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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 20 (2. Juliheft 1894)
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0327

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Lprecbsaal.

Das Ballett in der Mver.

Das Ballett in der Oper will ich hier weder angreifen
noch verteidigen. Jch möchte nur die These ausstellen: ist
es einmal, so muß es auck sachgemäß sein, muß es dem
Geiste, dem Jnhalte der Oper entsprechen. Das versteht
sich zwar von selbst, ist aber nicht immer der Fall. Des-
halb will ich hier kurz daraus zu sprechen kommen —
denn es ist cin Punkt, rer nicht ohne Wichtigkeit ist.

Das Opernballett wird gewöhnlich nur als Fullsel, als
äußeres Spannungs- und Reizmittel gebraucht. Fühlt der
Textdichter oder der Komponist, daß das Jnteresse an der
Handlung erlahmen muß, so legt er ein Ballett ein. Bei
dessen Darstellung kommt es dem Ballettmeister zumeist —
die wenigen ruhmlichen Ausnahmen machen nur die Regel
augensällig nur darauf an, daß eine möglichst große
Anzahl von Balletteusen auf die Bühne hüpft, möglichst
kunstvoll aussehende ku8 ausführt und dann wieder ab-
hüpft. Das liegt eben daran, daß das Ballett nur für
das Publikum getanzt wird. Das ist aber unrichtig. Jn
den meisten Fällen muß das Ballett für die auf der Bühne
besindlichen „handelnden Menschen" getanzt werden. Über-
denken wir einmal eine solche Szene. Irgend ein Fest soll
durch einen Tanz verherrlicht werden. Die Fürsten und
ihre Gäste, für die das Ballett getanzt werden soll, nehmen
an der Seite der Bühne Platz. Der Tanz beginnt unter
völliger Nichtachtung der Fürsten und ihrer Gäste. Jst
das nicht Widersinn, derselbe Widersinn, wie wenn ein
Schauspieler die Erzählung, die er einem zu machen hat,
der auf der Bühne steht, in das Publikum hineindeklamirt?
Man sollte da sehr feinfühlig verfahren, denn nur dadurch,
daß der Tanz oder die Pantomime den Leuten auf der
Bühne gilt, fällt er nicht aus dem Rahmen des Gesamt-
werks heraus. Nur da, wo der Tanz sozusagen ein Mo-
nolog mit den Füßen ist, darf er sich ans Publikum
wenden, sonst nicht. Jch will hier an einige besonders
bezeichnende Szenen erinnern. An die Verführung Roberts
durch Helena und die anderen Nonnen in Meperbeers
Oper zunächst. Auf weitaus den meisten Bühnen mimen
die Tänzerinnen in das Publikum hinein und beschränken
fich darauf, einmal einen Arm auf Roberts Schulter zu
legen oder ihm einen Pokal zu reichen. So ist's auch im
großen Bachanale in Gounods „Faust". Die Gruppirungen
sind sür das Publikum da, nicht sür den Faust (es ist
nicht überall so, aber doch zumeist); dadurch wird der
Zweck dieser Szenen einfach hinfällig — die Habitues
sind eben wichtiger, als Robert oder Faust. Jst das aber
künstlerisch? Und künstlerisch — natürlich nicht im ver-
alteten Sinne des Wortes — muß doch das Ballett sein,
wenn es Berechtigung haben soll.

Und noch ein anderer Punkt: eine Oper spiele im
fünfzehnten oder sechzehnten Iahrhundert, in Jtalien etwa.
Man tanzt vor einem Potentaten. Eine Anzahl mit dem
konventionellen, modernen Ballettkostüm bekleideter Damen
erscheinen vor uns. Auch das ist grundfalsch. Das Ballett
muß aus dem Geiste der Zeit heraus geschasfen werden,
in der die Oper spielt, dann kann es sogar von einer
gewissen kulturgeschichtlichen Bedeutung sein. Ballett und
Gruppirungen standen schon damals auf bedeutender Höhe;
Leonardo da Vinci, der große Maler, verschmähte es nicht,
Kunsttänze einzurichten. An die damaligen Aufführungen
sollte man anknüpfen, sie sollte man nachschaffen. Dazu
gehörte allerdings, daß der Ballettmeister kulturhistorische
Studien machte. Ein Zurückgreifen auf die damalige Art
und Weise des Balletts wäre überhaupt kein Verlust, son-
dern ein Gewinn, eine Bereicherung. Von den konventio-
nellen Ballettröckchen müßte man allerdings absehen, aber
auch das wäre ein Vorteil nach der ästhetischen, der ma-
lerischen Seite hin — die oben und unten zu kurzen
Gazekleidchen sind ja durchaus unmalerisch und beschränken
den Reichtum an malerischen Bewegungen und Posen, den
andere Gewandungen gewähren. Auch die traditionellen
?L8, die gewaltsamen Sprünge und Zehenspitzenläufe wären
zu beschränken, dafür wären der Mimik, der Plastik, der
Gruppirung mehr Rechte zu verschaffen.

Wie das Ballett aus dem Geiste der Zeit, so muß es
auch aus deni Geiste der Situation heraus geschaffen
werden. Nehmen wir z. B. den Walzer im „Faust".
Das ist einfach ein Volkstanz, an dem sich die Jugend be-
tciligt. Wie oft sieht man aber Solotänzerinnen ein Solo,
dann ein ?L8 cle cleux u. dergl. tanzen, kurz aus dem
Volkstanz cinen Kunsttanz machen. Das ist einfach ge-
schmacklos.

Jch habe hier nur kurze Andeutungen geben wollen.
Reinigt man das Ballett in der Oper in angegebener
Weise, so wird es wirklich künstlerisch sein, und es wird
damit den vielfachen Angrisfen auf die Berechtigung des
Balletts in der Oper die Spitze abbrechen.

Jn selbständigen Balletten mag man es treiben, wie
man will -—- sie sind eben für das Publikum da. Bei
Opernballetten hingegen ist stets im Auge zu behalten, daß
sie nur Glieder eines großen Ganzen sind und daß Glieder
nur auf Kosten dieses grvßen Ganzen selbständig und eigen
artig werden können.

Dieser kurze Hinweis soll nichts bezwecken, als auf
einen Umstand aufmerksam zu machen, der nicht ohne
Wichtigkeit ist und dennoch viel zu wenig beachtet wird?

lsans von Basedow.

ckldoderne Vposa. — Illundscllau. Dichtung. Schöne Literatur. -z;. — Theater. Die Schwei-
I t. zerischen Volksschauspiele.—Musik. Wichtige Musikaufführungen. 35. Neue Notenwerke. 3. DieOrgelund
der protestantische Choral. —Bildende Künste. Kunstliteratur. zr. Pariser Kunstausstellungen. Gebäude-Jnschriften. —

Sprechsaal. Das Ballett in der Oper.
 
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