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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 22 (2. Augustheft 1894)
DOI Artikel:
Schliepmann, Hans: Amerikanische Architektur
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0350

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Proportionen und sonstige „Stilechtheit" ein, bis wir nicht
niehr wir selbst, sondern ein dünner Extral't unserer viel
zu alten Kultur sind. Wir schafsen nicht niehr neu, sondern
wir kopiren.

Wohl läßt sich nnter unseren snngeren Architekten ein
frischeres, ursprünglicheres Empfinden nicht verkennen. Aber
nnserer Bildungsdressur ist es durch Trotz und Widersprnch
abgerungen, in unserer atlgemeinen Entwickelung liegt es

nicht. Wir werden die anierikanische Architektur höchst
wahrscheinlich als Mode heriibernehmen; zu amerikanischer
Ursprünglichkeit werden wir uns weit schwerer aufrasfen,
und deshalb wird aus der anierikanischen keine bcssere
deutsche Architektur werden. Wir niüßten denn endlich
die akadeniischen Zöpfe abschneiden, die unkritische Ehr-
furcht vor alleni Vergangenen aufgeben und ansangen, vom
Einfachen, Natürlichen, Bo l kstünilich e n auszugehen!

Dans Lcbltepmnnn.


Nundscknu.

Dicdtung.

^ Scdöne Llleratur. 43.

Der Flirt. Novellen von Rudolf Lindau. (Berlin,
F. Fontane Co.)

Ob dem Schriststeller Rudolf Lindau all die Personen, die
er uns schon gezeigt hat, gerade in d en Verhältnissen und in
den Kleidern begegnet sind, in welchen sie in seinen Büchern
leben, das mag ja zweiselhaft sein, der Eindruck aber, daß
eiue Menge von persönlichen Erinnerungen in seiner Schrift-
stellerei verarbeitet ist, sehlt nach dem Lesen seiner Bücher nie.
Ob er in der ersten oder der dritten Person spricht, sie haben
stets etwas Memoirenhastes. Wär er ein Dichter, sie würden
etwas Tagebuchartiges haben, denn ein Tagebuch schreibt, wer
mitten in einer Sache steht, angeregt und nahe beteiligt an
den Ereignissen, die er schildert, das Auge noch schauend in
die Nachbilder der Dinge, die es gesehen, der Mund noch
überfließend von dem, dessen das Herz voll ist. Aber sie haben,
wie gesagt, etwas Memoirenhaftes: es hat schon ein gut Stück
Wegs in der Erimierung zurnckgelegt, was da in die Feder
gekommen ist, Einiges, das ursprünglich da war, ist inzwischen
verdampft und versickert, das Gebliebene ist abgeklärt, ruhig
und etwas kühl geworden. Rudolf Lindan ist eben kein Dichter,
sondern ein Schriftsteller, kein Bildner, sondern ein Schilderer.
Aber das Schildern versteht er auss allerbeste, und auch der
Anspruchsvolle wird den Erzühlungen dieses klugen, vielerfah-
renen und seingebildeten Weltmannes stets mit Genuß zuhören.
Empfiehlt er sich schließlich von ihm, so wird er wohl kaum
den Drang spüren, Len Handschuh wieder anszuziehen, um ihm
noch einmal die Hand recht warm zu drücken, aber er wird
ihni ohne Heuchelei versichern kvnneii, daß es ihn sehr sreuen
werde, ihn wiederzusehen.

„Der Flirt" ist ein Sittenbild ans der vornehmen Ge-
sellschaft Nordamerikas; die junge Dame, die iu der Mitte
steht, ist ein „tapferes Müdchen", nämlich ein so „großartiger
Flirt", daß sie sterbend noch kämpft, und mit Erfolg, um
keinen ihrer Anbeter zu verlieren. Der Charakter Lieser prima
Lttrice ist mit seiner Menschenkenntnis vortrefflich beschrieben,
die Charaktere ihrer Mitspieler sind das ebensalls, und auch
ihre ganze Umwelt ist interessant gezeichnet. Zwei kürzere
Stücke sind dem „Flirt" angehängt. „Die verjährte Schuld"
führt uns in die vornehmeu Kreise Frankreichs; der Vicomte
Palamcde des Adrets geht nach langer Zeit an einem Tot-
schlag zu Grunde, den er gegen einen Nebenbuhler begangen
hat. „Wahngebilde" ist wieder einmal eine psychiatrische
Stiidie; sie schildert mit einer Anschaulichkeit, die sich oft
dichterischer Darstellung nähert und dann ergreift, Ausbruch
und Weiterentwicklung eines Wahnsinnsanfalles. Da sie sich
aber durchaus hieraus beschränkt, bleibt sie doch eben psychi-
atrische Studie. —s.

