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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 8 (2. Januarheft 1894)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0132

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hierbci sreilich nicht an eine Wiederbelebung des gotischen
Stils zu denken ist, haben verschiedene erfolglose Versuche
zur Genüge dargethan. Wir wissen recht gut, daß ein
Teil der Zeichner in den Architektenbureaus aus der
Baugewerkenschule hervorgeht und deshalb einige Kenntnis
der klassischen Bauformen nicht entbehren kann; trotzdem
halten wir die Ansicht festz daß diese Schule (auf dem
Gebiete der Konstruktion und Bauführung) andere, wichtigere
Aufgaben hat, als die, Zeichner heranzubilden, und daß
hier Verschwommenheit in den Grenzen und Zielen in einer
Zeit, die aus anderen technischen Gebieten durch klar
Lewußte Arbeitsteilung exzellirt, für die Entwickelung und
das Ansehen des Hochbausaches nnmöglich sörderlich sein
kann. Wenn es nicht anders geht, würden wir selbst die
Einführnng einer Abstufnng, ahnlich wie sie in Oesterreich
in der Einteilung in Stadt- und Landbaumeistcr
besteht, als einen Schritt zu zweckdienlicheren Einrichtungen
begrüßen, um die jungen Bauleute nach Fähigkeiten,
besonderen Neigungen und künftigem Wirkungskreis vor-
bilden und charakterisiren zu können; gleichzeitig mit einer
derartigen Umgestaltung möchte dann freilich auch die des
Prüfu ngswesens erfolgen. Der vom soliden Bau-
gewerbe und anderen technischcn Kreisen als unentbehrlich
bezeichnete Befahigungsnachweis kam zu Fall, weil die
Juristen seine Notwendigkeit nicht anzuerkennen vermochten,
was die letzteren aber nicht hindert, in den Prüfungs-
kommissionen für Bauhandwerker den Vorsitz anch ferner
für sich in Anspruch zu nehmen. Wir wollen uns bei
dieser wunderlichen Konsequenz nicht aufhalten, aber eine


ernstliche nnd einsichtsvolle Reformation des Ausbildungs-
wesens der Bauhandwerker dürfte wohl nur unter sach-
verständiger fachmännischer Direktion zu hoffen sein.

Die Fliegenden Mätter haben ihren hundertsten
Band eröffnet und das durch eine Festnummer gefeiert. Durch
einen äußern Zufall an der Ausführung unsrer Absicht ver-
hindert, ihr Fest durch eine eingehende Würdigung ihrer
Thätigkeit mitzubegehen, wollen wir uns doch, eiu wenig ver-
spätet zwar, noch unter den Glückwünschenden einstellen. Denn
hier liegt einmal ein Ereignis vor, das zu herzlichster Freude
berechtigt: ein Blatt, das „geschästlich" einen der größten
Erfolge der Publizistik errungen hat, ist darum doch kein
„Geschäftsblatt" geworden, sondern ein künstlerisch-literarisches
Unternehmen der vornehmsten Art geblieben. Was die
„Fliegenden" als Blätter sür Humor sind, wie sern sie sich
von dem widerlichen Gewitzel Stettenheim-Blumenthal-Kalauer-
scher Geistreichigkeit gehalten haben, und wie sehr ihuen das
zu danken ist, das wird einem recht klar bei dem Gedanken
daran, wie gründlich sie durch Mißbrauch ihres ungeheuren
Einflusses Ler Volksseele schon geschadet haben könnten, wäre
auch ihr erster Gott das Geschäftchen. Aber auch die deutsche
bildende Kunst hat den „Fliegenden" zu danken: sie, die all-
wöchentlich vom Meeresstrand bis ins ferne Alpendorf eine
Fülle so vortrefflicher Zeichnuugen ausstreuen, wie keine einzige
Zeitschrist sonst, sie säen damit eine Saat, deren Ernte nicht
abzuschätzen aber auch kaum zu überschätzen ist. Wir haben
keinen Wunsch auszusprechen als den: mögen sie bleiben, was
sie sind!

