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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 12 (2. Märzheft 1894)
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0198

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Das Einzige, was ein Volk zusannnenhält, ist eine
starke, gemeinsame Bildung. Sie ist auch das sicherste
Bollwerk gegen das Eindringen fremder Einflüsse.

Alles, was dazu beitragen kann, die formale Bildung
zu fördern, follte in Dcutschland mit besonderer Aufmerk-
samkeit gepflegt werden. Denn hier liegt der schwachc
Punkt nnserer Kultur und unseres Wachstums. Daß wir
als Volk sogar an den östlichen Grenzen gefährdet sind,
macht uns den Wert einer geschlossenen nationalen Bildung
handgreiflich klar. Wir sind so lange vorwiegend unter-
richtet worden. An Wissen besiegen wir alle unsere
Nachbaren. Aber so nützlich es im Lebenskampfe dem
Einzelnen ist: sür die Festhaltung eines kraftvollen, wider-
standsfähigen Nationaltypus hat sich das Prinzip der
sormalen Bildung, das bei unseren westlichen Nachbarn
herrscht, ungleich geeigneter erwiesen. Am widerstands-
fähigsten und am sieghastesten bewährt sich die strenge äußere
Zucht, die das cnglische Volk sich auferlegt hat; wo die
Engländer sich niederlassen, assimiliren sie, während die

dcutschen Elemente von den Fremden aufgesogen werden.

Bildnng ist Gcwöhnung. Unsere nächste Aufgabe ist,
cine zwingende nationale Gewöhnung zu schafsen. Zu dem
Zweck haben wir alle Keime zu beobachten und sorgfältig
zn Pflegen, deren Entwickelung den Bestand an eigenartiger
Volkskraft zu mehren beginnt. Dazu gehört auch der
Dilettantismus in den bildenden Künsten."

Lichtwark beginnt nnn, die Entstehung der Ausstellnng
im Einzelnen zu besprechen und die Ziele der neubegründeten
„Gesellschaft Hamburger Künstfreunde" zu entwickeln. Diese
Gesellschaft hat sich zum Ziele gesetzt, „im Anschluß an die
Bestrebungen der Kunsthalle und des Museums für Künst
und Gewerbe das Verständnis für die bildende Kunst und
ihre volkswirtschaftliche Bedeutung in Hamburg verbreiten
zu helfen. Sie versammelt sich allmonatlich in der Kunst-
halle, um die neuen Erwerbungen kennen zu lernen und
lokale und allgemeine Kunstsragen zu besprechen. Jedes
Jahr gedenkt sie eine Ausstellung von Dilettantenarbeiten zu
veranstalten."

SprecksAal.

Nochnrals: Die Traumcharakterisirung iu Hauxtmauus „Hauuele".*

Daß man in dem Einsender des Sprechsaal-Beitrags im
zehnten Hefte des Kunstwarts nicht etwa einen Gegner Ger-
hart Hauptmanns zu snchen, daß man bei ihm nicht mit einer
grundsätzlichen Ablehnung des neueren Realismus überhaupt
zu thun hat, das würde schon der Schlußabsatz jener Aussüh-
rungen deutlich bekünden müssen. Desto eher scheint mir aber
auch die Grundlage zn gemeinsamer Verständigung dann ge-
geben, und ich will daher gleich hier vorausschicken, daß ich es
als einen gewiß überaus sruchtbaren und durchaus anregenden,
so beachtenswerten wie richtigeu Gedanken empfinde, wenu
Carstaujen darauf aufmerksam macht, wie der sonst nicht eben
glückliche Jllustrator der „Hannele"-Dichtung, Julius Exter,
in einem Punkte doch schärfer und künstlerischer schließlich
gesehen hat, als der Dichter selbst — nämlich dort, wo er den
Vorgang iu das Doppelbild des unten im Bett schlafenden
Haunele und seiner darüber schwebenden Träume gelegt
hat. Nur liegt die Lösung sür den Dichter, meine ich, doch
anderswo, als der Verfasser anzunehmen scheiut. Daß so, wie
das Werk nun einmal als Ganzes fertig vorliegt, nur durch
ein Eingreifen der Regie, durch Teilung in zwei Bühnen,
einen Wirklichkeits-Vorder- und einen sich als Traumreich
öffuenden idealen Hintergrnnd, abgeholfen werden kann, ist
dabei ohne Weiteres zuzugeben; aber das Alles, diese Not-
wendigkeit, der szenischen Ausgabe auf solche Weise beizukommen,
wie die Unmöglichkeit, den Vorgang nach der szenischen Jdee
des Dichters zu einem völlig befriedigenden Eindruck zu ge-
stalten, deckt zuletzt doch nur einen radikalen Grundsehler
unserer Dichtuug aus. Hauptmann war mit dem Traumbild
mitten in seinem Realismus eben bei dem Problem des