Uarline. Novellen und Gedichte von Wilhelm von
Polenz. (Berlin, F. Fontane L Co., 2 M.)

Jn einem Gedichte an Hutten ruft Polenz aus:

Dir, Herrlicher, sühl ich verwandtes Streben!

Auch ich entstamme eineni edlen Haus.

Mir ward, gleich Dir, znr Hand das Schwert gegeben;

Jch aber sah mir andre Waffen aus.

„Es ist, Jahrhundert, Lust in dir zu leben!"

Jch rufis, wie du aus großer Zeit hinaus.

O, Hutten, deine ritterlichen Manen,

Sie winken mir zu sternenhohen Bahneii.

Sehr bescheiden klingt das eben nicht, aber empfuuden
klingt es, und die Bescheidenheit, die nicht empfunden wäre,
würe ja von jener falschen Sorte, die aus allen Literatengassen
herumläuft, der zu begeguen aber deshalb nicht lieblicher ist.
Wichtiger als Bescheidenheit ist wahrhaftig Ehrlichkeit. Die
kecke Frohwilligkeit, sich zu geben, wie man mal ist, find ich
bei Polenz überall, und sie gehört mir zum Angenehmsten an
seinen Büchern. Überall eine freie, eine Herren-Natur ohne
Pose, aber auch eine Herren-Natur ohne Selbstsucht und Vor-
urteil; Polenz ist selbst den Sozialdemokraten gegenüber in
einer Weise unbefangen, die man aus der weiten Gotteswelt
am allerletzten bei einem sächsischen Landadligen erwarten
sollte. Jn ästhetischer Beziehung schlügt er sich zu den Jnngen,
dem „Grünen Deutschland" ist sein Buch gewidmet. Die
größte Novelle darin, „Karline", ist ein Probestück seiner
naturalistischen Technik, Las in dieser einen Beziehung sogar
besser ist, als seine größeren Romane. Auch die übrigen
novellenartigen Stücke sind realistisch behandelt, bei keinem
einzigen aber verhehlt der Versasser einer ledernen sogenannten
Objektivitüt zu Lieb seine persönliche Teilnahme am Stoff;
er schwatzt nicht zwischen die Reden seiner Lente hinein, aber
er beleuchtet die Leute, und oft mit der Blendlaterne, auf daß
wir erkennen, was sie denn eigentlich zu ihren Reden für Ge-
sichter machen. Ein ungewöhnliches Geschick hat Poleuz im
Aufbau der Handlung, mit deren Fortschreiten er zugleich seine
Charaktere glücklich entwickelt; er neigt in dieser Beziehung
mehr zum Dramatischen als zum Epischen. Scharse Beurteilung
von Znständen, Zeitgedanken und Zeitgefühlen tritt überall
auf und oft mit einem Spott und einer Satire, die ganz
augenscheinlich ehrlichem sittlichen Zorne entwachsen sind. Da
auch unter den Gedichten mancherlei Gutes ist, wenngleich
Polenz kaum überhaupt in der reinen Phantasiekunst je so
Tüchtiges leisten wird, wie in Drama und Novelle, so kann
das Buch der Teilnahme der Leser empfohlen werden, die
srüher an dieser Stelle aus desselben Schriftstellers „Pfarrer
von Breitendorf" und auf seinen „Heinrich von Kleist" hin
gewiesen worden sind.

Feierabend und andereMünchnerGeschichten.
Von Anna Croissant-Rust. (München, vr. E. Albert
k Co., 2 M.)

Lebensstücke Ein Novellen- und Skizzenbuch von
Anna Croissant-Rust. (Ebenda, 2 M.)

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