Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1894)
DOI Artikel:
Was uns die Kunstgeschichte lehrt, [2]
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0240

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ss

B.,


abwerten kann, nicht das Erkennen. Was dem Einen der
gesnnden und starken Persönlichkeit eines echten Volks-
genossen seiner Zeit entwachsen scheint, ein Anderer sieht
darin vielleicht den krankhasten Sprößling eines Deutsch-
tmnlers, der mit der Mode geht. Jmmer nur verhältnis-
mäßig Wenige, die zu solchen Dingen veranlagt sind, werden
ans den Gaben mit Sicherheit auf den Geber schließen
können, und auch sie nur, wenn fleißige Übung, wenn vor
allem intimster Umgang mit der Natur und gründliches
Verständnis der Menschenseele ihr inneres und äußeres
Auge gebildet haben. Solchen aber werden die Lehren
der Knnstgeschichte willkommen sein, um im Verein mit
den Lehren und Erfahrnngen, die uns aus audcrn Wissen-
schaften noch zusließen, das dunkel Empfundene bewußt
sichtcn und klären zu helfen.

Schließen wir mit der Mahnung, mit der Woermann
seine Arbeit schließt; sind doch die Gedanken, die er hier
ausspricht, auch das „Programm" unsrer Zeitschrift ge-
wesen, so lange sie besteht! „Wer eine gesunde Kunst will,
wird die jungen Künstler, die gelernt haben, die selbst er-
schaute Natur mit technischer Meisterschaft wiederzugeben,
immec wieder auf ihr eigenes Volk, ihre eigene Zeit, vor
allen Dingen aber auf ihr eigenes Selbst und in diesem
auf die höchsten Höhen der Einbildungskraft und die tiefsten
Tiefen des innersten Gemütslebens hinweisen; denn ewig-
giltig wird auch in Zuknnst nur eine deutsche Kunst sein,
die der Verbinduug deutscher^Phantasie oder deutschen Gemüts
mit unmittelbarer und persönlicher Naturanschauung entsprossen
ist." Jetzt stehen wir in der Maienzeit auch einer solchen
Kunst, möge ihrem Frühling ein reicher Sommer folgen!

Allgemeineres.

^ Grat Adolk Frtedricb von Lcbaek ist in Rom

gestorben, unerwartet, obgleich er lange leidend war.

Es ist Schacks tiefer Schmerz geblieben, daß seinem
Dichten nicht der Ruhm geantwortet hat als jubelndes
Echo der Nation. Bei allen Formalisten der Platenschen
Richtung finden wir diese Sehnsucht nach Ruhm, Schack
gehört zu ihnen, uno schon das macht uns die Erscheinung
als Folge einer bestimmten Empfindungsweise so erklärlich,
daß wir keine beschränkte Eitelkeit darin sehen dürfen.
Aber ein großer Dichter war Schack auch nicht. Das
eigentlich Künstlerische in scinen poetischen Werken ist Gabe
zweiter Hand, ist in Phantasie- und Sprachgestaltung
Epigonentum; er vermochte nicht dem menschlichen Jnhalt
die ureigene Erscheinung zu geben, die den Beschauer bannt
und erschüttert. Dieser menschliche Jnhalt selbst aber war
auch wieder nicht stark persönlicher Art. Der Liberalismus
im besten Begriffe des Worts, die Gesinnung, die Blüte
ist der feinsten Herzens- und Geistesbildung, verbunden mit
jener Begeisterungsfähigkeit, welche einer beweglichen edeln
Phantasie entspringt, machten Schack znm Typus einer an
Zahl nnr kleinen Gattung, aber immerhin einer Gattung
hochsteheuder Menschen. Das ganz besondere Jch, das uns
den Dichter zum vertrauten Freunde macht, war vielleicht
in ihm da, spricht jedoch aus seinen Dichtungen nicht.
Viellcicht nur eben deshalb nicht, weil zur Heraushebung
dieses Feinsten die ursprüngliche Schöpferkrast, wie schon
bemerkt ist, fehlte. llnd zudem kann man mit tieferer Be-
deutung, als mit der einer wohltönenden Redensart, von
Schack sagen: er kannte das Gemeine nicht. Er kannte
es nicht, weil sein Herz und sein Geist nur den höchsten
Höhen zustrebten, aber er kannte es auch nicht, weil es
nie in Gestalt niedriger Sorgen ihm in den Weg gekrochen
war. Und wie er die drückendsten irdischen Leiden nur
vom Hören und Betrachten, nicht von der Erfahrung am
eigenen oder am Leben eines lieben Menschen her kannte,
wenn er ihnen Trost zusprach, so erscheint uns Andern
nun oft der stolze Flug seiner Weltfreude zu wenig als
selbstthätige Überwindung des Jrdischen, zu wenig als ein
vollerlebtes „Und doch!", als daß uns dieser sein Trost
recht im Jnnersten überzeugen und stärken könnte.