*) Wir haben den Sprechsaalbeitrag von Carstanjen im

vorletzten Heste abgedruckt, obgleich wir die Besprechung cin-
zelner Werke bisher vom .Sprechsaal ausgeschlossen haben.
Was uns eine Ausnahme zu rechtfertigeu schien, waren die
iuteressauten Fragen allgemeinerer Art, die Carstanjen an
Hauptmanns „Hannele" als an einem Beispiel entwickelte. Da
aber unser Gesetz, über eiuzelne Werke uur Einen berichten
zu lassen, sür diesen Fall doch einmal durchbrochen worden,
so scheint es uns billig, daß wir nach dem Angreiser auch

einem Verteidiger das Wort lassen. Damit aber muß die

Sache sür den Kunstwart erledigt sein. R.-Ll

Jdealismus selber angekommen, und da hätte er sich der Aus^
sprüche und Urteile unserer großen klassischen Dichter von der
„idealisirenden Kraft" der Musik besser erinnern müssen, zum
A beherzt auch B sagen sollen. Die Musik, hier richtig an-
gewandt und als küustlerischer Faktor eingestellt, mit ihrer
magischen Wirkung, zumal aus einem „mystischen Abgrund",
wie in Bayreuth, herauftönend, das ganze Traumbild unauf-
hörlich begleitend, würde letzteres auch ohne Bühnenteilung
und außerordentliche Regiemaßnahmen ohne Weiteres gar
wohl als poetisches Traumbild vom Übrigen verständlich ab-
gehobeu haben. Das ist der Kardinalirrtum unseres Stückes:
den hiermit berührten Jdealismus uicht mit streng konsequentem
Zugeständnis fort- und durchgebildet zu haben — denn daß
es ganz ohne Musik in dieser Dichtung nicht mehr gehen könne,
das hatte der Dichter selbst ja sehr fein bereits empsünden.

Jch dars hier vielleicht aus meine sehr einläßlichen Be-
sprechungen der Erstausführung des Werkes in Dresden (vgl.
„Deutsche Wacht" Nr. t6—ty) verweisen, um so mehr,

als ich dort neben der Berührung und Aufdeckung des eben
erwähnten Grundmangels auch noch einige andere Einwände
Carstanjens, ohne sie noch zu kennen, bereits widerlegt zu haben
glaube. So habe ich z. B. schon dort gegen eine Pause
zwischen dem ersten und zweiten Teile sehr entschieden mich
ausgesprochen, die ich weder als szenisch unerlüßlich noch auch
als im Geiste des Dichters zulässig gelten lassen kann, der
vielmehr durch Anordnung eines sofortigen Eintrittes der
Musik klar und deutlich genug belündet hat, daß er sein Werk
— etwa wie Wagner sein „Rheingold" — in einem Atem
gleichsam sortgesührt und ohne Riß ausgespielt wissen wollte.
Ebenso habe ich dort auch zwischen Visionen bezw. Halluzina-
tionen (im ersten) und den Traumbildern bezw. Fieber-
phantasien und Delirien (im zweiten Teile) in Übereinstimmung
mit dem Sinne des Dichters genauer unterschieden eine
Uuterscheidung, die wohl auch die von Carstanjen gestreifte
Schwierigkeit bezügl. der geträumten Erscheinung und der
geträumten Aktion, in welcher Hannele selbst mithandelnd
wird, unschwer dann überwinden dürfte. Jnwieweit andere
szenische Darstellungen des Stückes (z. B. in Berlin) ihm
 
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