SprecbsAÄl.

Äünstler als jdgrlamentarier.

Während der verslossenen Wahlbewegung in Frankreich,
in welche Männer von der Bedcutung eiues Vogus und
andere namhafte Künstler, wenn auch mit uegativem Er-
folge, als Kandidaten eingegrissen haben, wurde in den
gebildeten sranzösischen Kreisen, in Zeitungen und Zeit-
schristen lebhaft die Streitfrage erörtert: Jst es wünschens-
wert, daß sich die künstlerischen Kreise eines Landes in
hervorragendem Maße an der Politik beteiligen'? Bei uns
in Deutschland hat diese Frage abgesehen von der Sturm-
periode der H8er Bewegung, deren hochgehende Wogen
nicht bloß stille Gelehrte, wie Jakob Grimm, Gervinus u. a.,
sondern auch einen so genialen Künstler wie Richard Wagner,
einen so feinsinnigen Kunstkritiker und Dichter wie Gott-
sried Kinkel, in ihrem Strudel mit sich fortrissen, noch
nie eine aktuelle Bedeutung gehabt. Allerdings bethätigt
sich ein Lyriker, Albert Träger, seit Jahren im politischen
Leben, aber bei allem dithyrambischen Schwnng seiner Fest-
und sonstigen Gedichte dürste sich der genannte freisinnige
Volksparteiler, ebenso wie sein Spezialkollege, der Rechts-
anwalt nnd Drainatiker Richard Grelling, dessen Kandidatur
zum Reichstag sreilich noch nie mit Ersolg gekrönt war,
wohl selber schwerlich für einen Dichter von Gottes Gnaden
halten. Mit weit größerer Berechtignng dürfte der nuu
seit Jahren bereits dahingeschiedene Franz Ziegler Anspruch
aus dichterische Bedeutung erheben; die Gestalten in seinen
märkischen Romanen, fest und knorrig wie er selbst, der
„Hochverräter" und spätere Breslauer Oberbürgermeister,
atmeten samt und sonders Lebensfrische und ossenbarteu

ein nicht gewöhnliches schöpserisches Taleut. Aber je mehr
der viclseitige Mann in der einseitigen Tagespolitik auf-
ging, desto mehr verstummte seine Leyer, bis er schließlich,
auch von dcn Tageskämpfen angewidert, als Politiker wie
als Romanschriftsteller ein stummer Mann wurde. Nur
wenigen ist es, gleich dem bekannten ungarischen Politiker
Maurus Jokai, gegeben, dichterische Schöpfungskraft mit
parlamentarischer Leistungsfähigkeit in so glücklicher Weise
zu vereinigen, daß die eine Seite der Thätigkeit die andere
nicht beeinträchtigt. Selbst ein Gustav Freytag zog es
vor, nachdem er kurze Zeit dem deutschen Reichstage an
gehört, sich aus dem geräuschvollen Treiben der Tages-
politik in das Tuseulum der Poesie zurückzuziehen. Ubrigens
ist es nicht allein die nüchterne Trockenheit der politischen
Tagessragen, die dem Künstler, der die Gebilde seiner
Phantasie frei gestaltet, wenig zusagen kann. Die Juris-
prudenz ist vielleicht noch trockener, und doch trist PlatenS
Charakteristik der Männer, die des Mvrgens mit Akten
auss Gericht und des Abends aus den Helikon wandern,
noch heute zu; wir erinnern nnr an den Kammergerichts-
rat Wichert und den Legationsrat Ernst von Wildenbruck,
dessen Werkeltagsbeschäftigung doch auch nicht gerade als
eine die Phantasie besonders anregende zu bezeichnen ist.
ALer während der Jurist bei seiner Thätigkeit sich an be
stimmte Normen halten muß, die Seitensprünge sv gut wie
völlig ausschließen, gerät der Künstler bei seinem leicht
beweglichen Sinn in der Politik gar bald in Gefahr, falls
er sich nicht innerhalb einer bestimmten Parteischabloue

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