzt als solche auch in
Deutschland vertrieben wird, ist ein Buchhändlerunternehmen
wie ein anderes auch und stellt als solches einsach das zu-
sammen, was gewünscht wird, nicht das, was den Geschmack
erziehen und bessern könnte. Ein Beispiel zur Charakteristik
des Ganzen: in der Rubrik sür Gedichte finden Sie unter
zz Nummern 3 von dem großen Baumbach und 2 von dem
großen Wolff, serner Bormanns „Leipziger Allerlei" und der
Elise Polko „Dichtergrüße", während Sie Greif, K. F. Meyer,
Storm, Möricke, Hölderlin vergeblich suchen würden. Ähnlich
kritiklos und inodedienerisch ist auf andern Gebieten die Auswahl.

U. in L. Die nächsten Hefte werden vorzugsweise Be-
sprechungen von Büchern, Knnstblättern usw. bringen.

ZnbÄlt:

Äber MAlerlscbe Nustübrung. — IKundscbÄU. — Dichtnng. Schöne Literatur. 27. Die Ziele
der gegenwärtigen Literaturbewegung. — Theater. Wichtigere Schauspiel-Aufführungen. 52. — Musik.
Wichtigere Musik-Aufführungen. 2-^. Für die Konservatorien. Gegen Theater- und Konzertagenturen. — Bild ende Künste.
Die Münchner Kunstausstellungen. 5. (Schluß.) — SprecbSAÄl. Dramatik und Theater. — Lose Wlätter. Nietzsche und

Wagner. Ehrengrüber. Versteigernng.
 
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