Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1894)
DOI Artikel:
Volkstümliche Plastik
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0157

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Wir haben ja wieder Ansänge znr Besserung. Zuin
Beispiel: in Dresden, wo Diezens köstlicher Gänsedieb
sreilich anf einem salschen Platze steht, wo aber des
Meisters herrliche große Brnnnen bald trefflich zeugen
werden von der Berechtigung unserer Forderung, und auch
in Berlin, wo der Begassche Schloßbrnnnen immerhin
ein leidlicher Anfang ist, obgleich wir den allegorischen
Damen unallegorische vorziehen würden. Ein Denk-
mal solcher Art kann für das Volk eine Augen- und
Seelenweide sein wie kein anderes mehr, besonders wenn
es verbunden wird mit dem lebendigen Treiben des Wassers,
das uns stärker noch als Felsen oder Pflanzen von der
Umwelt ab nnd anf die eigene Welt, also ans das Denk-
mal lenkt. Und weit leichter als bei anderen Motiven
könnte hier der Bildhauer durch die Verbindung mit Erd-
oder Mauerwerk, mit Fels, Strauch und Baum auch das
erreichen, was die Plastik allein selbst unter Anwendung
großer Mittel nur schwer erreichen kann: starke dekorative
Wirkung, wo es Not thnt auch aus beträchtliche Ferne hin.

Mag der Spott anderer Völker über Byzantinismus
und Militarismus bei uns berechtigt sein oder nicht: wer
uns nach unserm Denkmalswesen beurteilen wollte, der

würde einen Vorwnrf gewiß mit dem Schein der Be-
rechtigung erheben können, den der Vernachlässigung des
Volkstümlichen. Wollte man die steinernen Kinder des
Volksgeistes aus unsern öffentlichen Anlagen zusammenrufen,
soweit sie in unserer Zeit entstanden sind, es käme
kaum eine Kompagnie davon gegen ein Regiment von
Exzellenzen und Majestäten und eine Armee von antikischen
Allegorien, die ihrer Seele Dürftigkeit durch die Emblemc
Leweisen, die sie ausweisen müssen wie Polizeipässe. Die
Bildhauer selbst klagen am meisten darüber, so lange ihnen
noch die Sterne am Heimathimmel freundlicher blinken, als
die Sterne im Knopsloch. Aber wir alle sollten uns zu ihnen
gesellen, denn hier vertreten sie die allgemeine Sache.
Wer keine alexandrinische Scheinkunst will, aber auch nicht
allein eine echte Kunst jener Art, die stolz zurückgezogen
nur sich selber lebt; wer wünscht, daß sich Sinn und Auge
des Volkes wieder behaglich erfreue an den Gestalten, die
ihm lieb sind von Kindheit her, aus daß die edle Bildhauer-
kunst mit ihm wieder in gute Freundschaft trete nnd daß
unsere Städte wieder heimeliger sowohl wie schöner
werden: der trete in seinem Kreise auch sür eine volks-
tümliche Plastik für unsere Straßen und Plätze ein!

Dicbtung.

Ikundsckau.

* Ikrutt, Grösse und Ikeinbeit in der Ikunst.