Der Kunstwart ist nicht der Ort, Schacks wissenschaft-
licher Arbeiten zu gedenken, wenngleich wir das von ihnen

Ikundsckau.

erwähnen dürfen: daß ihre literarische Form in der Klar-
heit und anregenden Wärme der Darstellung gerade uns
Deutschen mustergiltig sein dürfte. Das Wort vom Roman
schriftsteller als dem Halbbruder des Dichters könnte man
umwandeln, daß es für sie zuträfe. Denn wo es ein Nach-
gehen, Nachfühlen, Nachgestalten galt, wo also die eigne
Persönlichkeit nicht das erste, sondern das zweite Wort zu
sprechen hatte, da leistete Schack ja immer Vortreffliches.
Jnnerhalb der Literatur zeugen freilich am schönsten seine
Übersetzungen davon.

Doch unsere Leser wissen, wo es auf anderem Gebiete
hellleuchtend zu Tage trat. Was Schack mit der Gründung
seiner Gemäldesammlung geleistet hat, das kann kaum über-
schätzt werden. Es ist ja schon an dieser Stelle besprochen
worden, was wir dem Manne zu danken haben, der als
der erste in Deutschland eine große moderne Galerie schuf,
ohne Namenkultus und Tagesgeschmack das Kleinste darein-
reden zu lassen, ohne den Ruhm des „Kennertums"
von seinen Zeitgenossen zu erstreben, ohne Einseitigkeit und
Laune, ohne Gehör auf Liebedienerei. Schon seine Stellung
zu Fenerbach und Boecklin würde Schack ein Anrecht auf
dauernden Dank unsres Volkes gebcn.

Möchten aus dem begüterten Adel des deutschen Volkes
diesem Manne Nachfolger erwachsen, der in Wahrheit einer
der Edelsten der Nation war! Daß Fähigkeiten, wie die
seinen, auch unter ihnen gar häufig werden könnten, das
meinen wir mit diesem Worte nicht. Aber wie wenige
sind der dentschen Edelleute, die gleich dem Dahingegangenen
den besten Teil ihres Lebens in den Dienst des Besten
vom Leben stellen, der Wissenschaft, der Kunst, der frendigen
Propaganda sür sittliche Gedanken. Will unser Adel des
Volkes Führer sein, so führ er auch in solchen Dingen!

* Auch in Ludwtg Vkuu haben wir der Tüchtigsten
Einen verloren, und es wäre schlimm, wenn politische
Gegnerschaft diese Erkenntuis irgendwo schmälerte. Und
auch Ludwig Pfau hat nicht als Poet sein Bestes ge-
leistet, wenngleich seine versgewandten Gefühls- nnd Wollens-
ergießungen mit ihrer seurigen Rhetorik und ihrem ätzenden
Spott von vielen gar hoch geschätzt werden, sondern als
Kunstverständiger. Pfau sah in der Kunst „keinen Augen-
kitzel, der zum Zeitvertreib der Sammler erfunden ist",
sondern neben der Wissenschaft die eine der beiden Groß-


(s'



— 230 -
 
Annotationen