(Schluß.) „Glücklicherweise regt sich bereits ein junger,
gesnnder Hauch in unserer gesamten Kunst, der hoffentlich
sich nach und nach zu einem Sturmwind steigern wird,
der all diese tändelnden Nichtigkeiten und Nippsigürchen
mit einem Male hinwegblasen wird, so daß wir vielleicht
in zwanzig Jahren schon mit demselben Gefühl auf gewisse
Modedichter unserer Zeit blicken, mit dem wir jetzt die
Lohenstein und Hoffmannswaldau, Harsdörfser und andere
Dichterlinge des siebzehnten Jahrhunderts betrachten, die
von ihrer Zeit gepriesen und gefeiert wurden, wie nie
vor- oder nachher deutsche Dichter geehrt worden sind.
Eines der glücklichsten Zeichen der neuen Kunst ist die
Hereinziehung des vierten Standes in die Dichtung und
Malerei. Das ist ein unbedingtes, nicht hoch genug zu
schätzeudes Verdienst des modernen Realismus. Gerave
am vierten Staude sesselt uns nicht äußere Schönheit,
Luxus, Eleganz, Pracht, Glanz, Gewandtheit, Geschmeidig-
keit usw., sondern nur der Mensch als solcher. Und indem
alle Zuthaten der verfeinerten Kultur und des verwirrenden
Luxus von diesen Vertretern der modernen Menschheit sern
geblieben sind, treten wir in ihnen dem Menschen als
solchem näher, und so können wir wohl hofsen, daß aus
diesem Wege allmählich das Bewußtsein unserer Zusammen-
gehörigkeit mit den Besitzlosen und Enterbten, das uns,
wie es scheint, Kirche und Schule vergeblich predigeu, in
uns wieder lebendig wird, daß wir erkennen, wie in den
durch niedrige Arbeit äußerlich vielfach entstellten und ge-
brochenen Gestalten ostmals das innere, geistige Mensch-
heitsideal, die Reinheit des Fühlens und Denkens, die
lebendige Wärme der Empfindung weit weniger entstellt
ist, als in vielen Angehörigen höherer Kreise, uud daß
wir nun diese wahrhast göttliche Erkeuntnis als dauernden
Besitz in unser Leben hineinarbeiten. Das ist der Weg,

aus dem unsere Kunst weiterschreiten muß; sie muß uns
den Blick wieder schärfen sür den Menschen als solchen,
sie muß uns srei machen von äußerlichen Eindrücken, die
das Gewand und gesellschastliche Formen gegenwärtig in
viel zu übermächtiger Weise aus uns üben, sie muß unsern
Blick unbestechlich machen gegenüber dem Glanze von Uni-
sormen, Orden, modernem Kleiderschnitt und rafsinirtem
Luxus. Weun irgend Jemand die Pflicht hat, den Menschen
lediglich nach seinem inneren Werte zu beurteilen, d. h.
danach, wie weit er der Gottheit, der Natur und dem
wahren Menschentume nahe geblieben ist, so ist es der
Künstler. Er reiße der entarteten Weltdame, dem perfiden
Höfling, dem dünkelhaften Gelehrten, dem unmännlichen,
verweichlichten Lüstling die Larve vom Gesicht und
zeige diese Jammergestalten der Menschheit in ihrer ab-
schreckenden Nacktheit, aber er suche umgekehrt das wahre,
echte Menschentum, wo er es findet, und sei es im Staube
niedriger Arbeit, in zerlumptem Gewand und verfallener
Hütte, und stelle es zu höchster Reinheit und Schönheit
herausgearbeitet seinem entarteten Jahrhundert als leuchten-
des Vorbild hin. Und ebenso zerreiße er die unentwirrbar
verschlungenen Maschen unserer Überkultur und Asterbildung,
er zerhaue den Knoten und führe, ein neuer Alexander,
das Geschlecht unserer Zeit zur Natur und Wahrheit
zurück. Und endlich dringe er mit mutigem Geiste und
fester Hand in die Wirrnisse unserer Gelehrsamkeit ein, die
von der wunderlichen Höhe eines eingebildeten Pyrrhonismus
aus die entgötterte Welt niederblickt, er zertrünunere ihre
Götzen, er stelle ihre eitle Selbstberäucherung an den
Pranger, und dann führe er die Menschheit über die
Trünuner umgestürzter Selbstvergötterungsaltäre zu dem
alten ewigen Gott, zu unserem liebenden erbarmenden
Vater znrück. Soweit wir in der Geschichte unserer Dich-
tung zurückblicken köunen, immer ist, zu jeder Zeit, alle





— 147 —
 
Annotationen